Diskussion

DAB+: Nur Brückentechnologie oder doch mehr?

Um den digital-terrestrischen Hörfunk ist eine neue Debatte entbrannt: Ist DAB+ nur eine Brücken­techno­logie, bis das Internet den Hörfunk vollständig transportieren kann?
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Hybride Geräte als Königsweg der Radiozukunft Hybride Geräte als Königsweg der Radiozukunft
Foto: Lenco
Der digital-terrestrische Hörfunk DAB+ wird in Deutschland immer erfolgreicher, auch wenn die prozentualen Steigerungsraten weiter nur linear und keineswegs überproportional sind. Immerhin stehen inzwischen fast 10 Millionen Digitalradios in deutschen Haushalten. Zu viele, dass der bislang skeptische Privatfunk das Thema weiter völlig ignorieren kann. Doch DAB+ bereitet den Geschäftsführern und Gesellschaftern der großen Privatradios weiter Bauchschmerzen, denn eigentlich wollten sie diese Technologie nicht.

Hörer wünschen verstärkt Verbreitung über DAB+

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Der Druck kommt auch von Hörerseite, viele Besitzer von DAB+ Radios bombardieren die Radiostationen mit immer wieder der gleichen Frage: "Wann geht ihr endlich auf DAB+?". Dies bestätigte zuletzt beispielsweise der Geschäftsführer des Hamburger Programms Alsterradio, das nun auch - mehr oder weniger wider Willen - über DAB+ zu hören ist. Hörer haben die Vorzüge des digitalen Verbreitungsweges gegenüber UKW erkannt. Die Gefahr, den Lieblingssender zu wechseln, besteht, weil sie ein digitales Klangerlebnis gerne den Störungen durch Rauschen, Interferenzen und dem Mehrwegeempfang, wie sie von UKW bekannt sind, vorziehen. Die Veranstalter wenden sich an die Landesmedienanstalten, die wiederum, wie zuletzt im Saarland und in Kürze in Mecklenburg-Vorpommern, den Bedarf in so genannten "Call-of-Interests" abklären wollen oder gleich Kapazitäten ausschreiben. So gibt es in Kürze neue, lokale DAB+ Bouquets in Bremen und Sachsen.

Digitalisierung macht auch vor Radio nicht halt

Dabei hätten die Privatradiomacher das Thema DAB+ aber gerne übersprungen. Lange Zeit diente ihnen der UKW-Hörfunk als Erfolgsgarant, noch heute hört eine überwältigende Mehrheit der Deutschen Radio fast ausschließlich über die alte, fast 100 Jahre alte analoge Technik.

Doch die Digitalisierung macht auch vor dem Radio nicht halt. Das Smartphone hat das Mediennutzungsverhalten schon beim Bewegtbild stark verändert, und auch Audio ändert sich. An Musikstreamer wie Spotify und Amazon Music dachte vor zehn Jahren noch niemand. Auch das Radio würde gerne mehr von diesem neuen Kuchen abhaben, da auch interessante neue Geschäftsfelder winken: Neue maßgeschneiderte Inhalte und - vor allem - personalisierte Werbung. Die bislang anonyme Radionutzung würde sich wandeln, der Veranstalter wüsste plötzlich, wer ihn auf der anderen Seite hört, und könnte ihn gezielt mit Inhalten und Werbung bedienen.

Restriktionen beim Mobilfunk machen schöne, neue Radiowelt zunichte

Es gibt nur ein großes Manko, und das ist der für das Radio als mobiles Medium so immens wichtige Zugang zu der neuen Welt aus dem Netz: Mobilfunkverträge sind in Deutschland nach wie vor vergleichsweise teuer, echte Flatrates und neue Services wie StreamOn der Telekom - noch - Mangelware. Hinzu kommt der nach wie vor zum Teil katastrophale Ausbau der Mobilfunknetze auf dem Land. Verbindungen mit EDGE und vor allem GPRS reichen maximal aus, um einen Stream in Mittelwellenqualität darzustellen, wenn überhaupt. Häufig klaffen zwischen Ortschaften noch große Funklöcher, von einem "Überall-Radio" ist das mobile Internet meilenweit entfernt. Zusätzliche technische Einschränkungen beim Streaming wie Handover-Probleme mit längeren Aussetzern beim Wechsel von Funkzellen tun ihr übriges.

Jetzt also doch DAB+ als Ausweg. Nur: Wie lange müssen die Veranstalter diesen Weg, den sie eigentlich gar nicht wollten, mittragen, wenn UKW alleine offenbar nicht mehr ausreicht? Schon 2011 prägte der damalige Chef des Privatradiounternehmens Regiocast, Boris Lochthofen (heute MDR), einen Begriff, der in den vergangenen Wochen in der Debatte um DAB+ wieder neu entflammt ist: "Brückentechnologie". Insgeheim rechnen - und hoffen - viele aus der kommerziellen Hörfunkbranche, dass die momentanen Zugangsprobleme beim mobilen Internet irgendwann doch der Vergangenheit angehören und das Gastspiel von DAB+ nur ein kurzes ist - vielleicht zehn, maximal 15 Jahre.

Andere, wenn auch bislang noch wenige, private Radiomacher haben dagegen die Chancen von DAB+ erkannt: Mehr Programme, größere Sendegebiete bei gleichzeitig geringeren Verbreitungskosten, erstmals bundesweites terrestrisches Radio, und, vor allem: Der Hörfunk hat weiter seinen eigenen Ausspielweg, auch in der digitalen Welt. Und Radiohörer: Schätzen vor allem die Bedienungsfreundlichkeit von DAB+-Radios. Dort, wo eines im Haushalt steht, wird seither weit weniger Internetradio gehört. Das besagt eine zur IFA veröffentlichte Reichweitenstudie.

Hybrider Ansatz als Königsweg

Niemand kann heute die Zukunft vorhersagen. Wir wissen nicht, mit welchen Gadgets wir in zehn Jahren durch die Gegend laufen, welche technologischen Innovationen uns bis dahin erwarten. Aus heutiger Sicht sinnvoll erscheint aber der hybride Ansatz, den die ARD verfolgt. Dieser schließt weder das eine noch das andere aus: Die lineare Verbreitung erfolgt in der digitalen Welt über DAB+ als Haupt- und dem Internet als Nebenverbreitungsweg. Über Web und Apps gibt es zusätzliche Angebote: Podcasts oder Mediatheken wie die im Herbst startende ARD-Audiothek.

DAB+ ist im Internetzeitalter eben doch keine "Beleidigung der technischen Intelligenz", wie die "Süddeutsche Zeitung" vor längerer Zeit schrieb, sondern ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Verbreitungsweg für den Hörfunk in der digitalen Multichannel-Welt. Für eine stärkere Marktpräsenz von DAB+ braucht es aber politische Schützenhilfe: Ansätze wie hybride Pflichtchips in allen Radios sollten endlich vom Bundestag verabschiedet werden. Und der Privatfunk sollte beim Umstieg auf das digitale Radio gefördert werden, wie es der VPRT fordert. Denn die ARD kann den Umstieg aus dem Rundfunkbeitrag finanzieren, die Privaten können das nicht.

Bleibt letztlich die Frage: Ist DAB+ nun tatsächlich nur eine Brückentechnologie? Ja! Aber nüchtern betrachtet ist und war dies bislang jede Technologie.

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