Netzausbau

Editorial: Der Kampf um die 5G-Netze beginnt

Der Regionalnetzbetreiber wilhelm.tel will sich ebenfalls um eine 5G-Lizenz bemühen. Was spricht dafür und kann das gutgehen?
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Vortragsfolie: Anforderungen an 5G-Netze Anforderungen an 5G-Netze
Foto: teltarif.de - Kai Petzke
Es klingt erstmal verrückt: Der Stadtnetzbetreiber wilhelm.tel will sich um eine 5G-Lizenz bewerben. Schaut man sich die Vergangenheit an, insbesondere, wie die beiden zuletzt gestarteten und mittlerweile fusionierten Netze E-Plus und o2 bis heute darum kämpfen, mit den führenden Anbietern Telekom und Vodafone mitzuhalten, muss man sich wirklich die Frage stellen, wie wilhelm.tel es schaffen will, zu einem noch viel späteren Zeitpunkt erfolgreich in den Mobilfunkmarkt einzutreten.

Die Begründung, wie wilhelm.tel es schaffen will, lautet salopp gesagt: Künftig werden für 5G alleine für Hamburg etwa so viele Antennen benötigt werden, wie jeder der drei Netzbetreiber derzeit bundesweit aufgestellt hat. Die für 5G nötige drastische Netzverdichtung werden die Netzbetreiber gar nicht schnell genug hinbekommen. Anbieter, die aufgrund intensiven Festnetzausbaus bereits über dichte Infrastruktur vor Ort verfügen, haben also einen gewaltigen Startvorteil.

Schon beim 4G-Ausbau kommen nicht alle mit

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Foto: teltarif.de - Kai Petzke
Das könnte am Ende sogar stimmen. Schaut man sich an, wie beispielsweise o2 schon beim 4G-Netzausbau Probleme hat, in der Berliner Innenstadt mit dem Datenbedarf der Kunden mitzuhalten, scheint die Frage, ob alle Netzbetreiber den 5G-Ausbau rechtzeitig hinbekommen, durchaus berechtigt. So kämpfte o2 Mitte letzten Jahres etwa an Hauptbahnhof und Friedrichstraße mit starken Netzüberlastungen. Ende letzten Jahres fiel dann in der Galeria Kaufhof am Alexanderplatz auf, dass mit o2 nichts mehr geht, aktuell ist die Situation in den Hackeschen Höfen schwierig. Das sind alles Touristenmagnete, wo täglich jeweils tausende o2-Kunden vorbeikommen, und es sich wirtschaftlich für o2 auf jeden Fall rechnen sollte, diese gut zu versorgen. Aber mangels intensiver Präsenz vor Ort verzögert sich dann immer wieder der Aufbau neuer oder Ausbau bestehender Basisstationen, weil erst Standorte akquiriert und Leitungen dorthin gemietet werden müssen.

Das 5G-Geschäft wird wieder regionaler werden

Das 5G-Geschäft wird sich auch wieder stärker regional abspielen als der herkömmliche Mobilfunk. Für Smartphone-Nutzer könnte wilhelm.tel beispielsweise Verträge mit einem Datenvolumen von 1 TB (= 1 000 GB) im eigenen Lizenzgebiet (Hamburg, Norderstedt, Wacken etc.) und 20 GB via Roaming im Rest von Deutschland und der EU anbieten. Dann muss man unterwegs halt auf das 4K-Streaming verzichten - eine Anwendung, die die meisten Anwender freilich sowieso nur zu Hause nutzen werden, wo der große Fernseher steht. Auf dem kleinen Handy-Display reicht auch HD, auf dem Tablett Full-HD.

Die genannten 20 GB im Deutschland- und EU-Roaming wird wilhelm.tel zu günstigen regulierten Preisen einkaufen können. Zugleich besteht die Chance, dass wilhelm.tel eigene Kapazitäten an andere Netzbetreiber vermieten kann - nämlich dann, wenn mindestens einer der drei bundesweiten Netzbetreiber beim eigenen 5G-Ausbau im Lizenzgebiet von wilhelm.tel nicht schnell genug mitkommt. Schließlich kann wilhelm.tel mit anderen Stadtnetzbetreibern wie m.net oder Netcologne einen 5G-Verbund schließen können, wenn letztere ebenfalls regionale Lizenzen erwerben.

5G: Der größte Netzumbau aller Zeiten

5G ist die nächste Generation der Mobilfunknetze. Doch was nach 2G/GSM, 3G/UMTS, 4G/LTE nach dem "nächsten normalen Update" klingt, wird in Wahrheit die Mobilfunknetze stärker umkrempeln als jede neue Technologie zuvor. Denn 5G verspricht nicht weniger, als mittelfristig ALLE mobile Kommunikation in einem Netz zusammenzuführen. Getrennte Funkstandards wie WLAN/WiFi, Bluetooth, Zigbee, DECT, Modellautosteuerung bei 27/35/40 MHz, UKW, DAB+, DVB-T/DVB-T2, Polizeifunk und viele, viele weitere sollen mittelfristig alle durch 5G ersetzt werden. Auch künftige Netze und Anwendungen, beispielsweise Auto-zu-Auto, über die sich selbstfahrende Autos gegenseitig vor plötzlich auftauchenden Gefahren warnen, sollen allesamt über 5G realisiert werden. Funktioniert das beim Autoverkehr zuverlässig, könnte sogar die Flugsicherung von ihren - technologisch gesehen - doch recht betagten und bandbreitenhungrigen Systemen auf 5G umstellen.

5G deckt einen riesigen Bereich von Datenraten ab, von unter 1 kBit/s bis weit über 1 GBit/s. Die Latenzen/Ping-Zeiten können bei Bedarf bis hinunter zu 1 ms gedrückt werden. Kommt es hingegen nicht auf Geschwindigkeit an und werden nur geringe Datenmengen übertragen, dann sollen 5G-Modems mit einem Satz Batterien zehn Jahre lang durchhalten, zum Beispiel für die Sammlung lokaler Wetterdaten (Lufttemperatur und -feuchte, Bodenfeuchte, Sonneneinstrahlung etc.) für die Landwirtschaft.

Durch die Zusammenführung heute noch getrennter Funkstandards verspricht 5G drastische Kostensenkungen für alle Funkanwendungen. Wenn in einem DVB-T-Receiver künftig derselbe Funkchip und dieselbe Antennentechnologie steckt wie in einem Smartphone, einem Laptop oder einem Heimnetzrouter, dann steigen die Stückzahlen und sinken die Kosten pro Gerät. Zugleich besteht die Hoffnung für die Verbraucher, dass den 5G-Netzen ein längeres "Leben" beschert ist als den bisher üblichen dedizierten Funktechnologien. Die erste Generation des digitalen terrestrischen Fernsehens, DVB-T, war beispielsweise in Berlin gerade mal 14 Jahre in Betrieb (von 2002 bis 2016), in den meisten anderen Bundesländern sogar noch kürzer, da dort die DVB-T-Einführung erst später erfolgt war.

Streit um Sendeanlagen entfällt

Auch der derzeit mit viel Medienaufmerksamkeit geführte Streit um die Preise für den Betrieb von UKW-Sendern erübrigt sich dann mit einem Schlag. Denn der Streit entsteht dadurch, dass die herkömmlichen Sender, die meist auf hohen Funkmasten und Funktürmen untergebracht sind, regional jeweils ein Monopol haben. 5G-Netze wird es aber auch künftig mindestens drei geben, und wenn einem Hamburger Lokalradio die Ausstrahlung über das Telekom-5G-Netz zu teuer wird, dann geht es halt zu o2 oder wilhelm.tel.

Große Verdienstmöglichkeiten - große Investitionen

Weil 5G viel mehr kann als 2G bis 4G, werden die Umsätze der Netzbetreiber künftig wahrscheinlich stark steigen. Neben den klassischen Mobilfunkverträgen kommen Broadcast-Verträge mit den Rundfunkanbietern, selbstfahrende Autos und unzählige industrielle Anwendungen und vielleicht auch noch die bereits erwähnte Flugsicherung hinzu.

Auf der Gegenseite stehen erhebliche Investitionen in 5G. Um die erwarteten hohen Datenraten abzudecken, müssen die Netze erheblich verdichtet werden. Massive-MIMO und Beamforming, mit denen sich der Durchsatz pro Basisstation erhöhen lässt, werden wahrscheinlich nicht ausreichen. Daher ist es zu begrüßen, wenn möglichst viele regionale Festnetzanbieter oder gar die Betreiber von Gewerbegebieten oder (Flug)häfen sich jeweils um eigene 5G-Lizenzen bewerben. Der Kampf um 5G beginnt!

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