Festnetz

Was wird aus Call-by-Call und Preselection?

WIK-Studie untersucht Entwicklung des Festnetzmarktes in Deutschland
Von Marie-Anne Winter

Die Rolle von Call-by-Call und Presel­ection als wesent­liche Markt­beschleu­niger nach der Libe­rali­sie­rung des TK-Marktes in Deutsch­land verliert nach­haltig an Bedeu­tung. Neue Chancen für das Geschäfts­modell könnte es aller­ding auch in einer zu NGN/IP migrierten Welt geben, wenn die heutige Regu­lie­rungs­basis bestehen bleibt. Zu diesem Schluss kommt eine jetzt veröf­fent­liche Studie des Wissen­schaft­liches Institut für Infra­struktur und Kommu­nika­tions­dienste (WIK). Die Studie hat sich vor allem mit der Frage beschäf­tigt, welchen Chancen und Heraus­for­derungen das klas­sische Geschäfts­modell eines Verbin­dungs­netz­betrei­bers ange­sichts des stark verän­derten TK-Umfeldes ausge­setzt ist.

"Verbin­dungs­netz­betreiber", erklärt Dieter Elix­mann, Leiter Markt­struktur und Unter­neh­mens­stra­tegien beim WIK, "waren für die Entste­hung und Inten­sivie­rung des wett­bewerb­lich orien­tierten, sprich: preis­lich dyna­mischen, Tele­kom­muni­kati­ons­marktes in Deutsch­land unver­zichtbar." Seit 1999 sind die Verbin­dungs­netz­betreiber (VBN) als "Markt­beschleu­niger" am Start; mehr als 100 mit einer eigenen Betrei­ber­kenn­zahl (insge­samt 114) gibt es noch heute.

Das Geschäfts­modell VNB, also das Angebot von Call-by-Call (der Kunde wählt eine Betreiber-Kenn­zahl pro Anruf) oder Presel­ection (der Kunde nutzt einen fest vorein­gestellten Wett­bewerber) kann im Prinzip mit sehr beschränktem Kapi­tal­auf­wand imple­men­tiert werden: Ledig­lich mehr als zwei Über­tra­gungs­wege, die mit mindes­tens einer Vermitt­lungs­ein­rich­tung verbunden sein müssen, hat ein Unter­nehmen nach­zuweisen, wenn es im deut­schen TK-Markt als VBN tätig werden möchte.

Nur 10 Prozent der Verbin­dungs­minuten per Call-by-Call und Presel­ection

Aber inzwi­schen, so Elix­mann, hätten sich sowohl über tech­nische Entwick­lungen bei der Netz­infra­struktur als auch im Markt­umfeld die Bedin­gungen für dieses spezi­elle Geschäfts­modell funda­mental verän­dert. Und in der Tat: Insge­samt entfallen 2009 nur noch rund 10 Prozent aller Verbin­dungs­minuten auf Call-by-Call und Presel­ection. Damit ist die Bedeu­tung des VNB-Geschäfts in Deutsch­land in den letzten fünf Jahren um rund zwei-Drittel geschrumpft. Die Anzahl der Presel­ection-Nutzer lag im ersten Quartal 2009 nur noch bei 3,3 Millionen Nutzern - noch sechs Jahre zuvor hatten sich über 6 Millionen Menschen für eine alter­native Betrei­ber­kenn­zahl entschieden. Zur sinkenden Attrak­tivität von Call-by-Call und Presel­ection tragen vor allem die vermehrte Mobil­funk­nut­zung, die zahl­rei­chen VoIP-Lösungen sowie das allge­mein gesun­kene Preis­niveau für Sprach­dienste, insbe­son­dere im natio­nalen Bereich, bei. ein klassisches Festnetz-Telefon ein klassisches Festnetz-Telefon
Bild: Marius Hasnik - Fotolia.com

Zentrale Bedeu­tung für das VNB-Geschäfts­modell hat die Regu­lie­rung. Im euro­päi­schen Rechts­rahmen von 2002 verpflich­tete Artikel 19 der Univer­sal­dienst­richt­linie Unter­nehmen mit beträcht­licher Markt­macht, eine Betreiber(vor)auswahl zu ermög­lichen. Mit dem Review des Rechts­rah­mens Anfang des Jahres ist diese euro­päi­sche Direk­tive aufge­hoben und künftig national zu regeln. Mit ihrer Regu­lie­rungs­ver­fügung zu Markt 1 hat die Bundes­netz­agentur hier Anfang 2010 eine Verpflich­tung für die Telekom Deutsch­land ausge­spro­chen und zwar sowohl für tradi­tio­nelle PSTN- wie auch IP-Anschlüsse. Wie aller­dings die lang­fris­tige Entschei­dungs­praxis der Bundes­netz­agentur hierzu aussehen wird, ist offen. Fest steht in jedem Fall, dass Ände­rungen zu diesem Thema gravie­rende Auswir­kungen auf das VNB-Geschäft haben werden.

Neben der regu­lato­rischen Basis unter­sucht die WIK-Studie insge­samt sechs poten­zielle Einfluss­größen auf das VNB-Geschäft von morgen: die Migra­tion der Netze zu IP und NGN und sich daraus erge­bende Ände­rungen bei den regu­lierten Vorleis­tungen, die Anschluss­ent­wick­lung bei der Telekom als Rahmen­größe für das zukünf­tige Markt­poten­zial der VBN, eine "Zwangs­migra­tion" der verblei­benden PSTN-Anschlüsse bei der Telekom, die weitere Gesprächs­sub­sti­tution durch Mobil­funk und VoIP und die künf­tige Preis­ent­wick­lung und -gestal­tung im Bereich der Sprach­dienste und Image­aspekte. Elix­mann: "A priori sehen wir durchaus Möglich­keiten der Re-Posi­tio­nie­rung für das VBN-Geschäfts­modell, z.B. durch verstärkte Inves­titionen in eine eigene Netz­infra­struktur oder die Erwei­terung des Produkt­port­folios um eine Breit­band­kom­ponente." Die Studie beur­teilt eine solche Entwick­lung aller­dings als eher unwahr­schein­lich und stellt zusam­men­fas­send fest: "Insge­samt wird die Rolle der Verbin­dungs­netz­betreiber auch für die Zukunft auf die Sprach­dienste, und hier vor allem zu inter­natio­nalen Desti­nationen, fokus­siert sein, wo sie ihre Kern­kom­petenz der extrem kurz­fris­tigen Opti­mie­rung der Vertei­lung der Verkehrs­last, ausnutzen werden."