Deutschland, Schweiz, Spanien: Sind die Netze überlastet?
Stau an den Landesgrenzen. Könnte es auch zum Stau im Internet kommen?
Foto: Picture Alliance / dpa
Viele Länder in Europa sind dabei, den "Lockdown" durchzuführen. Eine wesentliche "Nebenwirkung" wird die stärkere Nutzung der Kommunikationsnetze sein. Am letzten Montag, so berichtet die renommierte Neue Züricher Zeitung (NZZ), sei es in der Schweiz bei Anrufen über Mobilfunk oder Festnetz immer wieder zu Unterbrechungen gekommen.
Infrastruktur stärker belastet
Stau an den Landesgrenzen. Könnte es auch zum Stau im Internet kommen?
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Als Grund nannte Swisscom die "enorm gesteigerte Belastung der Infrastruktur". Es seien dreimal mehr Anrufe über das Mobilfunknetz verzeichnet worden, als an normalen Tagen. Auch im Festnetz sei das Volumen massiv gestiegen. In einer gemeinsamen Erklärung von Swisscom und Sunrise werden die Ausfälle mit Überlastung an den Netzübergangspunkten (zwischen den Netzen) begründet. Diese Übergangspunkte wurden jetzt verstärkt.
Beim Datennetz gebe es zwar noch Reserven, wird eine Swisscom-Sprecherin zitiert: "Aktuell sehen wir noch genügend Kapazität in der Datennetz-Infrastruktur." Home-Office-Anwendungen benötigen - verglichen mit Streaming-Anwendungen wie Swisscom TV, Amazon Prime, Disney oder Netflix - nur einen Bruchteil des Gesamtverkehrs. Da werden Mails verschickt oder vielleicht gechattet. Streaming bindet deutlich mehr Kapazitäten.
Doch offenbar könnte es auch hier Probleme geben, weil das Nutzungsverhalten der Kunden kaum vorhersehbar sei, befürchtet man bei der Swisscom. Das Unternehmen appelliert auf seiner Homepage an die Nutzer, die "Telekommunikationsnetze verantwortungsvoll" zu nutzen. Trotz des aktuellen Kapazitätsausbaus könne es nach wie vor punktuell zur Überlastung kommen – entscheidend sei das Verhalten der Bevölkerung.
Regierung könnte Video-Streaming blockieren
Aus gutem Grund: Hinter den Kulissen haben bereits Gespräche zwischen der Schweizer Regierung und den Telekommunikationsanbietern stattgefunden. Der Schweizer Bundesrat (=Bundesregierung) fordere dazu auf, die Dienste der Telekomfirmen zurückhaltend zu nutzen. Dazu gehörten insbesondere datenintensive Dienste wie die Übertragung von Video-Dateien. Es gehe darum, die Ressourcen für die wichtigen Dienste freizuhalten. Und die Drohung ist massiv: "Sollten gravierende Engpässe entstehen, hat der Bund die Möglichkeit, nicht versorgungsrelevante Dienste einzuschränken oder zu blockieren."
Insider glauben, dass das nichts bringen würde. Die Probleme lägen bei der Swisscom tiefer und seien älter. Kritisiert werden immer wieder eine jahrelange rigide Sparpolitik, weil eine stabile robuste und zuverlässige Telekommunikationsinfrastruktur vor allen Dingen viel Geld und erfahrenes Personal braucht und im Zeitalter von Börsenkursen und "Shareholder Value" nicht mehr "sexy" ist. Das ist aber im Grunde kein typisch schweizerisches Problem, sondern besteht weltweit mehr oder weniger in ähnlicher Dimension.
Frank Dederichs (Swisscom) erklärt die Hintergründe
Im Interview betont Frank Dederichs, bei Swisscom in der Bereichsleitung für IT, Netze und Infrastruktur tätig, dass Redundanz ("der Reservereifen") es alleine nicht sei. Man brauche auch Reifen, die ohne Luft noch eine Weile laufen können ("Resilienz").
Dederichs weiter: "Die Abstände zwischen Software-Updates sind kürzer geworden, und die Lebensdauer der Hardware nimmt ab. Zudem muss das Netz ständig ausgebaut werden, um mit der wachsenden Datenmenge und vielen anderen Anforderungen fertig zu werden. Die Geschwindigkeit, mit der wir Änderungen an unseren Systemen vornehmen müssen, hat sich deshalb massiv erhöht. Heute stehen wir bei mehr als 4000 Änderungen pro Woche an unseren Systemen und dabei sind Fehler leider nie restlos auszuschließen."
In einer Nacht wurden bei mehreren kritischen Netz-Komponenten gleichzeitig ein Software-Update eingespielt, weil das Risiko als gering eingeschätzt wurde. Jetzt weiß man: Besser wäre eine Umstellung in zwei Nächten bei je der Hälfte der Komponenten gewesen.
Ist Spanien überlastet?
Aus Spanien kommt die Meldung, wonach die dortigen Anbieter ihre Kunden "zur vernünftigen und verantwortungsvollen Nutzung der Telekommunikationsnetze" aufgerufen hätten, um die "Verkehrsexplosion" bewältigen zu können. Dabei verfügt Spanien international gesehen, über eine recht gut ausgebaute digitale Infrastruktur. Spanien, Skandinavien oder die baltischen Staaten sind europaweit am besten mit Glasfaser erschlossen. Die Schweiz liegt weit dahinter (und Deutschland noch weiter).
Wie geht Datensparsamkeit?
Die spanischen Empfehlungen könnten nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland eines Tages auftauchen: "Zu Bürozeiten soll die Kapazität Leuten vorbehalten sein, die im Home-Office oder beim E-Learning auf das Internet angewiesen sind. Um nicht mit "Freizeitverkehr" die Netze zu verstopfen, soll auf Online-Videospiele oder Streaming-Dienste zu Stoßzeiten verzichtet werden.
Das Herunterladen großer Dateien will überlegt sein, nicht jeder installiert eine neue Linux Distribution oder lädt ein Systembackup aus dem Netz, aber auch das Herunterladen eines Films in Blue-Ray-Qualität braucht Leistung.
Die Spanier empfehlen, statt des mobilen Telefons das Festnetztelefon zu verwenden. Bei Telefonkonferenzen solle auf die Video-Funktion verzichtet werden.
Auch in Deutschland könnten Netflix und Co. im Notfall abgeschaltet werden. Mehr dazu lesen Sie in einer weiteren News.