Funkfrequenzen

Streit um 450 MHz: Stromversorger oder Behördenfunk?

Die Behörden funken noch analog mit Stein­zeit­technik oder mit privaten Handys, weil ihr digi­tales Netz zu langsam ist und nicht überall ausrei­chend funk­tioniert.
Von mit Material von dpa

Für die Energie- und die Verkehrs­wende müssen Strom- und Kommu­nika­tions­netze enger mitein­ander verknüpft werden. Dafür sollen Funk­frequenzen verwendet werden. Nur darum gibt es Streit. Strom­kunden sollen keine nervigen Able­seter­mine und keine bösen Über­raschungen durch Nach­zahlungen auf der Strom­rech­nung erleben, Dank neuer intel­ligenter Strom­zähler. Die müssen in Haus­halten und Betrieben mit einem Jahres­verbrauch von mehr als 6000 Kilo­watt­stunden instal­liert werden. Dann könnten Strom­kunden ihren Ener­giever­brauch jeder­zeit live checken, so oft sie wollen.

Die Strom­zähler möchten die Strom­versor­gung per Funk mitein­ander verbinden und haben sich dafür Frequenzen bei 450 MHz ausge­sucht, wo früher das Mobil­telefon C-Netz sendete und später die Telekom die ICE-Züge der Bahn über „Flarion“, einer Art Vorläufer von LTE mit Internet versorgte.

Wirt­schafts- gegen Innen­minister

In Mellenthin (Mecklenburg-Vorpommern) klettert ein Techniker an einem Funkmast, der für 4G und 5G zuständig ist. Energiewirtschaft und Automobilbranche fordern ein eigenständiges Funknetz für die Energiewende in Deutschland, bei 450 MHz In Mellenthin (Mecklenburg-Vorpommern) klettert ein Techniker an einem Funkmast, der für 4G und 5G zuständig ist. Energiewirtschaft und Automobilbranche fordern ein eigenständiges Funknetz für die Energiewende in Deutschland, bei 450 MHz
Bild: Stefan Sauer / zb / dpa / Picture Alliance
Auf der einen Seite steht Bundes­wirt­schafts­minister Peter Altmaier (CDU), der die Frequenz für die Ener­giebranche sichern will. Die Frequenz sei „ganz entschei­dend für den Erfolg von Ener­giewende und Verkehrs­wende“, sagte das Minis­terium. Die Ener­gieer­zeugung werde immer dezen­traler, eine wach­sende Zahl von Elek­troautos müsse mit Strom versorgt werden. Um dies zu steuern, brauche der Ener­giesektor sein eigenes Kommu­nika­tions­netz.

450 MHz könnte dafür gut geeignet sein, da es tiefer in Häuser hinein­reicht. Die Zähler sind oft in einem Keller, wo andere Frequenzen kaum zu empfangen sind.

Innen­minister will Frequenzen für Behör­denfunk

Altmaiers Kontra­hent ist Innen­minister Horst Seehofer (CSU). Er will die begehrten Frequenzen dem soge­nannten Blau­licht­bereich (BOS) zuschlagen. Den Sicher­heits­behörden ist aufge­fallen, dass das staat­liche digi­tale Behör­denfunk­netz der BDBOS viel zu „langsam“ ist. Die BOS möchte Fahn­dungs­fotos von unter­wegs senden, Infor­mationen in Daten­banken abfragen oder Fern­diagnosen in den Rettungs­wagen senden. Ob die bei 450 MHz mögliche Band­breite dafür ausreicht, wird von unab­hängigen Experten bezwei­felt.

Behör­denfunk hat mehr­fach Chancen verspielt

Dabei hätten die Innen­minister schon mehr­fach ein ideal geeig­netes Netz für wenig Geld haben können. Die Deut­sche Telekom, die Hersteller Moto­rola und Nokia boten seiner­zeit die kosten­lose Mitbe­nutzung des Bündel­funk­netzes nach TETRA-Proto­koll an, wenn auch zivile Nutzer dort hätten funken dürfen. Die BOS wollte nicht.

Schon zu GSM-Zeiten hatte Mannes­mann/Voda­fone und später auch die Telekom vorge­schlagen, ein GSM-BOS-Netz einzu­richten, wo die Sicher­heits­behörden über das dama­lige „D-Netz“ tele­foniert hätten, abhör­sicher und bei Groß­einsätzen sogar im klas­sischen Funk­betrieb „Einer spricht, alle können zuhören“. Ein Vorteil wäre die schnelle Flächen­deckung gewesen. Voda­fone baute ein Test­netz, die Minister verboten lieber ihren Feuer­wehr­komman­danten, sich das anzu­schauen, man wollte unbe­dingt was „Eigenes“.

BDBOS-Netz als Dauer­baustelle

Der Aufbau des BDBOS-Netzes bei 420 MHz dauert seitdem an und ist bis heute nicht fertig. Feuer­wehr­leute fürchten, bei Lösch­arbeiten in Gebäuden kein Netz mehr zu haben, weil die Sende­masten zu weit entfernt sind. Außerdem ist das Netz sehr teuer und belastet die öffent­lichen Haus­halte. BOS-Nutzer verwenden zur Sicher­heit das analoge BOS-„Stein­zeit­netz“ und das digi­tale Netz parallel oder greifen auf private Handys zurück.

Nächste Chance: Slicing

Mit dem Auf­kommen von 5G könnte „Slicing“ den Behörden wieder schnell und günstig ein super­schnelles und abge­schot­tetes Netz von Telekom, Voda­fone, Telefónica oder 1&1-Dril­lisch bescheren. Aber die Behörden wollen „was Eigenes“, diesmal auf 450 MHz.

Um den Konflikt zu lösen, hat die Ener­giebranche vorge­schlagen, die Blau­licht-Orga­nisa­tionen mit bis zu 15 Prozent am 450 MHz-Funk­netz zu betei­ligen. Denn die Blau­licht­orga­nisa­tionen verfügen, anders als die Energie-Versorger, im 700-MHz-Frequenz­band über Funk­kapa­zitäten, heißt es in einem Papier der Bran­chen­verbände BDEW und VKU. Bei 700 MHz („Digi­tale Divi­dende II“) funken bald auch die Mobil­funker mit 4G und 5G.

Hilfe durch die BNetzA

Die Strom­versorger bekommen Hilfe durch die Bundes­netz­agentur. Die Versorger bräuchten ein verläss­liches Kommu­nika­tions­netz, um nach einem groß­flächigen Strom­ausfall die Versor­gung schnell wieder sicher­stellen zu können, argu­mentiert die Behörde. Das sei „eine wesent­liche Grund­lage für das Funk­tionieren der modernen Gesell­schaft". Deshalb sollte der Frequenz­bereich "vorrangig für Anwen­dungen kriti­scher Infra­struk­turen bereit­gestellt werden".

Ganz geklärt ist die Geschichte noch nicht. Ein Kompro­miss könnte die gemein­same Nutzung der Frequenzen durch Strom­versorger und Sicher­heits­behörden sein. Die BDBOS zeigt sich gesprächs­bereit. Im Innen­minis­terium ist man zurück­haltend, das müsse noch geprüft werden.

Zähler erst ab 6000 Kilo­watt­stunden

Übri­gens: Gegen den Einbau eines intel­ligenten Zählers könnten sich Wohnungs­besitzer und Mieter nicht wehren, betonen Verbrau­cher­schützer. Ein Vier-Personen-Haus­halt mit 3600 Kilo­watt­stunden Verbrauch könne in diesem Fall mit 40 Euro pro Jahr zur Kasse gebeten werden.

Für einen alten analogen Zähler lägen die Kosten in Nord­rhein-West­falen dagegen nur bei etwa 8 bis 14 Euro brutto im Jahr. Bei einer Umfrage der Bundes­netz­agentur haben aller­dings nur 57 Unter­nehmen ange­geben, einen Einbau bei Durch­schnitts­verbrau­chern zu planen. Mit „Nein“ hätten 372 Mess­stel­lenbe­treiber geant­wortet, 399 Unter­nehmen seien noch unent­schlossen gewesen, heißt es im Moni­toring-Bericht der Behörde.

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