Soziale Netzwerke bedrohen die Demokratie
Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den Medientagen in München
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich dafür
ausgesprochen, die geheimen Regeln der großen Internetplattformen
offenzulegen. Bei den Medientagen München forderte sie, "dass Algorithmen transparent sein müssen, dass (...) man sich als
interessierter Bürger informieren kann: Was passiert da eigentlich
mit meinem Medienverhalten und dem anderer?"
Merkel warnte davor, dass Menschen in den sozialen Medien nur noch das lesen, was ihre eigenen Auffassungen bestätige oder ihnen von Gleichgesinnten empfohlen werde: "Das ist eine Entwicklung, die wir genau beobachten müssen." Dies bedrohe die für die Demokratie unerlässliche Fähigkeit, sich auch mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. "Solche Mechanismen, wenn sie nicht transparent sind, können zur Verzerrung der Wahrnehmung führen; sie verengen den Blickwinkel."
Die großen Plattformen wie Google und Facebook entwickelten sich mit ihren Algorithmen immer mehr "zum Nadelöhr für die Vielfalt der Anbieter", sagte Merkel. Dies könne erhebliche wirtschaftliche Folgen für andere Medien haben und deren Existenz bedrohen.
Panne zum Auftakt
Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den Medientagen in München
Bild: dpa
Mit Humor reagierte Merkel auf eine technische Panne zum Auftakt des
Branchentreffens: Weil ein Film zur 30-jährigen Geschichte der
Medientage nicht gezeigt werden konnte, saß das Publikum im
Internationalen Congress Center München minutenlang im Dunkeln. "Das
zerstört unser Selbstbewusstsein", sagte Bayerns Ministerpräsident
Horst Seehofer (CSU) vor Hunderten Gästen. Eigentlich habe er sein
Grußwort mit der Großartigkeit des Freistaats Bayern beginnen wollen
- "und dann fällt zu Beginn dieser großen Veranstaltung die Technik
aus".
Merkel antwortete: "Ausnahmen bestätigen die Regel. Bayern braucht an seinem Selbstbewusstsein nicht zu zweifeln." Die Panne sei möglicherweise ein "geheimer Plan" der Veranstalter gewesen: "eine Aufforderung, die Realität doch noch ernst zu nehmen". Denn der Wettlauf digitaler Medien um möglichst schnelle Informationen und Einordnungen führe dazu, "dass oft schon Ereignisse quasi kommentiert sind, bevor sie überhaupt stattgefunden haben. (...) Deshalb war's gut, dass der Film ausgefallen ist, denn stellen Sie sich vor, einer hat schon berichtet, was für ein toller Film hier gezeigt worden wäre - dann hätte das gar nicht stattgefunden."
Verleger verlieren gegen Google und Facebook
Um im Wettbewerb mit Google, Facebook & Co. besser zu werden, wollen die Verleger von Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland stärker zusammenarbeiten. "Statt auf Konfrontation sollten wir auf Kooperation setzen im Vertrieb, in der Vermarktung, in Marktforschung und Marketing, in der Technologie", sagte der Burda-Manager Philipp Welte bei einer Veranstaltung von Zeitschriftenverlagen und erhielt dafür viel Zustimmung von anderen Verlagsmanagern.
Der Anteil der Zeitungen und Zeitschriften am Werbemarkt sei dramatisch gesunken - zugunsten großer Internetkonzerne wie Google und Facebook, sagte der Vorstand von Hubert Burda Media: "Spätestens nächstes oder übernächstes Jahr werden die Nettowerbeerlöse von Publikumszeitschriften unter die Eine-Milliarde-Euro-Grenze gefallen sein." Kein Verlag schaffe es alleine, mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt zu halten. "Wir müssen unsere historischen Silos verlassen und lernen, vernetzt zu arbeiten", mahnte Welte.
Inhalte nicht aufgeben
Die geschäftsführende Gesellschafterin des Verlags Inspiring Network ("emotion"), Katarzyna Mol-Wolf, sagte: "Wichtig ist, dass wir unsere Inhalte nicht aufgeben." Die Verlage sollten sich zusammenschließen, um ihre Inhalte gemeinsam in einem Digitalkiosk kostenpflichtig anzubieten, statt sie als Instant Articles Facebook zur Verfügung zu stellen.
Unter dem Motto "Mobile & Me. Wie das Ich die Medien steuert" geht es bei den diesjährigen Medientagen um die Folgen technologischer Entwicklungen wie künstlicher Intelligenz und virtueller Realität.
Ein weiteres Thema sind Videostreaming-Dienste wie Netflix und Amazon, die zunehmend die klassischen Fernsehsender bedrohen. Die neuen Angebote machen aus den Daten ihrer Nutzer ein für jeden Zuschauer maßgeschneidertes Programm. Was das für die Zukunft des Fernsehens bedeutet, darüber diskutieren TV-Macher heute bei den Medientagen München.
Auch beim anschließenden "Radio-Gipfel" geht es um die Folgen der digitalen Konkurrenz für die etablierten Rundfunksender. Jedes Smartphone kann längst auch als Radio genutzt werden. "Der Nutzer will konsumieren - über welchen Kanal er das tut, ist ihm nicht wichtig", heißt es in der Einladung zur Podiumsdiskussion.
Um sich von der Konkurrenz abzuheben, investieren viele Medien in exklusive Geschichten. Ob sich das lohnt und ob das Publikum das honoriert, ist Thema einer Veranstaltung am Nachmittag. Kritiker monieren, dass die Aufregung um exklusive Recherchen vor allem das Selbstbewusstsein der Redaktionen hebe. Dazu soll sich unter anderem der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Wolfgang Krach, äußern. Zu den rund 90 Veranstaltungen werden bis Freitag 400 Referenten und mehr als 6000 Besucher erwartet.