Digitalradio

Niedersachsen: Landtag einstimmig für Ende von DAB+

Der nieder­säch­sische Landtag hat die Landes­regie­rung dazu aufge­fordert, sich für eine Been­digung des Digi­talra­dios DAB+ einzu­setzen. Damit ziehen die Nord­deut­schen die Notbremse und schützen die regio­nalen UKW-Veran­stalter vor zu viel Konkur­renz.
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Niedersachsen will beim terrestrischen Radio zurück auf UKW only Niedersachsen will beim terrestrischen Radio zurück auf UKW only
Foto: Sangean
Stei­gende Reich­weiten, die Inter­opera­bili­täts­richt­linie, die DAB+-Empfang in Auto­radios und anderen Rund­funk­geräten ab 2020 zur Pflicht machen sollen und die drohende Konkur­renz durch 16 weitere bundes­weite Privat­radios waren dann doch zu viel: Der nieder­säch­sische Landtag hat in seiner Sitzung am 19. Juni 2019 die Digi­talradio-Notbremse gezogen und den von der FDP einge­brachten Antrag zur Radio­verbrei­tung einstimmig ange­nommen, ohne Enthal­tungen oder Gegen­stimmen. Darin wird die Landes­regie­rung dazu aufge­fordert, sich für eine Been­digung von Hörfunk­über­tragungen im DAB+-Stan­dard einzu­setzen.

Ein Strauß voller Unwahr­heiten

Niedersachsen will beim terrestrischen Radio zurück auf UKW only Niedersachsen will beim terrestrischen Radio zurück auf UKW only
Foto: Sangean
In der Aussprache wurden offen Unwahr­heiten verbreitet. So hieß es, DAB+ habe sich "auch nach 20 Jahren" nicht durch­gesetzt, sei "Geld­verschwen­dung" und ledig­lich eine "Über­gangs­lösung". DAB+ wurde in Wirk­lich­keit jedoch erst 2011 in Deutsch­land offi­ziell einge­führt, nachdem zuvor der alte DAB-Stan­dard geschei­tert war. Zudem attes­tiert der Digi­tali­sierungs­bericht der Landes­medi­enan­stalten stetig stei­gende Hörer­zahlen. Der Anteil von Personen in Haus­halten mit Zugang zu mindes­tens einem DAB+-Gerät stieg von 15,7 Prozent 2017 auf 18,1 Prozent im Jahr 2018. Inzwi­schen dürfte der 20 Prozent-Marke deut­lich passiert sein. Im Landtag Nieder­sach­sens hieß es dagegen, nur jede zehnte würde DAB+ nutzen.

Mit Blick auf die Mittel aus dem Rund­funk­beitrag, die den öffent­lich-recht­lichen Sendern für die Finan­zierung von DAB+ zur Verfü­gung stehen, hieß es, dass DAB+ die Schief­lage im dualen Rund­funk­system zulasten der Privat­sender weiter verschlim­mern würde. Das Gegen­teil ist jedoch der Fall: Während die ARD-Anstalten im Digi­talradio nicht unbe­grenzt expan­dieren können, sind dem Privat­funk über DAB+ keine Grenzen gesetzt, da er viel mehr Kapa­zitäten als über UKW nutzen kann.

Beson­ders skurril war die Anmer­kung eines Abge­ordneten, dass DAB+ "tech­nisch nicht funk­tioniere" und die Hörer wieder auf UKW umsteigen würden. Dabei gilt zu bedenken, dass die Sender­netze bei DAB+ noch lange nicht voll­ständig ausge­baut sind.

Zudem wurde in der Aussprache auf starke Hörer­verluste durch die UKW-Abschal­tung in Norwegen verwiesen. Hier haben sich die Hörer­zahlen jedoch nach kurz­zeitigen Rück­gängen wieder voll­ständig erholt. Insge­samt wird im skan­dina­vischen Land sogar weit mehr Radio gehört als zuvor. Die Umstel­lung auf DAB+ war ein voller Erfolg. Zwar haben altein­geses­sene UKW-Veran­stalter Reich­weiten einge­büßt, diese aber mit neuen Digi­talradio-Able­gern wieder mehr als wett­gemacht.

Laut den Parla­menta­riern sei letzten Endes zu akzep­tieren, dass die Hörer an UKW fest­halten wollten. Mit der Entschei­dung setze Nieder­sachsen zudem bundes­weit einen "wich­tigen medi­enpo­liti­schen Impuls".

DAB+-Gegner bekommen Ober­wasser

Es ist ein Beschluss wie maßge­schnei­dert für die DAB+-Gegner. Das sind vorrangig die privaten UKW-Veran­stalter mit exzel­lenter Frequenz­abde­ckung, welche die Kampagne in Nieder­sachsen auch ange­zettelt haben sollen. Der analoge Frequenz­mangel schützt sie vor Konkur­renz. Kaum verwun­derlich, dass sich gleich der Privat­radio­verband Vaunet zu Wort gemeldet hat, der DAB+ schon immer kritisch sah. "Der Nieder­säch­sische Landtag hat einen rich­tungs­weisenden Beschluss gefasst, der über die Landes­grenzen hinaus Wirkung haben wird", sagt Klaus Schunk, Vorsit­zender des Fach­bereichs Radio und Audio­dienste im Vaunet und Geschäfts­führer von Radio Regen­bogen. Er habe die "rich­tigen Schlüsse aus dem Fest­halten an einer Tech­nologie gezogen, die sich im Markt trotz lang­jähriger Werbe­kampa­gnen nicht durch­setzt und weit hinter den Möglich­keiten von digi­talen Verbrei­tungs­wegen zurück­liegt".

Ober­wasser bekommen auch die lokalen Radio­sender aus Nord­rhein-West­falen, die eben­falls als Kritiker von DAB+ gelten. Wie es heißt, wollen sie mit Verweis auf den nieder­säch­sischen Beschluss über die Politik versu­chen, die eigent­lich noch für dieses Jahr geplante Ausschrei­bung von Kapa­zitäten für DAB+ durch die Landes­anstalt für Medien (LfM) in letzter Minute zu stoppen.

Angriff auf Rund­funk­frei­heit und Kultur­hoheit

Offen ist noch, wie die nieder­säch­sische Landes­regie­rung den Beschluss des Land­tags umsetzen wird. Um dem Nord­deut­schen Rund­funk (NDR) die Verbrei­tung über DAB+ zu unter­sagen, müsste der NDR-Staats­vertrag geän­dert werden. Bei Deutsch­land­radio als natio­nalem Hörfunk hat man wohl gar keine Chance, die DAB+-Ausstrah­lung zu stoppen.

Möglich wäre es, die Zustim­mung zur Verbrei­tung von Privat­radios über die beiden bundes­weiten Multi­plexe (der zweite soll noch in diesem Jahr an den Start gehen) zu revi­dieren. Wenn aller­dings Programme wie Radio Bob!, Klassik Radio, Absolut Relax, Energy, sunhine live oder Schwarz­wald­radio nicht mehr digital-terres­trisch im Land verbreitet werden dürfen, wäre es ein nie dage­wesener Angriff auf die Rund­funk­frei­heit und Kultur­hoheit. Schon jetzt werden Stimmen laut, dass der Beschluss aus Nieder­sachsen juris­tisch unter die Lupe genommen werden sollte und mögli­cher­weise ein Fall für das Bundes­verfas­sungs­gericht ist.

Thüringen: TLM schreibt Frequenzen für DAB+ aus

Während Nieder­sachsen DAB+ wieder abschalten will, starten andere Bundes­länder mit dem Digi­talradio richtig durch. Die Versamm­lung der Thüringer Landes­medi­enan­stalt (TLM) hat über eine Ausschrei­bung für landes­weite Digi­talradio-Ange­bote beraten, die in Kürze geplant ist. Zuvor sei es noch notwendig, dass DAB+-Frequenzen bereit­gestellt werden. Zuvor hatte die MA HSH DAB+-Kapa­zitäten für einen Test­betrieb in Schleswig-Holstein ausge­schrieben. Auch im Saar­land starten noch in diesem Jahr regio­nale DAB+-Ange­bote. Somit wird Nieder­sachsen neben Meck­lenburg-Vorpom­mern (hier laufen zumin­dest Bestre­bungen für private Muxe, wobei die Finan­zierung noch nicht geklärt ist) das einzige Bundes­land ohne regio­nales Privat­radio auf DAB+.

Warum diese Entschei­dung keinen Wert hat, lesen Sie in einer weiteren News.

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