Mehr Fürsorge für Wehrlose oder Freiheit für Mündige?
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
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Bereits im Jahr 2019 mühte sich das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) darum, ein Gesetz voranzutreiben, das die „Fairness“ von bestimmten Verbraucherverträgen erhöhen will. Hierzu veröffentlichte das Ministerium am 15. März 2019 Eckpunkte zum „Schutz vor Kostenfallen“. Bis zum Jahresende 2019 gelang es dem BMJV aber nicht, einen Mitte 2019 zur Diskussion gestellten informalen Entwurf des Gesetzes in einen offiziellen Vorschlag des Hauses bzw. der Bundesregierung münden zu lassen. Dem Vernehmen nach trugen tief greifende Meinungsverschiedenheiten zwischen dem BMJV und dem Bundeswirtschaftsministerium zu der Verzögerung bei.
Erst am 24. Januar 2020 veröffentlichte das BMJV dann seinen offiziellen „Referentenentwurf ... eines Gesetzes für faire Verbraucherverträge“, das deutliche Auswirkungen auf den deutschen Privatkundenmarkt für Fest- und Mobilfunknetzanschlüsse haben dürfte.
Der Entwurf sieht unter anderem durch Änderungen in §309 Nr. 9 BGB vor, dass Konsumenten zukünftig in den allgemeinen Geschäftsbedingungen nur noch Anschlussverträge mit einer Höchstlaufzeit von einem Jahr (bisherige Obergrenze: zwei Jahre) angeboten werden dürfen. Weiter sollen sich stillschweigend angestoßene Vertragsverlängerungen bzw. Kündigungsfristen nach Ablauf der ersten Kontraktperiode über nicht mehr als drei Monate (bisher: ein Jahr) bzw. einen Monat (bisher: drei Monate) erstrecken dürfen.
Verkürzung der Maximallaufzeit von Anschlussverträgen
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
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Mit der avisierten Verkürzung der Maximallaufzeit (MLZ) der ersten Kontraktperiode verengt die Politik ein weiteres Mal unternehmerische Handlungsspielräume dergestalt, dass sie Anbietern die Option nimmt, sich gegenüber Konkurrenten dadurch zu differenzieren, auch Verträge mit einer Laufzeit unterhalb der heute gültigen Laufzeitobergrenze von zwei Jahren offensiv zu vermarkten. Ebenso erschwert die reduzierte MLZ Paketangebote, die einen Anschlussvertrag mit einem Endgerät bündeln, da innerhalb eines Jahres die Amortisation eines (subventionierten) Endgeräts oft nicht mehr erreicht werden kann.
Wünschenswert ist deshalb zumindest eine Ausnahmeregel gemäß der Netzbetreiber, die hohe kundenspezifische Anfangsinvestitionen (z.B. für Glasfaseranschlüsse) nachweisen, MLZ von mehr als einem Jahr mit Konsumenten vereinbaren dürfen. In Vergessenheit geraten zu sein scheint zudem, dass seit 2012 §43b S. 2 TKG Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten verpflichtet, Konsumenten mindestens eine Vertragsvariante mit einer Laufzeit von nicht mehr als einem Jahr zu ermöglichen. Verbraucher können sich also schon seit Jahren für einen 12-monatigen Anschlussvertrag entscheiden, sie werden lediglich nicht durch Staatsfürsorge dazu gezwungen.
Ärgerlich im Zusammenhang mit derzeit möglichen MLZ von zwei Jahren ist allerdings, dass Diensteanbieter diese häufig dafür nutzen, um Konsumenten für dumm zu verkaufen: Sie fordern während des zweiten Jahres der ersten, sich über insgesamt zwei Jahre erstreckenden Vertragsperiode Monatsentgelte, welche die Preise des ersten Jahres z.T. um den Faktor drei übersteigen. Diese „optische Verbilligung“ von Preisen im ersten Jahr setzt darauf, dass Verbraucher sich nicht die Mühe machen oder dazu in der Lage sind, die Kosten eines Kontrakts während der gesamten Laufzeit zu kalkulieren. Trotz dieser Unsitte lässt sich die angestrebte Regulierung von MLZ bei Verträgen für Fest- und Mobilfunknetzanschlüsse als nicht notwendig, inflexibel und unverhältnismäßig streng kritisieren.
Verkürzung der Befristung stillschweigender Verlängerungen und Kündigungsfristen bei Anschlussverträgen
Verbraucherpolitisch eher vertretbar ist demgegenüber die gewünschte 75-prozentige Verkürzung der Dauer automatischer Vertragsverlängerungen nach dem Ende der MLZ eines neuen Anschlussvertrags. Anbieter haben es durch überdurchschnittlich gute Dienstequalität selbst in der Hand, zu verhindern, dass Kunden nach Ablauf der MLZ der ersten Periode den Wunsch entwickeln, die Geschäftsbeziehung zu beenden. Allerdings ist der Entwurf bei der Verkürzung automatischer Vertragsverlängerungen ebenfalls insofern starr, als dass er auf Fälle, in denen Anbieter mit oder nach Ablauf der ersten MLZ hohe kundenbezogene Investitionen vornehmen, keine Rücksicht nimmt.
Dies könnte in der Praxis die Folge haben, dass Mobilfunkkunden ihren bisherigen Vertrag nach einem Jahr nur deshalb kündigen, um danach einen neuen einjährigen Kontrakt, der die Bereitstellung eines attraktiven Endgeräts zu einem niedrigen Preis und damit eine ratenzahlungsähnliche Finanzierung beinhaltet, mit demselben Netzbetreiber abschließen zu können. Ein solches, durch das neue Gesetz erzwungenes Verhaltensmuster erzeugt gleichermaßen auf der Nachfrager- und Anbieterseite unnötige Transaktionskosten.
Sowohl die Verringerung der Obergrenze für die Dauer stillschweigender Vertragsverlängerungen als auch die Verkürzung der Kündigungsfrist nach Ablauf der ersten Kontraktperiode haben aber den zuvor erläuterten negativen Nebeneffekt: Sie beeinträchtigen die Möglichkeiten von Anbietern, sich durch besonders verbraucherfreundliche Kontraktbedingungen Vorteile bei der Kundenakquisition und -bindung gegenüber Konkurrenten zu erarbeiten.
Schriftliche Genehmigung telefonisch zustande gekommener Vereinbarungen
Schließlich ist die Absicht, die Wirksamkeit von zunächst telefonisch geschlossenen Verträgen nach deren Übermittlung „auf einem dauerhaften Datenträger“ von einer schriftlichen Genehmigung durch den Konsumenten abhängig zu machen, verbraucherpolitisch überzeugend. Hierdurch wird das für Verbraucherverträge geltende 14-tägige Widerrufsrecht gemäß §355 BGB ergänzt und Überrumpelungstaktiken im Verkauf gerade bei besonders schutzwürdigen Personengruppen, wie älteren Menschen, entgegen gewirkt. Am Telefon abgeschlossene Verträge von Telekommunikationsunternehmen sind zunächst nicht von schriftlichen Bestätigungspflichten betroffen, weil diese „vorerst auf die Energiebranche, konkret Strom- und Gaslieferverträge beschränkt werden“ (Referentenentwurf, S. 10) sollen. Der Nicht-Einbezug der Telekommunikationsbranche in die Erweiterung von §312c BGB hat die wettbewerbspolitisch positive Konsequenz, dass er seriösen Anbietern von Telekommunikationsverträgen den Spielraum offen hält, sich gegenüber „schwarzen Schafen“ dadurch zu differenzieren, dass sie am Telefon zustande gekommene, wettbewerbsfähige Verträge freiwillig nachträglich ihren neuen Kunden zur schriftlichen Genehmigung vorlegen.
Fazit
Alles in allem ist der aktuelle Referentenentwurf eines Gesetzes für faire Verbraucherverträge weder als Desaster noch als großer Wurf zu qualifizieren. Einerseits wirkt er unangemessenen Benachteiligungen von Kunden von Telekommunikationsunternehmen bei Regelungen zur stillschweigenden Verlängerung von Anschlussverträgen und zu Kündigungsfristen nach Ablauf einer ersten Kontraktperiode entgegen. Andererseits ist die Verkürzung der MLZ von neuen Anschlussverträgen überzogen. Die geplanten Regelungen tragen insgesamt dazu bei, dass Mündigkeit und Tüchtigkeit von Unternehmen sowie Konsumenten als Einflussfaktoren ihres Wohlstandsniveaus an Relevanz verlieren. Dieser Effekt fügt sich nahtlos in einen seit etlicher Zeit in Deutschland zu beobachtenden wirtschaftspolitischen Trend ein, Anstrengungsunterschiede bei Unternehmen sowie Konsumenten möglichst wenig zu belohnen und so eine Nivellierung der materiellen Ausstattung von Nachfragern und Anbietern zu begünstigen. Man darf gespannt sein, inwieweit der Referentenentwurf im weiteren Gesetzgebungsprozess noch dergestalt verändert werden wird, dass er in Branchen, die durch eine hohe Wettbewerbsintensität geprägt sind, vom Leitbild des wehrlosen, unmündigen Verbrauchers mehr Abstand nimmt und stärker auf die Tüchtigkeit von Nachfragern sowie Anbietern vertraut.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.