Editorial: Hamburg bekommt kein 5G-Netz
Zahl der Einwohner von Hamburg wird weiterhin kein schnelles Internet bekommen
Bild: teltarif.de
Man stelle sich vor, der Chef der Bundesnetzagentur, Jochen Homann,
würde ankündigen, dass die künftigen
5G-Lizenzen so ausgestaltet werden,
dass Hamburg nicht mit dem neuesten Mobilfunknetz versorgt wird, sondern
in der 4G-Ära stehenbleiben wird. Die darauf folgende Diskussion um
Homann würde dem aktuellen Wirbel um
Bundesverfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen wohl kaum
nachstehen. Wie kann es sein, dass die zweitgrößte Stadt Deutschlands
von einer der wichtigsten Zukunftstechnologien abgeschnitten wird?
Nun hat Homann Hamburg nicht zum Funkloch erklärt. Aber im aktuellen Entwurf seiner Behörde zu den Rahmenbedingungen der 5G-Frequenzversteigerung ist ein Abdeckungsgrad von lediglich 98 Prozent der Haushalte vorgesehen. Mit anderen Worten: Zwei Prozent der Haushalte dürfen unversorgt bleiben. Da die Weißen Flecken traditionell vor allem in ländlichen Gebieten zu finden sind und die Haushaltsgröße traditionell in den ländlichen Gebieten größer ist als in den Städten, bedeutet das, dass ca. 2,1 Prozent der Bevölkerung nicht versorgt werden müssen. Das entspricht 1,74 Millionen Bürgern, fast genau der Einwohnerzahl Hamburgs von 1,76 Millionen.
Zahl der Einwohner von Hamburg wird weiterhin kein schnelles Internet bekommen
Bild: teltarif.de
Nun decken sich die Gebiete, die künftig nicht mit 5G versorgt
werden, großteils mit den Gebieten, die auch mit 3G und 4G stark
unterversorgt sind, und in denen auch schnelle Festnetzanschlüsse
rar sind. Möglicherweise bleibt der große Aufschrei angesichts des
98-Prozent-Ziels also aus, weil die 5G-Funklöcher genau diejenigen
treffen, die telekommunikationstechnisch eh schon auf der
Verliererseite stehen. Aber eigentlich sollte es genau anders herum
sein, dass der Aufschrei um so lauter sein sollte, weil die digitale
Spaltung Deutschlands abermals weiter zementiert wird!
Schlimmer noch: Für viele Orte, an denen sich Menschen während der Arbeit oder der Freizeit aufhalten, gibt es überhaupt keine Versorgungsverpflichtung. Industriegebiete werden ebenso wenig erfasst wie beliebte Ausflugsziele oder Wasserstraßen. Immerhin gibt es für "fahrgaststarke Bahnstrecken" eine Verpflichtung zur Versorgung, ebenso für alle Autobahnen und Bundesstraßen, letzteres aber nur für einen der drei Netzbetreiber, nämlich den, der einen bestimmten Frequenzblock im Bereich um 2 GHz ersteigert. Und die Versorgungsverpflichtung für die Bahnstrecken hängt davon ab, dass die "Betreiber der Schienenwege sowie die Eisenbahnverkehrsunternehmen geeignete unterstützende Infrastruktur bereitstellen." Mit anderen Worten: Verlegt der Schienennetzbetreiber keine Glasfaserkabel neben seinen Bahnstrecken zur Verwendung durch die Netzbetreiber, oder baut der Zugbetreiber keine Mobilfunkrepeater und WLAN-Router in seine Züge ein, dann entfällt für die Netzbetreiber die Versorgungsverpflichtung. Zudem gilt das alles nur für "fahrgaststarke" Strecken.
Unklare Definition der Versorgung
Im Detail heißt es im Entwurf für die 5G-Versteigerung: "Der Zuteilungsinhaber muss bis zum 31. Dezember 2022 eine Abdeckung von mindestens 98 Prozent der Haushalte in jedem Bundesland mit einer Übertragungsrate von mindestens 100 MBit/s im Downlink im Antennensektor erreichen." An anderer Stelle wird ausgeführt, dass die geforderte Datenrate "nicht nur an der Antenne sondern auch im Antennensektor bereitzustellen" ist. Es wird aber weder ausgeführt, wo genau im Antennensektor oder im jeweiligen Haushalt die Bitrate gemessen wird, noch zu welcher Uhrzeit.
Einschränkend heißt es in den Erläuterungen zum Entwurf zudem weiter: "Ein Haushalt gilt als versorgt, wenn dort die o. g. Datenrate grundsätzlich verfügbar ist. Die Verkehrslast durch andere Teilnehmer wird hierbei nicht berücksichtigt." Legt man diesen Satz bestmöglich zugunsten der Netzbetreiber aus - und das werden die Netzbetreiber mit Sicherheit tun - dann ergibt sich folgendes: Ein Haushalt gilt selbst dann als mit 100 MBit/s versorgt, wenn diese Geschwindigkeit überhaupt nur nachts um halb drei und mithilfe eines direkt auf die Basisstation ausgerichteten Außenrouters erreicht wird. Mit dem Smartphone ohne Zusatzrouter verbleiben im Innenraum abends zur Prime Time bei ansonsten gleichen Bedingungen dann noch effektiv 1 MBit/s, wenn nicht gar noch weniger. Und das, obwohl der Haushalt offiziell mit 100 MBit/s als versorgt gilt. Das Missverhältnis zwischen offiziellem Wert und Praxiswert könnte also noch extremer ausfallen als beim Dieselskandal, bei dem die Fahrzeuge im Realbetrieb typischerweise "nur" die zehnfachen Schadstoffemissionen der Prüfstandsmessungen hatten.
Natürlich würde die Bundesnetzagentur über das Ziel hinausschießen, wenn sie fordert, dass 99,9 Prozent der Bevölkerung zu 99 Prozent der Zeit beim Smartphone-Surfen mindestens 100 MBit/s an freier Bandbreite zur Verfügung stehen muss, unabhängig davon, wie intensiv gerade alle anderen Kunden die jeweilige Zelle nutzen. Es wird immer Funklöcher und Netzüberlastungen geben, das steht außer Frage. Aber wenn das wenig ambitionierte Ziel von 98 Prozent der Haushalte noch mit einer windelweichen Messvorschrift für den Versorgungsgrad kombiniert wird, dann wird unnötig tiefgestapelt. Es wäre durchaus möglich, einiges mehr zu fordern, ohne, dass das das Budget der Netzbetreiber überlastet.