DAB+ zwischen Technik-Ruine und notwendigem Fortschritt
DAB+ oder Internet? Es gibt längst Radiomodelle, die beides empfangbar machen.
Bild: ViewQuest
Die Diskussionen um den Hörfunkstandard DAB+ gehen auch in dieser
Woche in eine neue Runde. Hintergrund sind die Millionen-Investitionen, welche die KEF den
öffentlich-rechtlichen Sendern in den kommenden Jahren für die
Weiterentwicklung des digital-terrestrischen Radios genehmigt hat. Viele fragen sich seither,
ob ein Umstieg von UKW auf DAB+ in der heute von Internet und Smartphone dominierten Medienumgebung
überhaupt noch zeitgemäß und notwendig ist. Eine Kontroverse gibt es auch darüber, ob man die bisher rund
sieben Millionen verkauften Geräte mit DAB+ fünf Jahre nach der Einführung der Technologie als Erfolg oder
Misserfolg werten soll.
Medienwissenschaftler: Man hätte DAB+ gar nicht erst einführen dürfen
DAB+ oder Internet? Es gibt längst Radiomodelle, die beides empfangbar machen.
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Für den Medienwissenschaftler Hermann Rotermund ist das digital-terrestrische Radio DAB+ jedenfalls
eine "digitale Ruine". In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)
benennt er die Technologie als "Ausgeburt einer technischen Phantasie, die aus dem öffentlich-rechtlichen
Rundfunk stammt und sich nie an Hörern orientiert hat". Vor der Einführung an DAB+ wäre seiner Meinung nach
eine gründliche Analyse des Scheiterns des alten DAB-Standards notwendig gewesen. Das Internet wäre für den
Hörfunk heute ein viel bedeutenderes Verbreitungs- und Kommunikationsfeld, wenn die Entwicklungskosten
von DAB in Internet-adäquate Verbreitungsformen gelenkt worden wären. Schon 2007 hätte der 16. KEF-Bericht
darauf verwiesen, dass die DAB-Konzeption nicht mehr zu der digitalen Medienumgebung passte.
Rotermund kritisiert aber auch die Privatsender. Einerseits lehnten sie DAB+ mehrheitlich ab, andererseits hätten sie bis heute keine überzeugende Alternative für die digitale Welt formuliert und durchsetzen können. Es sei verwunderlich, dass sie den von ihnen präferierten Übergang von der analogen UKW-Verbreitung zur Internetverbreitung nicht längst aktiv und auf eigene Faust vorbereiteten. Websites und Apps der privaten Radios wirkten wenig inspiriert, sie beschränkten sich im Grunde auf sendungsbezogene Begleit-PR.
Staatssekretärin Bär macht sich weiter für DAB+ stark
Dorothee Bär, Mitglied des Deutschen Bundestages und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, hält dagegen und hat in der aktuellen Debatte um die Zukunft von DAB+ klar Position zugunsten der Technologie bezogen. Das digital-terrestrische Radio sei nicht mehr zu stoppen. Es biete ein Mehr an kreativen Entfaltungsmöglichkeiten, ein breiteres und besser zugeschnittenes Angebot für die Nutzerinnen und Nutzer, wirtschafts- und industrierelevante Vorteile, einen verkehrspolitischen Nutzen und schließlich eine Verbesserung der Qualität der Angebote, sagte sie in einem Beitrag der Huffington Post. DAB+ sei ökologischer, kostengünstiger und vor allem: es liefere bessere Qualität als die analoge UKW-Verbreitung. Daher habe das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sich dieser Entwicklung angenommen und möchte sie mitbegleiten.
Auch die Arbeit des von ihr ins Leben gerufenen "Digitalradio Boards" soll weitergeführt werden: Zunächst sollen die Landesmedienanstalten gemeinsam mit dem Deutschlandradio ein Konzept für die Einrichtung eines Digitalradio-Projektbüros erarbeiten, das vor allem zur Aufgabe haben wird, die Bevölkerung zu informieren und die Zusammenarbeit der Partner zu koordinieren. Denn Studien hätten ergeben, dass die Nutzerinnen und Nutzer DAB+ durchaus bereitwillig annehmen, wenn sie denn davon wissen - was leider noch nicht ausreichend der Fall sei.
Als nächstes würde man versuchen, auf europäischer Ebene im Rahmen der Diskussion zur Universaldienstrichtlinie eine verpflichtende Ausstattung von Audio-Empfangsgeräten mit Multinorm-Empfangschips zu erreichen. Und schließlich wolle man ein Förderszenario entwickeln, um gerade lokalen Hörfunkanbietern bei den Kosten der Umstellung auf digitale Hörfunkübertragung unter die Arme zu greifen.
Vor allem hat sie aber den offenbar wahren Grund für die aktuelle Diskussion erkannt, die nicht ganz zufällig vor allem in Printmedien geführt wird, deren Verleger an UKW-Privatradios in Deutschland beteiligt sind: "Besitzstandswahrung, wie sie einige auch in diesem Bereich betreiben, ist keine Lösung". Damit spielt sie auf den Auslöser der aktuellen Debatte an: Die kommerziellen Lokalradios in Nordrhein-Westfalen, die sich in einem Positionspapier gegen DAB+ ausgesprochen haben.
Deutschlandfunk stellt auf DAB+ um
Unterdessen will der Deutschlandfunk ab 1. Juni im bundesweiten Multiplex (Kanal 5C) vom alten DAB-Standard auf den Übertragungsstandard DAB+ wechseln. Das bestätigt das Deutschlandradio in seiner eigenen Monatszeitschrift. Damit wird das Programm mit alten DAB-Geräten nicht mehr hörbar sein. Die Zahl der Hörer mit diesen Altgeräten hat sich aber ohnehin sehr in Grenzen gehalten. Das Deutschlandradio empfiehlt Besitzern von Digitalradios einen Sendersuchlauf nach dem 1. Juni, um das Programm weiter empfangbar zu machen. Ganz gestorben ist der alte DAB-Standard aber auch mit diesem Wechsel noch nicht: Der Saarländische Rundfunk (SR) bleibt der letzte Sender in Deutschland, der seine Programme SR1 bis 3 noch im alten DAB-Standard verbreitet.
Ausgebaut wird auch das Netz beim bundesweiten Multiplex. Ab sofort ist das Bouquet mit acht Privatsendern und vier Deutschlandradio-Programmen in Nordrhein-Westfalen auch im Bergischen Land, im Kreis Olpe sowie im Märkischen Kreis hörbar. Möglich macht das der neue Sender Herscheid, der auch den Empfang entlang der Autobahn A45 zwischen Siegen und Dortmund verbessert.