Gastbeitrag

Mehr Fürsorge für Wehrlose oder Freiheit für Mündige?

Am 24. Januar veröf­fent­lichte das Bundes­justiz­minis­terium den „Entwurf eines Gesetzes für faire Verbrau­cher­verträge“. In diesem Beitrag werden Folgen der geplanten Vorschriften für Anbieter von Tele­kommu­nika­tions­netz­anschlüssen heraus­gear­beitet.
Von Torsten J. Gerpott

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Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Bereits im Jahr 2019 mühte sich das Bundes­minis­terium der Justiz und für Verbrau­cher­schutz (BMJV) darum, ein Gesetz voran­zutreiben, das die „Fair­ness“ von bestimmten Verbrau­cher­verträgen erhöhen will. Hierzu veröf­fent­lichte das Minis­terium am 15. März 2019 Eckpunkte zum „Schutz vor Kosten­fallen“. Bis zum Jahres­ende 2019 gelang es dem BMJV aber nicht, einen Mitte 2019 zur Diskus­sion gestellten infor­malen Entwurf des Gesetzes in einen offi­ziellen Vorschlag des Hauses bzw. der Bundes­regie­rung münden zu lassen. Dem Vernehmen nach trugen tief grei­fende Meinungs­verschie­denheiten zwischen dem BMJV und dem Bundes­wirt­schafts­minis­terium zu der Verzö­gerung bei.

Erst am 24. Januar 2020 veröf­fent­lichte das BMJV dann seinen offi­ziellen „Refe­renten­entwurf ... eines Gesetzes für faire Verbrau­cher­verträge“, das deut­liche Auswir­kungen auf den deut­schen Privat­kunden­markt für Fest- und Mobil­funk­netz­anschlüsse haben dürfte.

Der Entwurf sieht unter anderem durch Ände­rungen in §309 Nr. 9 BGB vor, dass Konsu­menten zukünftig in den allge­meinen Geschäfts­bedin­gungen nur noch Anschluss­verträge mit einer Höchst­lauf­zeit von einem Jahr (bishe­rige Ober­grenze: zwei Jahre) ange­boten werden dürfen. Weiter sollen sich still­schwei­gend ange­stoßene Vertrags­verlän­gerungen bzw. Kündi­gungs­fristen nach Ablauf der ersten Kontrakt­periode über nicht mehr als drei Monate (bisher: ein Jahr) bzw. einen Monat (bisher: drei Monate) erstre­cken dürfen.

Verkür­zung der Maxi­mallauf­zeit von Anschluss­verträgen

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Mit der avisierten Verkür­zung der Maxi­mallauf­zeit (MLZ) der ersten Kontrakt­periode verengt die Politik ein weiteres Mal unter­nehme­rische Hand­lungs­spiel­räume derge­stalt, dass sie Anbie­tern die Option nimmt, sich gegen­über Konkur­renten dadurch zu diffe­renzieren, auch Verträge mit einer Lauf­zeit unter­halb der heute gültigen Lauf­zeit­ober­grenze von zwei Jahren offensiv zu vermarkten. Ebenso erschwert die redu­zierte MLZ Paket­ange­bote, die einen Anschluss­vertrag mit einem Endgerät bündeln, da inner­halb eines Jahres die Amor­tisa­tion eines (subven­tionierten) Endge­räts oft nicht mehr erreicht werden kann.

Wünschens­wert ist deshalb zumin­dest eine Ausnah­meregel gemäß der Netz­betreiber, die hohe kunden­spezi­fische Anfangs­inves­titionen (z.B. für Glas­faser­anschlüsse) nach­weisen, MLZ von mehr als einem Jahr mit Konsu­menten verein­baren dürfen. In Verges­senheit geraten zu sein scheint zudem, dass seit 2012 §43b S. 2 TKG Anbieter von öffent­lich zugäng­lichen Tele­kommu­nika­tions­diensten verpflichtet, Konsu­menten mindes­tens eine Vertrags­vari­ante mit einer Lauf­zeit von nicht mehr als einem Jahr zu ermög­lichen. Verbrau­cher können sich also schon seit Jahren für einen 12-mona­tigen Anschluss­vertrag entscheiden, sie werden ledig­lich nicht durch Staats­fürsorge dazu gezwungen.

Ärger­lich im Zusam­menhang mit derzeit mögli­chen MLZ von zwei Jahren ist aller­dings, dass Diens­tean­bieter diese häufig dafür nutzen, um Konsu­menten für dumm zu verkaufen: Sie fordern während des zweiten Jahres der ersten, sich über insge­samt zwei Jahre erstre­ckenden Vertrags­periode Monats­entgelte, welche die Preise des ersten Jahres z.T. um den Faktor drei über­steigen. Diese „opti­sche Verbil­ligung“ von Preisen im ersten Jahr setzt darauf, dass Verbrau­cher sich nicht die Mühe machen oder dazu in der Lage sind, die Kosten eines Kontrakts während der gesamten Lauf­zeit zu kalku­lieren. Trotz dieser Unsitte lässt sich die ange­strebte Regu­lierung von MLZ bei Verträgen für Fest- und Mobil­funk­netz­anschlüsse als nicht notwendig, infle­xibel und unver­hält­nismäßig streng kriti­sieren.

Verkür­zung der Befris­tung still­schwei­gender Verlän­gerungen und Kündi­gungs­fristen bei Anschluss­verträgen

Verbrau­cher­poli­tisch eher vertretbar ist demge­genüber die gewünschte 75-prozen­tige Verkür­zung der Dauer auto­mati­scher Vertrags­verlän­gerungen nach dem Ende der MLZ eines neuen Anschluss­vertrags. Anbieter haben es durch über­durch­schnitt­lich gute Dienste­qualität selbst in der Hand, zu verhin­dern, dass Kunden nach Ablauf der MLZ der ersten Periode den Wunsch entwi­ckeln, die Geschäfts­bezie­hung zu beenden. Aller­dings ist der Entwurf bei der Verkür­zung auto­mati­scher Vertrags­verlän­gerungen eben­falls inso­fern starr, als dass er auf Fälle, in denen Anbieter mit oder nach Ablauf der ersten MLZ hohe kunden­bezo­gene Inves­titionen vornehmen, keine Rück­sicht nimmt.

Dies könnte in der Praxis die Folge haben, dass Mobil­funk­kunden ihren bishe­rigen Vertrag nach einem Jahr nur deshalb kündigen, um danach einen neuen einjäh­rigen Kontrakt, der die Bereit­stel­lung eines attrak­tiven Endge­räts zu einem nied­rigen Preis und damit eine raten­zahlungs­ähnliche Finan­zierung beinhaltet, mit demselben Netz­betreiber abschließen zu können. Ein solches, durch das neue Gesetz erzwun­genes Verhal­tens­muster erzeugt glei­cher­maßen auf der Nach­frager- und Anbie­terseite unnö­tige Trans­akti­onskosten.

Sowohl die Verrin­gerung der Ober­grenze für die Dauer still­schwei­gender Vertrags­verlän­gerungen als auch die Verkür­zung der Kündi­gungs­frist nach Ablauf der ersten Kontrakt­periode haben aber den zuvor erläu­terten nega­tiven Neben­effekt: Sie beein­träch­tigen die Möglich­keiten von Anbie­tern, sich durch beson­ders verbrau­cher­freund­liche Kontrakt­bedin­gungen Vorteile bei der Kunden­akqui­sition und -bindung gegen­über Konkur­renten zu erar­beiten.

Schrift­liche Geneh­migung tele­fonisch zustande gekom­mener Verein­barungen

Schließ­lich ist die Absicht, die Wirk­samkeit von zunächst tele­fonisch geschlos­senen Verträgen nach deren Über­mitt­lung „auf einem dauer­haften Daten­träger“ von einer schrift­lichen Geneh­migung durch den Konsu­menten abhängig zu machen, verbrau­cher­poli­tisch über­zeugend. Hier­durch wird das für Verbrau­cher­verträge geltende 14-tägige Wider­rufs­recht gemäß §355 BGB ergänzt und Über­rumpe­lungs­taktiken im Verkauf gerade bei beson­ders schutz­würdigen Perso­nengruppen, wie älteren Menschen, entgegen gewirkt. Am Telefon abge­schlos­sene Verträge von Tele­kommu­nika­tions­unter­nehmen sind zunächst nicht von schrift­lichen Bestä­tigungs­pflichten betroffen, weil diese „vorerst auf die Ener­giebranche, konkret Strom- und Gaslie­ferver­träge beschränkt werden“ (Refe­renten­entwurf, S. 10) sollen. Der Nicht-Einbezug der Tele­kommu­nika­tions­branche in die Erwei­terung von §312c BGB hat die wett­bewerbs­poli­tisch posi­tive Konse­quenz, dass er seriösen Anbie­tern von Tele­kommu­nika­tions­verträgen den Spiel­raum offen hält, sich gegen­über „schwarzen Schafen“ dadurch zu diffe­renzieren, dass sie am Telefon zustande gekom­mene, wett­bewerbs­fähige Verträge frei­willig nach­träg­lich ihren neuen Kunden zur schrift­lichen Geneh­migung vorlegen.

Fazit

Alles in allem ist der aktu­elle Refe­renten­entwurf eines Gesetzes für faire Verbrau­cher­verträge weder als Desaster noch als großer Wurf zu quali­fizieren. Einer­seits wirkt er unan­gemes­senen Benach­teili­gungen von Kunden von Tele­kommu­nika­tions­unter­nehmen bei Rege­lungen zur still­schwei­genden Verlän­gerung von Anschluss­verträgen und zu Kündi­gungs­fristen nach Ablauf einer ersten Kontrakt­periode entgegen. Ande­rerseits ist die Verkür­zung der MLZ von neuen Anschluss­verträgen über­zogen. Die geplanten Rege­lungen tragen insge­samt dazu bei, dass Mündig­keit und Tüch­tigkeit von Unter­nehmen sowie Konsu­menten als Einfluss­faktoren ihres Wohl­stands­niveaus an Rele­vanz verlieren. Dieser Effekt fügt sich nahtlos in einen seit etli­cher Zeit in Deutsch­land zu beob­achtenden wirt­schafts­poli­tischen Trend ein, Anstren­gungs­unter­schiede bei Unter­nehmen sowie Konsu­menten möglichst wenig zu belohnen und so eine Nivel­lierung der mate­riellen Ausstat­tung von Nach­fragern und Anbie­tern zu begüns­tigen. Man darf gespannt sein, inwie­weit der Refe­renten­entwurf im weiteren Gesetz­gebungs­prozess noch derge­stalt verän­dert werden wird, dass er in Bran­chen, die durch eine hohe Wett­bewerbs­inten­sität geprägt sind, vom Leit­bild des wehr­losen, unmün­digen Verbrau­chers mehr Abstand nimmt und stärker auf die Tüch­tigkeit von Nach­fragern sowie Anbie­tern vertraut.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehr­stuhl für Unter­nehmens- und Tech­nolo­giepla­nung an der Mercator School of Manage­ment Duis­burg der Univer­sität Duis­burg-Essen.

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