Streaming: Exodus des linearen Fernsehens
Lineares Fernsehen steht vor einer unsicheren Zukunft
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Es gab Zeiten, in denen konnte man sich in der Fernsehbranche förmlich eine goldene Nase verdienen. Vor allem ab Ende der 1980er-Jahre startete das Privatfernsehen in Deutschland richtig durch und zog wie ein Magnet Zuschauer vom angestaubten Programm der öffentlich-rechtlichen Sender ab. Besonders im fiktionalen Bereich rund um US-Serien und Filme bluteten ARD und ZDF regelrecht aus, da seinerzeit viele Lizenzen beim Filmhändler Leo Kirch lagen. Dessen Medienimperium wuchs in den folgenden Jahren immer weiter an, bis schließlich 2002 die Insolvenz und Zerschlagung folgte.
Wie stark sich dieser neue Konkurrenzdruck auf bestehende Strukturen auswirkte, kann man noch heute gut beobachten. Die öffentlich-rechtlichen Sender "kopieren" quasi alles von den Privaten, was irgendwie nach Einschaltquote aussieht und stellen damit ihren eigenen Grundversorgungsauftrag infrage. Doch heute sind auch die Privatsender bedroht, denn neue Konkurrenz kommt aus dem Netz. Eines ist dabei klar: Der Druck von Netflix, Amazon & Co. ist weitaus stärker als derjenige, welcher Ende der 1980er auf die öffentlich-rechtlichen Sender ausgeübt wurde. Diesmal steht das lineare Fernsehen insgesamt vor dem Abgrund.
"Demokratisierung" des Programms
Lineares Fernsehen steht vor einer unsicheren Zukunft
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Eine große Stärke von Streaming ist es, Zuschauern die Kontrolle über das Programm zu geben. Nicht Netflix und Amazon, sondern der Zuschauer entscheidet, welcher Content läuft. Er wählt letztendlich aus einem riesigen Angebot an attraktiven Inhalten aus. Das können lineare Sender schlicht und einfach nicht bieten. Hier muss sich der Zuschauer sozusagen zwangsweise nur mit Inhalten "berieseln" lassen, welche ihnen Programmplaner in den Chefetagen der Sender vorsetzen.
Das zweite Problem: Eben diese Inhalte sind zumeist auch vergleichsweise unattraktiv und sprechen die jüngere Generation überhaupt nicht mehr an. Das Durchschnittsalter der Zuschauer von ARD und ZDF liegt mittlerweile jenseits der 60 Jahre. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren vermutlich sogar noch weiter verschärfen. Hinzu kommt, dass nicht nur an einem Großteil der Gesellschaft "vorbeigesendet" wird, sondern die Zuschauer auch noch zwangsweise (und nicht wenig) dafür zahlen müssen. Es liegt auf der Hand, dass dies die Sympathien für "klassisches" lineares Fernsehen in der Mehrheitsbevölkerung nicht unbedingt fördert.
Volatile Geschäftsmodelle
Das Geschäftsmodell der großen Privatsender hat sich bis heute nicht wesentlich verändert. Medienunternehmen wie RTL und ProSiebenSat.1 sind nach wie vor hauptsächlich von klassischen Werbeeinnahmen abhängig. Auch hier gibt es aber zwei große Probleme: Erstens brechen Werbeeinnahmen in Phasen der Rezession weg, zweitens wollen viele Zuschauer auch schlicht und einfach keine Werbung mehr sehen. Und eben diesen Wunsch erfüllen (gegen Monatsgebühr) wiederum Streaming-Dienste. Mittlerweile kündigen sich neue, werbefinanzierte Streamer wie IMDb TV von Amazon an. Diese Anbieter sind zudem in der Lage, wesentlich zielgenauere Werbung zu adressieren. In Konsequenz werden sich Unternehmen noch genauer überlegen, wie sie ihre Marketing-Budgets verteilen. Es ist davon auszugehen, dass auch dies klar und deutlich zulasten linearer Fernsehsender gehen wird.
Sogar Sport kommt aus dem Web
Selbst der Sport als ehemalige TV-Domäne verabschiedet sich zunehmend ins Internet. Ein Beispiel hierfür ist der Streamer DAZN, welcher sich bereits wesentliche Sportrechte insbesondere im Bereich Fußball von Sky gesichert hat. Auch Amazon will sein Angebot an Live-Sport für Prime-Mitglieder ausbauen. Was dem linearen Fernsehen am Ende noch wirklich bleibt, sind Shows und Informationen.
Allerdings sehen sich die Sender auch in diesem Bereich mit zunehmender Kritik durch Zuschauer konfrontiert. Dabei geht es vor allem um den Vorwurf, mangelnder politischer Ausgewogenheit und wenig anspruchsvoller Unterhaltung. Es sind somit viele Baustellen, an denen gearbeitet werden muss, um das lineare Fernsehen mit Erfolg auch noch in die nächste Dekade zu führen. Nach jetzigem Stand der Dinge ist dazu ein gewaltiger Kraftakt nötig, welchen die Sender insbesondere mit ihrer jetzigen Struktur kaum stemmen können.