Handystrahlen

Editorial: Wie gefährlich ist 5G?

Durch Mobil­funk­strahlen auf neuen Frequenzen ergeben sich neue Gefähr­dungen. Aber bringt 5G auch Vorteile?
Von

Hat 5G mehr Vor- als Nachteile? Hat 5G mehr Vor- als Nachteile?
Bild: picture alliance/Federico Gambarini/dpa
Die Diskus­sion ist so alt wie der Mobil­funk: Sind Handy­strahlen gefähr­lich? Und wenn ja: Wo liegt ein unge­fähr­licher Grenz­wert? Die Wissen­schaft hat hierzu zwar intensiv geforscht, aber mit wider­sprüch­lichen Ergeb­nissen: Die Mehr­heit der Studien sieht nur geringe oder keine Effekte der Handy­strahlen, einige Studien verweisen hingegen auf eine drama­tische Erhö­hung der Sterb­lich­keit von Hühner­embryos oder von mikro­skopisch sicht­baren Zell­schäden. Die Unter­schiede zwischen den verschie­denen Studien sind so groß, dass sie sich m. E. nur durch Unse­riösität erklären lassen.

Leider kann man einer Studie eben nicht von außen ansehen, ob einer oder mehrere der betei­ligten Wissen­schaftler betrogen haben. Wer lügt also: Die Mobil­funk-Kritiker, bei denen Zell­kulturen in der Nähe eines sendenden 3G-Smart­phones massen­haft Genschäden entwi­ckeln? Oder die Mobil­funk-Befür­worter, die erst beim Hundert­fachen der erlaubten Sende­leis­tung erste, leichte Schäden an lebenden Orga­nismen diagnos­tizieren?

Gut ist, dass die Bundes­regie­rung derzeit den Dialog mit den Mobil­funk­skep­tikern sucht. Schlecht ist, dass das frei­lich eher wie ein Monolog aussieht: Man will die "5G-Skep­tiker über­zeugen". Letz­tere sollen also bitte­schön den Argu­menten von Regie­rung und Bundes­netz­agentur zuhören. Beide haben aus Sicht der Skep­tiker aber nun mal ein Inter­esse daran, dass 5G auch einge­führt wird, haben sie doch jüngst erst entspre­chende Lizenzen für viele Milli­arden Euro an die Netz­betreiber verstei­gert. Somit zwei­feln die Skep­tiker - sicher nicht ganz zu Unrecht - die Neutra­lität der Regie­rung in der 5G-Frage an.

Echter Dialog

Hat 5G mehr Vor- als Nachteile? Hat 5G mehr Vor- als Nachteile?
Bild: picture alliance/Federico Gambarini/dpa
Dabei wäre echter Dialog mit den Skep­tikern durchaus möglich. Dieser sollte sich um die Frage drehen: Wie viel posi­tiven Nutzen bringt 5G für die Gesell­schaft, und im Ausgleich dafür, wie viel Schäd­lich­keit akzep­tieren wir? Ein bekannter Nutzen schon des 2G-Mobil­funks ist beispiels­weise die viel schnel­lere Notruf­alar­mierung bei Unfällen. Gerade bei Verkehrs­unfällen dauert es heute oft nur noch wenige Sekunden, bis ein Notruf bei den Rettungs­kräften eingeht. Früher vergingen hingegen wert­volle Minuten, bis Unfall­zeugen auf der Auto­bahn zum nächsten Notruf­telefon gefahren waren, dort anhielten und dann den Notruf abge­setzt hatten. Das sind Minuten, die bei schweren Verlet­zungen über Leben und Tod entscheiden.

5G könnte künftig dank ausrei­chender Bitraten für Video­tele­fonie selbst "im letzten Winkel" auch Video-Notrufe zwischen Erst­helfern und dem zur Unfall­stelle entsen­deten Notarzt ermög­lichen. So kann sich der Notarzt schon mal ein Bild machen und er kann den Erst­helfern viel­leicht sogar lebens­rettende Tipps geben. Zudem ist geplant, Fahr­assis­tenz­systeme per 5G mitein­ander zu vernetzen und so auch die Unfall­zahlen selber dras­tisch zu redu­zieren.

In der aktu­ellen Covid-Pandemie helfen Video­konfe­renzen mit dem Arzt, Wege infek­tiöser Kranker zum Arzt zu vermeiden und so das Infek­tions­risiko für Gesunde zu senken. 5G ermög­licht solche Konfe­renzen künftig auch an vielen Orten, wo derzeit noch kein ausrei­chendes Fest- oder Mobil­netz verfügbar ist.

5G eignet sich aber nicht nur für Smart­phones, sondern auch für massen­produ­zierte und güns­tige Agrar­sensoren: Diese messen, wo es wie viel geregnet hat oder wie hoch der Nähr­stoff­gehalt im Boden ist, sodass Land­wirte künst­liche Bewäs­serung und Düngung möglichst sparsam - und damit möglichst umwelt­scho­nend - einsetzen können. Dieselben oder andere Sensoren können Busch- und Wald­brände schon in der Entste­hung melden, bevor es zu ausge­dehnten Bränden kommt.

Verpflich­tung zur Nutzung der Vorteile

Es gibt sicher viele Dorf­bewohner, die die neue 5G-Basis­station auf der Kirch­turm­spitze vor allem als Luxus­spiel­zeug für die betuchte Ober­schicht sehen, die eben mal 1 500 Euro für ein neues 5G-Smart­phone ausgeben können. Denn die "essen­zielle" mobile Sprach­kommu­nika­tion ist ja schon über 2G, 3G und 4G möglich. Doch erst die Effi­zienz­stei­gerung, die einem 5G-Smart­phone den Transfer von Gigabit ermög­licht, ermög­licht es auch dem Brand­melder im dichten Wald (wo für normale Smart­phones längst "Funk­loch" herrscht) seinen nur wenigen Byte großen Alarm per Narrow­band IoT abzu­setzen.

Wenn dem genannten Dorf­bewohner vermit­telt wird, dass die 5G-Station nicht nur Netz­versorger für Luxus­spiel­zeug, sondern auch der Brand­melder für die umge­benden Wälder ist, dann könnte die Akzep­tanz steigen. Das klappt aber nur, wenn der Staat sich auch verpflichtet, die Brand­melde­sensoren flächen­deckend zu verteilen.

Auch sonst muss die tatsäch­liche Nutzung der 5G-Vorteile klar fest­geschrieben werden: Unfall­vermei­dung via 5G darf nicht exklusiv den anfangs sicher sünd­haft teuren voll­auto­nomen Fahr­zeugen vorbe­halten bleiben, sondern muss auch in normalen Autos erschwing­lich sein. Dazu könnte und sollte der Gesetz­geber früh­zeitig fest­schreiben, dass er auto­nome Fahr­zeuge nur zulassen wird, wenn sie über 5G-car-to-car-Kommu­nika­tion verfügen und die Hersteller sich verpflichten, auch für alle neuen nicht auto­nomen Fahr­zeug­serien einen auf derselben herstel­lerüber­grei­fenden 5G-Schnitt­stelle basie­renden Notbrems­assis­tenten für unter 100 Euro Aufpreis anzu­bieten. Die Über­prüfung, ob diese car-to-car-Systeme im Gefah­renfall tatsäch­lich Notbrem­sungen auslösen, sollte der Staat an zwei bis drei vertrau­enswür­dige und unab­hängige Orga­nisa­tionen ausla­gern, nachdem er bei der Prüfung der Diesel-Grenz­werte zuletzt so kläg­lich versagt hatte.

Schäd­lich­keit klar bestimmen

Wenn 5G richtig genutzt wird, bringt es auch dem Durch­schnitts­bürger Vorteile. Schon recht bald möglich wären schnel­lere Brand­löschung dank der genannten Sensoren, in kommenden Jahren dann die Unfall­vermei­dung oder die Video­konfe­renzen mit dem Notarzt.

Auf der Nega­tivseite stehen die Verschan­delung der Land­schaft mit noch mehr Antennen und die zuneh­mende Strah­lenbe­lastung. Durch die Nutzung neuer, teils deut­lich höherer Frequenzen, ist die Gefähr­dung durch 5G auch nicht direkt mit der Gefähr­dung durch öffent­lichen Rund­funk, 2G, 3G und 4G vergleichbar. Um die Gefähr­lich­keit der von 5G ausge­henden Strah­lung zu erfassen, wäre m. E. eine große von beiden Seiten - Mobil­funk­skep­tikern wie -befür­wortern - gemeinsam durch­geführte Studie ange­bracht. Dazu sollten Experten beider Seiten einge­laden werden, ein gemein­sames Studi­enkon­zept zu erar­beiten. Dieses Konzept wird eine Menge an Über­wachung vorsehen müssen, damit nicht zur Opti­mierung des Studi­energeb­nisses die Befür­worter jene Basis­stati­onsan­tenne abschalten, die die Versuchs­tiere bestrahlt, und ebenso wenig die Skep­tiker kein Gift ins Futter der bestrahlten Tiere mischen können. Viele dieser Probleme sollten sich aber durch ein verblin­detes Design lösen lassen, wo keiner weiß, welche Antenne wann welche Versuchs­tiere bestrahlt, diese Strah­lung aber dennoch gemessen und im Nach­hinein ausge­wertet wird. Zudem sollten mehrere Versuchs­serien parallel laufen, zum Beispiel Bestrah­lungs­versuche an Zell­kulturen, an Nage­tieren und an Primaten, sowie eine Beob­achtungs­studie an Menschen.

Es ist nicht unwahr­schein­lich, dass der Versuch, ein gemein­sames Studi­enkon­zept zu erstellen und anschlie­ßend eine gemein­same Studie durch­zuführen, schei­tern wird. Für diesen Fall sollte schon vorab fest­gelegt werden, dass alles, was zum Schei­tern geführt hat, öffent­lich gemacht werden wird, insbe­sondere also Aufzeich­nungen von Konfe­renzen und ausge­tauschte Doku­mente. Bei erfolg­reicher Durch­führung und Abschluss der Studie reicht es hingegen, das fertige Konzept und die Ergeb­nisse der Studie zu veröf­fent­lichen.

Billig ist eine solche Studie sicher nicht, vor allem, wenn sie aussa­gekräf­tige Ergeb­nisse liefern soll. Doch die jetzige verfah­rene Situa­tion ist am Ende noch teurer. M. E. hat die Mobil­funk­branche durch eine sauber durch­geführte und kritisch von beiden Seiten - Befür­wortern wie Skep­tikern - beäugte Studie auch nichts zu verlieren, da m. E. die Fakten auf ihrer Seite stehen.

Weitere Edito­rials