Nur Bares ist Wahres: Mythos oder Wahrheit?
V.l. Binnebößel (HDE), Schmitz-Engels (Mastercard), Rausch (Glory), Gladis (Computop), Treiß (Mobilebranche), Petzold (DKB)
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Unter dem Stichwort „Cash vs. Cashless“ diskutierten Markus Petzold von der DKB-Bank, Juliane Schmitz-Engels von Mastercard, Ulrich Binnebößel vom Hauptverband des deutschen Einzelhandels (HDE), Ralf Gladis, Geschäftführer der Firma Computop und Thomas Rausch von Barzahlungsdienstleister Glory unter der Diskussionsleitung von Florian Treiß (Mobilbranche) die Zukunftsperspektiven rund ums Bezahlen im Handel. Treffpunkt war das Basecamp in Berlin. teltarif.de war vor Ort.
Oft fehlt die Wahlmöglichkeit beim Bezahlen
V.l. Binnebößel (HDE), Schmitz-Engels (Mastercard), Rausch (Glory), Gladis (Computop), Treiß (Mobilebranche), Petzold (DKB)
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Der Trend geht nach Ansicht der Teilnehmer auch in Deutschland klar zur bargeldlosen Zahlung, auch wenn sich hierzulande die Zahl der Umsätze mit Bargeld oder bargeldlos noch die Waage halten.
Bezieht man die Statistik auf die stattgefundenen Transaktionen, werden sogar noch drei Viertel aller Einkäufe in bar bezahlt.
Mit der langsam immer flächendeckender werdenden Aufstellung kontaktloser Bezahlterminals wurde die Grundlage für Mobile Payment und kontaktlose Kartenzahlung geschaffen. Ein wichtiger Punkt waren die Starts von Google Pay und Apple Pay Mitte bzw. Ende 2018.
Im internationalen Vergleich bezahlen die Deutschen noch deutlich häufiger in bar als beispielsweise in Schweden, wo mittlerweile über 80 Prozent aller Transaktionen bargeldlos – also per Karte, über Online-Bezahlung oder das Handy oder die Smartwatch - abgewickelt werden.
Die Deutschen lieben Bargeld?
Die oft zu lesende Schlagzeile „die Deutschen lieben ihr Bargeld“ sei aber Quatsch. Es fehle oft schlicht eine Alternative oder die Wahlfreiheit, so Mastercard-Expertin Juliane Schmitz-Engels. Sie sieht das Handy als "Geldbörse der Zukunft: Die Menschen haben das Handy öfter in der Hand als ihr Portemonnaie. Bereits im ersten Jahr nach Start von Apple Pay ist ein deutlicher Wandel zum mobilen Bezahlen überall spürbar.“
Doch Bargeld hat auch Vorteile: Wer Wert auf Datenschutz legt oder ein Backup beim Ausfall bargeldloser Systeme braucht, ist mit Bargeld theoretisch besser dran, nur Bargeld ist anfällig für Fälschungen, fördert kriminelle Geschäfte oder sogar den Diebstahl im Handel.
Thomas Rausch vom Bargeld-Spezialisten Glory plädiert dafür, sich vom Bild des "klassischen Barzahlers oder Nichtbarzahlers" zu verabschieden: "Viel wichtiger ist es, dass der Einkauf convenient für den Käufer ist.“
Deutsche Banken hören (neuerdings) auf ihre Kunden
Lange hat es gedauert. Ralf Gladis vom Bezahldienstleister Computop zweifelt an der Liebe der Deutschen zum Bargeld. Schlechte Kartenprodukte der deutschen Banken seien mit schuld am Status quo, findet er. Die Banken hätten lange verschlafen, bargeldloses Bezahlen im Laden für den Kunden komfortabel zu machen. Aktuell drängen neben den Lösungen aus den USA wie Google Pay und Apple Pay auch chinesische Firmen wie Alipay und WeChat auf den europäischen Markt: Chinesische Touristen können in Deutschland bereits an vielen Stellen mit Alipay oder WeChat Pay bezahlen. "Da ist der nächste logische Schritt, dass auch Deutsche Kunden das nutzen können", und damit könnten chinesische Anbieter den deutschen Banken bald das Wasser abgraben.
Den Banken bleibt da oft nur noch die Rolle des Mitläufers. Gerade noch rechtzeitig hat das die DKB-Bank erkannt und konnte im Juni 2019 Apple Pay freischalten, deren Innovationschef Markus Petzold gewährte Einblicke in die als "einfallslos" gescholtene Branche.
Die Nachfrage nach Apple Pay war vehement: „Tausende Nutzeranfragen, explodierende Suchanfragen“. Da haben wir - weniger aus Überzeugung oder Innovationsfreude - eingelenkt, denn die ohnehin geringe Transaktionsgebühr muss sich die Bank mit Apple teilen.
Die Bank hat ein "gespaltenes Verhältnis" zum Bargeld. Einerseits ist das kostenlose Abheben von Bargeld das Verkaufsargument für die eigene Kreditkarte, andererseits hat die DKB eine Kampagne gestartet, um mit Barzahlungsmythen zu brechen: „Die Plastikkarte wird verschwinden“.
Biometrie wird beim Payment immer wichtiger
Ralf Gladis denkt schon weiter: Der Bezahlvorgang werde in Zukunft vordergründig komplett verschwinden. „Die Plastikkarte wird verschwinden.“ Das letzte Überbleibsel des Bezahlvorgangs sei dann die Authentisierung durch Biometrie oder ein Passwort.
Schon heute gäbe es genügend Beispiele: In der Londoner U-Bahn kann man kontaktlos und mobil per NFC zahlen. Die Karte ist dort der Fahrschein, der automatisch beim Betreten und Verlassen des Bahnsteigs gelöst wird und automatisch das günstigste Ticket berechnet. Das gab es in ähnlicher Form auch in Deutschland mit der leider eingestellten Touch&Travel-App der Deutschen Bahn.
Handel will einheitlichen, europäischen Bezahlstandard
Vom Bargeld will sich Ulrich Binnebößel, der seit 2006 den Bereich „Zahlungsverkehr“ im Hauptverband es Deutschen Einzelhandels (HDE) verantwortet, nicht verabschieden. Für die Händler ist Bargeld zwar in Sachen Hygiene, Beschaffung, Sicherheit usw. oft mit Nachteilen verbunden. Viele Händler bieten mittlerweile an ihren Kassen sogar die Abhebung von Bargeld (bei Erreichen eines Mindestumsatzes) an, was in Zeiten der immer weniger werdenden lokalen Bankfilialen vor Ort einen echten Mehrwert für die Kunden bietet.
Im Handel sei die Akzeptanz durch den nahezu flächendeckenden Ausbau kontaktloser Bezahlterminals zwar hoch, dennoch müsse man Kunden die Wahlfreiheit lassen, wie sie ihre Waren bezahlen. Durch die Flut verschiedener Zahlungsmittel seien Kunden oft überfordert. Die Händler geraten unter Druck, weil sie verschiedene Zahlungsstandards anbieten müssen, um ihre Kunden nicht zu verschrecken. Das bedeutet: Etliche Verträge, zum Teil unterschiedliche Zahlungsterminals.
Deshalb fordert Binnebößel einen zentralen europäischen Bezahlstandard auf Basis der SEPA-Überweisung, den auch alle Bezahlanbieter nutzen könnten und der auf einen Schlag eine breite Akzeptanz aller gängigen Bezahloptionen im stationären Handel möglich machen würde.
Wer ist mein Kunde?
Das Fehlen einheitlicher Standards stellt Händler auch vor Probleme bei der Authentisierung der Kunden beim Bezahlvorgang, die bisher in der Regel von den Banken durchgeführt wird. Das führt dazu, dass die Händler zunehmend die Kundenauthentifizierung selbst machen und sich so die Kontrolle über das Kauferlebnis im Onlineshop zurückholen.
Die Zukunft: Digitales Bargeld?
Binnebößel wünscht sich eine Zahlart, die die Vorteile beider Welten kombiniert, etwa eine Art digitales Bargeld. Eine staatlich ausgegebene Kryptowährung wie die in Schweden kürzlich testweise eingeführte E-Krone sei eine Möglichkeit. Ansätze, die Bargeld und digitalen Handel verbinden, gibt es bereits seit Jahren: Mit Barzahlen.de, das kurz vor der Übernahme durch Glory steht (einem japanischen Hersteller für Bargeld-Recyclingmaschinen, die man u.a. bei Edeka und an Shell-Tankstellen finden kann), können Online-Rechnungen im stationären Handel bar bezahlt werden. Barzahlen.de arbeitet beispielsweise mit den Online-Banken N26 und o2-Banking [Link entfernt] zusammen.
Und die Praxis:
Der Autor hat in Berlin im Selbstversuch probiert, bargeldlos über die Runden zu kommen. Es geht inzwischen erstaunlich gut. Selbst Imbissbuden an Bahnhöfen halten immer öfters ein kontaktloses Bezahlterminal bereit. Auch Bezahlen mit der Uhr wird gerne akzeptiert. Auch beim Nobel-Italiener wurde der Autor kurz taxiert: "Sie zahlen mit Karte?" Das Bezahlen mit Uhr scheint dort schon Standard zu sein.
Verlässt man Berlin mit der Bahn, zuckte schon die freundliche Schaffnerin mit frischem Kaffee die Schultern: "Karte? Das kommt bei uns erst nächstes Jahr." Steigt man dann aus, irgendwo im Land, sieht es ähnlich aus: Nur Bargeld, und ab und zu einmal die "EC-Karte", die längst "Girocard" heißt (der Begriff "EC"-Karte ist längst von Mastercard für seine eigene Maestro-Debitkarte als Marke geschützt).