Editorial: Ladebremse zur Luftreinhaltung
Ladebremse zur Luftreinhaltung - E-Auto an einer Stromtankstelle (Symbolbild)
Bild: dpa
Das Thema hat erstmal wenig mit Telekommunikation zu tun, indirekt
dann aber doch wieder: Es gibt - auch auf deutschen Straßen - immer
mehr Elektroautos und diese müssen regelmäßig aufgeladen werden. Oft
passiert das zu Hause. Dabei ist es nicht unüblich, dass der
Besitzer den Ladestecker dauerhaft eingesteckt lässt - bis er halt
wieder losfährt, ob nun am nächsten Morgen oder erst ein paar Tage
später. Deswegen sind bereits viele kluge Köpfe auf die Idee gekommen,
die vielen länger ans Ladekabel angeschlossenen E-Autos als
Regelreserve für das Stromnetz zu verwenden: Ist das Stromangebot
gerade knapp, etwa, weil gerade wenig Wind- und Solarstrom produziert
wird und/oder Kraftwerke ausgefallen sind, werden die Akkus der
E-Autos nur langsam nachgeladen, bei einem Überangebot an Strom dafür
umso schneller.
Ein Strom-Überangebot gibt es in Deutschland oft, denn viele der alten in Deutschland immer noch betriebenen Kohlekraftwerke sind nur schlecht regelbar. Sie werden daher beispielsweise mittags trotz hohem Angebots an Solarstrom weiterbetrieben, denn abends, wenn die Leute nach Hause kommen und Waschmaschine und Fernseher einschalten, ist der Stromverbrauch meist am höchsten und der Kohlestrom wird dringend benötigt. Stattdessen wird die Stromüberproduktion vor allem mittags, aber nicht nur dann, ins Ausland verkauft. 55,5 TWh waren es im vergangenen Jahr, die die Stromexporte die Stromimporte überstiegen. Mit dieser Strommenge könnte man 15,3 Millionen Elektroautos betreiben, ein Drittel des deutschen Kfz-Bestands, unter der Annahme einer durchschnittlichen Fahrleistung von 13 400 Kilometer im Jahr (dem Durchschnitt für alle Kfz laut Kraftfahrtbundesamt) und eines sehr hoch angesetzten Bruttostromverbrauchs (also einschließlich der Verluste im Stromnetz und beim Laden) von 27 kWh pro 100 Kilometer.
E-Auto-Umstellung nicht ohne Probleme
Ladebremse zur Luftreinhaltung - E-Auto an einer Stromtankstelle (Symbolbild)
Bild: dpa
Man könnte also ein Drittel des deutschen Kraftfahrzeugbestands
elektrifizieren, ohne, dass auch nur ein neues Kraftwerk gebaut oder
ein altes Kraftwerk wieder in Betrieb genommen werden müsste. Man
müsste lediglich den bisher exportierten Strom stattdessen in die
Akkus der E-Autos laden - und zwar immer genau dann, wenn auch ein
Überschuss vorhanden ist. Hier kommt nun die Telekommunikation ins
Spiel: Diese müsste die Information verteilen, wie hoch gerade das
Stromangebot ist, und ob die diversen Heim-Ladegeräte und die
zahllosen Ladesäulen an der Straße in den kommenden Minuten
schneller oder langsamer laden sollen als in den letzten Minuten. Im
Ausnahmefall könnten die Ladegeräte sogar umgesteuert werden: Sie
würden dann vorübergehend Strom aus den Akkus ins Netz zurückspeisen,
um Lastspitzen abzufangen.
Natürlich sind entsprechend flexible Ladegeräte und -stationen für E-Autos noch Zukunftsmusik. Stand heute ist bei den meisten Elektroautos die Reichweite so gering, dass diese täglich an die Steckdose müssen, um dann jeweils über Nacht wieder aufgeladen zu werden. Doch die Akkutechnik entwickelt sich rasant weiter. Schon bei der gerade auf den Markt kommenden zweiten Generation der E-Autos (etwa dem neuen Nissan Leaf, Chevrolet Bolt und Tesla Model 3) wird dank der Reichweite von über 300 Kilometer (laut Testzyklus) und über 200 Kilometer (in der Praxis) das tägliche Nachladen der Vergangenheit angehören.
Angesichts der stetigen Weiterentwicklung der Lithium-Ionen-Technologie, sowohl bezüglich der Senkung der Kosten als auch der Steigerung der Kapazität, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Reichweite von Elektroautos sogar auf 500 Kilometer auf dem Papier und 400 Kilometer in der Praxis steigt. Samsung erwartet sogar 600 Kilometer Reichweite im Testzyklus mit einer Batterie, deren Massenproduktion 2021 beginnen soll.
Dabei ist das Potenzial für künftige drastische Sprünge in der Kapazität von Lithium-Akkus noch gar nicht berücksichtigt. Wenn Lithium-Schwefel-Akkus massenmarktfähig werden, würden nur noch zwei Kilogramm Akku benötigt, um eine Kilowattstunde Strom zu speichern. Damit könnten 100-kWh-Akkus mit einem akzeptablen Gewicht gebaut werden, so dass 600 Kilometer bei normaler Fahrweise auch in der Praxis möglich sind. Solche Akkus könnten sich sehr flexibel nachladen lassen, da im Tagesdurchschnitt nur 10 kWh benötigt werden.
Die Autofahrer müssen mitmachen
Die Autobesitzer müssten allerdings lernen, ihre heimischen Ladegeräte entsprechend dem Bedarf der kommenden Tage einzustellen: "Voll laden", wenn sie größere Fahrten planen, oder beispielsweise "mindestens 30 Prozent", wenn am nächsten Tag nur die üblichen 20 Kilometer zur Arbeit und zurück anstehen. Im Gegenzug dafür, dass die Fahrer wiederholt nur eine Teilladung anfordern (aber dennoch eine Vollladung erhalten, wenn gerade Strom im Überschuss vorhanden ist), würden sie günstigere Strompreise und/oder kostenlose Ladekapazität an öffentlichen Schnellladestationen erhalten. Letztere könnten sie immer dann nutzen, wenn sie sich beim Bedarf doch mal verschätzt haben oder eine Fahrt weiter geht als selbst mit einer 100-Prozent-Ladung möglich ist. Angesichts dessen, dass viele Fahrer aktuell sogar den zusätzlichen Zeitbedarf für Umwege in Kauf nehmen, um günstig tanken zu können, ist es durchaus zu erwarten, dass viele Fahrer künftig bereit sein werden, eine solche flexible Ladesteuerung zu verwenden.
Entwicklung jetzt anstoßen!
Flexibel geladene Elektroautos könnten also eine wichtige Rolle spielen bei der geplanten Umstellung der Stromproduktion auf immer höhere Anteile an erneuerbaren Energien. Doch müssten dazu zahlreiche Akteure geeignet koordiniert werden: Die Stromversorgungsunternehmen müssten die Protokolle für die optimale Verteilung des verfügbaren Stroms entwickeln, die Elektroautohersteller die flexiblen Ladegeräte, und die Fahrer müssten darin trainiert werden, die Ladegeräte richtig zu bedienen.
Ohne politischen Willen wird die genannte Kooperation zwischen Stromversorgern, Autoherstellern und Fahrern jedoch scheitern. Selbst mit politischem Willen könnte sie unterlaufen werden, wie der Dieselskandal zeigt. Es müssten also nicht nur Gesetze zur flexiblen Ladesteuerung erlassen werden, es müsste auch deren Einhaltung durch Stromerzeuger und Autohersteller engmaschig kontrolliert werden. Im Gegenzug würden wir alle von weniger Abgasen, weniger Lärm und entspannterem Fahren profitieren, in fünf bis zehn Jahren zudem möglicherweise von effektiv niedrigeren Kosten pro gefahrenem Kilometer. Sind das keine guten Aussichten?