Stadtentwicklung

Darmstadt: Die immer noch un­sicht­bare Digitalstadt

Vor fast einem Jahr hat Darmstadt den bundesweiten Wettbewerb "Digitale Stadt" gewonnen. Seither ist viel zu wenig passiert, monieren Kritiker. Vieles spiele sich hinter den Kulissen ab und sei nur noch nicht sichtbar, hält die Geschäftsführerin dagegen.
Von dpa /

Von Darmstadt als Digitalstadt ist nach einem Jahr öffentlich wenig sichtbar Von Darmstadt als Digitalstadt ist nach einem Jahr öffentlich wenig sichtbar
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Parkplatzsensoren ersparen dem Autofahrer am Feierabend die Runden um den Block, intelligente Straßenlaternen dimmen sich selbst, und der örtliche Handel liefert im digitalen Schaufenster ausgewählte Produkte noch am selben Tag über E-Lastenbikes. So könnte das Leben in der Digitalstadt Darmstadt in einigen Jahren aussehen. Fast ein Jahr ist es her, dass die südhessische Großstadt den bundesweiten Wettbewerb "Digitale Stadt" von Bitkom und dem Städte- und Gemeindebund gewonnen hat. Seither habe sich noch nicht viel getan, bemängeln Kritiker.

"Vieles ist nicht sichtbar" und sei vor allem eine technische Herausforderung, sagt die hauptamtliche Geschäftsführerin der eigens gegründeten Projektsteuerungsgesellschaft Digitalstadt Darmstadt, Simone Schlosser. "Wir legen hier keinen Schalter um und sind Digitalstadt", zitiert sie ihren Kollegen Joachim Fröhlich.

Zunächst musste Basistechnologie geschaffen werden

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Der Förderzeitraum des auf zwei Jahre angesetzte Projekts Digitalstadt habe zudem erst 2018 begonnen, sagt Schlosser. Die Digitalstadt Darmstadt GmbH arbeite seither in den Räumen des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie und profitiere von der Nähe zu den Fachleuten.

Zunächst werde in den insgesamt 13 Bereichen - von Mobilität über Handel bis Gesundheit - die Basistechnologie geschaffen. Dazu gehören beispielsweise die Ausstattung der Verkehrsleitzentrale mit größeren Rechner-Kapazitäten und ein niedrigschwelliges Funknetz, mit dem von Sensoren erhobene Daten an Plattformen weiter gegeben werden können. Die Technik für das geplante städtische Online-Antragsmanagement musste auch erst geschaffen werden.

"Es sind kaum Projekte öffentlich bekannt", kritisieren Vertreter des Chaos Computer Clubs. Daher sei gar nicht richtig klar, in welche Richtung das Konzept laufe. Bei dessen Vorstellung kam den Fachleuten der Bildungsaspekt zudem zu kurz, dafür habe es jede Menge Technikspielereien gegeben.

Einige Projekte bereits umgesetzt

Die Vergaberechte in Deutschland führten bei manchen Vorhaben in Darmstadt dazu, dass sie noch nicht bekannt gemacht werden könnten, gibt Jan Strehmann vom Bitkom zu Bedenken. Und: Darmstadt sei Vorreiter mit der Gründung der Agentur Digitalstadt Darmstadt GmbH, die Akteure zusammenführe und neue Lösungsansätze vorantreibe.

Einige Projekte seien bereits umgesetzt, sagt Schlosser. Als Beispiel nennt sie Biwapp ("Bürger-Info- und Warn-App"), ein eigenes Angebot der Stadt, die auf Katwarn verzichtet. Der Online-Mängelmelder ist ein anderes Beispiel: Bürger könnten darüber der Verwaltung beispielsweise kaputte Laternen, Schlaglöcher oder überquellende Mülleimer melden.

Offenes Wlan gebe es inzwischen überall in der Innenstadt, sagt Schlosser. Surfen mit Spitzengeschwindigkeit von bis zu 500 Megabit pro Sekunde sei bereits im Luisencenter in der Innenstadt und bald auch im Stadion möglich. Wenn der Akku leer ist, können sich Besucher und Einheimische in der Innenstadt Handyladestationen (Powerbanks) ausleihen.

Wichtige Projekte beim Verkehr

Am Klinikum können Schwangere und junge Mütter schon online mit Hebammen in Kontakt kommen. Geplant sind aber auch eine Art digitale Patientenakte - die kranken Menschen die Organisation erleichtert - vom Anmelden im Krankenhaus über das Röntgen bis zur Reha. Zugleich könne mehrfaches Röntgen und die Suche nach Krankenakten verhindert werden. Einen Zugriff per Smartphone auf die Gesundheitsdaten sieht der CCC sehr kritisch. Wenn es um höchstpersönliche Daten gehe, gebe es immer die Gefahr, dass das irgendwo gespeichert wird.

Zum großen Projekt "Smart Traffic" gehören etwa Pförtner-Ampeln, die einmal über eine App oder das Navi anzeigen sollen, wie schnell der Fahrer am besten auf die Ampel zufährt, auch um CO2 zu reduzieren. Der Ausstoß von Kohlenstoffoxid und Stickoxiden könne über Sensoren gemessen werden. Parkplatzsensoren sollen den "Suchverkehr" von Anwohnern reduzieren, nach dem Motto: "In die Straße brauche ich nicht reinzufahren, da finde ich eh keinen Parkplatz mehr", wie Schlosser sagt. Intelligente Straßenlaternen sollen Gefahren im Verkehr anzeigen - etwa wenn ein Fußgänger den Zebrastreifen betritt.

Erste Vorstufen eines digitalen Schaufensters gebe es auch bereits: Mit Unterstützung von eBay werde der regionale Handel auf der Online-Plattform sichtbar gemacht. Vorbereitet werden auch digitale Stadtrundgänge auf dem Smartphone oder Tablet - über App oder Internet.

Beteiligung der Bürger muss erst noch beginnen

Der Gründer und Vorstandsvorsitzende der CAS-Software AG in Karlsruhe, Martin Hubschneider, lobt die Anstrengungen Darmstadts: "Ich habe großen Respekt vor den visionären Machern der Digitalstadt Darmstadt", sagt Hubschneider, der Vorstand im regionalen IT-Netzwerk CyberForum und Vizepräsident des Bundesverbands IT-Mittelstand ist.

"Darmstadt hat nicht nur eine exzellente digitale Infrastruktur inklusive der digitalen Aktivisten, sondern auch einen Oberbürgermeister, der die Digitalstadt zur Chefsache gemacht hat", betont Hubschneider. Denn Deutschland sei digital "in vielen Bereichen abgeschlagen auf den hinteren Plätzen, etwa bei den digitalen Bürgerdiensten".

Wie finanziert sich der Umbau zur Digitalstadt? Als Wettbewerbssieger kann Darmstadt rund fünf Millionen Euro Landesmittel beantragen, wie Schlosser sagt. Dazu komme noch einmal so viel aus europäischer Förderung - das zusammen mit Kooperationspartnern beantragt werden könne. Außerdem unterstützen Sponsoren den Umbau der Stadt - vor allem mit Sachleistungen.

Die Beteiligung der Bürger an dem Prozess, die Diskussion mit den Menschen in der Stadt - real und online - werde ebenfalls bald beginnen, kündigt Schlosser an. Der geplante Ethik- und Technologiebeirat werde auch bald das erste Mal tagen. Dabei gehe es darum, die Charta der digitalen Grundrechte in Darmstadt anzuwenden - ein besonderes Anliegen von Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne).

"Die anspruchsvolle Vision von Darmstadt und die entschlossene Umsetzung mit aktiver Einbindung der Bürger ist heute schon vorbildlich und macht anderen Städten Mut dieses wohl wichtigste Thema der Zukunftssicherung schnell anzugehen", sagt Hubschneider, der auch Co-Sprecher des Projekts Karlsruhe.Digital ist.

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