Hörgewohnheiten

CD und Vinyl für Sammler - Musik-Streaming für die Masse

Jahre­lang kannte der Trend für Deutsch­lands Musik­indus­trie nur eine Rich­tung: abwärts. Nun kehrt der Opti­mismus zurück - obwohl die Hörer immer weniger CDs kaufen. Das Musik-Strea­ming ändert alles, auch die Hörge­wohn­heiten.
Von dpa /

Die Deutschen kaufen noch CDs - aber es wird weniger Die Deutschen kaufen noch CDs - aber es wird weniger
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Warm klin­gende Vinyl­platte oder knis­terfreie CD? Diese von Musi­kern und Fans ideo­logisch aufge­ladene Frage nach dem opti­malen Sound-Genuss hat nun auch die Kund­schaft in Deutsch­land eindeutig beant­wortet - zugunsten des nüch­tern-prag­mati­schen digi­talen Audio­strea­mings.

Nach den Halb­jahres­zahlen des Bundes­verbandes Musik­indus­trie (BVMI) vom Donnerstag lässt die Branche ihre fast 20 Jahre währende Krise hinter sich, weil die Menschen ihre Lieb­lings­musik auch hier­zulande immer weniger auf Tonträ­gern kaufen, sondern über Platt­formen streamen wie Spotify, Amazon, Apple Music, Tidal oder Deezer. Die Gewohn­heiten beim Musik­konsum ändern sich radikal, wie auch eine derzeit laufende Nutzer­studie zeigt.

Digital-Umsatz: Zwei Drittel des gesamten Marktes

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Gingen die Gesamt­umsätze nach Verbands­berech­nung 2017 und 2018 noch leicht zurück, so läuft es dieses Jahr bisher wieder rund. Bei 783,2 Millionen Euro Umsatz in den ersten sechs Monaten verzeich­nete die Musik­branche ein Plus von knapp 60 Millionen Euro (7,9 Prozent) im Vergleich zum Vorjah­reszeit­raum - die höchste Wachs­tums­rate seit 1993. Zum Vergleich: Zwischen 1998 und 2012 hatten sich die Umsätze fast halbiert.

Weder Compact-Discs mit zuletzt nur noch 28,2 Prozent Markt­anteil (nach 36,4 Prozent im Gesamt­jahr 2018) oder Vinyl-Schall­platten mit gleich­blei­bend 4,4 Prozent Markt­anteil sind Antreiber des Trends - sondern das bei vielen Musikpu­risten verpönte Audio­strea­ming. Es legte im ersten Halb­jahr 2019 um satte 27,7 Prozent zu und hat nun 56,4 Prozent Markt­anteil (Gesamt­jahr 2018: 46,4 Prozent). Der Digital-Umsatz insge­samt - inklu­sive vor allem der Musik-Down­loads - hatte einen Anteil von zwei Drit­teln des gesamten Kuchens (2018: 56,7 Prozent).

Tonträger zum Anfassen weniger wichtig geworden

"Das Audio­strea­ming verhilft uns gerade im globalen Markt zu einer Erfolgs­geschichte", sagt BVMI-Vorstands­chef Florian Drücke im Gespräch mit der Deut­schen Presse-Agentur in Berlin. Die Platt­formen seien "hier­zulande mit einem geringen Zeit­rück­stand in den Markt gegangen", räumt der Verbands­manager ein. "Es gab sicher­lich zu Beginn die Sorge vieler Konsu­menten in Deutsch­land um die persön­lichen Daten beim Zahlungs­verkehr, die Angst vor Miss­brauch von Kredit­karten­daten. Auch hat sich der deut­sche Fan länger in seiner physi­schen Welt aufge­halten als die Fans in anderen Ländern."

Letzt­lich sei es aber nur eine Frage der Zeit gewesen, betont Drücke: "Wann bekommt der Nutzer Appetit auf diese neue Welt des Strea­mings?" Die 2018 gestar­tete, auf drei Jahre ange­legte Unter­suchung "Zur Zukunft der Musik" der Univer­sität Hamburg mit 5140 Befragten zeigt: Jeder zweite Musik­konsu­ment in Deutsch­land nutzt inzwi­schen Strea­ming-Ange­bote.

Der Besitz von Tonträ­gern - das berühmte "hapti­sche Element" beim Umgang mit Musik - oder ein Verfü­gungs­recht über Down­loads ist für fast die Hälfte der Kunden nicht mehr wichtig. Jeder zehnte Befragte besitzt laut Studie keine CDs oder Vinyl­platten mehr. Musik­genuss wird immer flüch­tiger, und die Strea­ming-Auswahl für einen Zehner pro Monat in einem riesigen Musik­katalog kostet weniger als physi­sche Tonträger. Die Bereit­schaft, für Live-Events der Lieb­lings­musiker mehr Geld auszu­geben, ist der Befra­gung zufolge indes hoch.

Deut­sche kaufen vergleichs­weise noch viele CDs

Deutsch­land - der viert­größte Musik­markt der Welt, eine Branche mit rund 20 000 Beschäf­tigten - verab­schiedet sich von den klas­sischen Tonträ­gern gleich­wohl weniger radikal als andere Länder. "Der Markt ist hier ein biss­chen anders, die CD ist weiterhin gefragt", erklärt Verbands­chef Drücke. Seit dem "Napster-Schock" mit Musik-Tausch­börsen und massen­haft privat gebrannten CDs war die Nach­frage abge­stürzt. Im ersten Halb­jahr 2019 stabi­lisierte sie sich nun etwas, aber immer noch mit deut­lichem Minus (28,2 Prozent, nach 36,4 Prozent 2018).

"Es gibt bei uns nach wie vor viele Jäger und Sammler von Musik", sagt Verbands­chef Drücke. Dies gilt erst recht für den Bereich Vinyl - auch wenn bei den schwarzen Scheiben die Bäume nicht in den Himmel wachsen: 2018 gab es die erste Umsatz-Delle seit Jahren, nun geht es wieder etwas bergauf.

"Die Geschichte war ja auch zu schön: Die Vinyl­platte rollt das Feld von hinten auf", so Drücke im dpa-Inter­view. "Es ist ein posi­tives, ein warmes Thema, das sich so gut absetzt gegen das für manche etwas kühle Digital-Thema." Letzt­lich habe jedoch "keiner in der Branche von zwei­stel­ligen Markt­anteilen geträumt".

Ob und wie sich demnächst höhere Preise fürs kosten­pflich­tige Audio­strea­ming durch­setzen lassen, ist nach Drückes Worten schwer einzu­schätzen. "Das Umsonst-Angebot ist eben reich­lich verfügbar."

Um beispiels­weise YouTube in die Verant­wortung zu nehmen, sei aber immerhin "mit der Urhe­berrechts-Richt­linie auf euro­päischer Ebene einiges passiert", meint der BVMI-Manager. "Zentral ist für uns, dass eine Platt­form wie YouTube, die als aktiver Dienst tief an der Verbrei­tung und Nutzung von Musik parti­zipiert, nicht weiterhin sagen kann: Wir müssen Euch eigent­lich nichts zahlen, aber wir zahlen Euch trotzdem frei­willig ein biss­chen."

In einem sepa­raten Artikel geben wir Ihnen eine Über­sicht der wich­tigsten Musik-Strea­ming-Anbieter.

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