Ortung

Handy-Ortung in der Krise: Was bringt das wirklich?

Zur Eindäm­mung des Coro­navirus verzichten die Menschen aktuell auf Vieles. Eine Locke­rung der Auflagen wäre eher möglich, wenn der Staat per Handy mehr Daten über seine Bürger sammelt, meint Gesund­heits­minister Spahn. Stimmt das?
Von dpa /

Passanten in einer Fußgängerzone (Symbolbild) Passanten in einer Fußgängerzone (Symbolbild)
Bild: dpa
Es klingt bestechend: Das Handy soll zum Mitstreiter gegen das Coro­navirus werden. Wer Kontakt hatte zu einem Infi­zierten, könnte über die Stand­ortdaten seines Mobil­tele­fons ermit­telt und infor­miert werden. Im ersten Anlauf ist Bundes­gesund­heits­minister Jens Spahn (CDU) mit der Idee geschei­tert. Aufge­geben hat er sie noch nicht. Das Thema soll nun bei den Bera­tungen nach Ostern eine Rolle spielen - wenn es um "eine Zeit nach Corona" geht, in der der Kampf gegen das Virus anhält, die Einschrän­kungen aber gelo­ckert werden.

Nach einer Umfrage des Meinungs­forschungs­insti­tuts YouGov im Auftrag der Deut­schen Presse-Agentur gäbe es viel Rück­halt für solche Über­legungen: 50 Prozent sagten, sie hielten die Ortung von Kontakt­personen von Infi­zierten für sinn­voll. 38 Prozent fänden das unan­gemessen. zwölf Prozent machten keine Angaben.

Welche Ortungs­daten kann man von Smart­phones über­haupt bekommen?

Passanten in einer Fußgängerzone (Symbolbild) Passanten in einer Fußgängerzone (Symbolbild)
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Es gibt im Kern zwei Wege, Infor­mationen über die Posi­tion eines Mobil­tele­fons zu kommen: darüber, in welche Funk­zelle es einge­bucht ist - also welche Masten Daten über­mitteln - , und über Satel­liten-Systeme zur Posi­tions­bestim­mung wie GPS oder Galileo.

Was davon ist präziser?

Die Satel­liten-Ortung ist auch in der Verbrau­cher-Version bis auf wenige Meter genau. Durch den Daten­schutz in den beiden Smart­phone-Betriebs­systemen - Google Android und iOS beim Apple iPhone - ist der Zugriff auf den GPS-Chip aber nur mit Zustim­mung des Nutzers möglich. Deshalb ist die gang­barste Lösung dafür eine App, bei der Verbrau­cher frei­willig ihre Posi­tions­daten frei­geben.

Und wie sieht es mit der Genau­igkeit der Funk­zellen-Daten aus?

In einer Funk­zelle kann man die unge­fähre Posi­tion eines Tele­fons am Abstand zu Sende­masten bestimmen. Aller­dings geht das selbst in Innen­städten mit dicht gesäten Antennen nach Angaben von Experten besten­falls auf etwa 50 Meter genau. In Vororten oder auf dem Land ist das Ergebnis noch weniger präzise. Die Methode wäre damit viel zu ungenau, um Annahmen über eine Anste­ckungs­gefahr zu treffen. Zudem spei­chern die Anbieter aktuell nur anony­misierte Posi­tions­daten. Sobald ein Telefon eine Funk­zelle verlässt, verfallen die Infor­mationen, die einem konkreten Nutzer zuge­ordnet werden können. Will man sie erheben, müssten die Systeme erst umpro­gram­miert werden.

Würde man jede Kontakt­person sammeln?

Nein. Man müsste die Ergeb­nisse sinn­voll eingrenzen. "Man kann nach Über­schnei­dungen suchen, wie oft und wie lange jemand an der glei­chen Stelle wie jemand anderes war", sagt Fabian Theis, der sich am Münchner Helm­holtz Zentrum mit der mathe­mati­schen Model­lierung biolo­gischer Prozesse beschäf­tigt. Diese Infor­mationen könne man mit Geoin­forma­tions­daten abglei­chen - um etwa heraus­zufinden, ob an diesem Ort ein Café oder ein Park ist.

Ist das alles wirk­lich nötig?

Es gibt hier wider­strei­tende Inter­essen. Bisher haben Bund und Länder zur Eindäm­mung des Coro­navirus auf Blan­komaß­nahmen gesetzt: Für alle greifen mehr oder weniger die glei­chen Regeln, mit gewissen Unter­schieden zwischen den Ländern. Aber grund­sätz­lich gilt zum Beispiel, dass der Aufent­halt im öffent­lichen Raum nur mit höchs­tens einer anderen Person, die nicht im glei­chen Haus­halt lebt, gestattet ist. Die Auflagen sollen sowohl die Möglich­keiten zur Weiter­gabe des Virus als auch zur Anste­ckung verrin­gern.

Wenn man die Zahl poten­ziell infi­zierter Menschen stärker eingrenzen könnte - etwa über die Nutzung von Handy­daten -, wäre die Locke­rung der Regeln für andere womög­lich weniger riskant. Politik und Gesell­schaft müssen Daten­schutz und Bewe­gungs­frei­heit gegen­einander abwägen. Es gibt aber auch ganz andere Über­legungen, etwa eine starke Auswei­tung an Tests oder mehr Vorsicht bei Risi­kogruppen und mehr Bewe­gungs­frei­heit für andere.

Welche Daten übergab die Telekom bereits dem Robert-Koch-Institut?

Das waren anony­misierte Daten, die ausschließ­lich Rück­schlüsse darüber erlauben, wie viele Tele­fone sich in welchen Gebieten bewegt haben. Das RKI erhofft sich davon Erkennt­nisse darüber, ob die bishe­rigen Maßnahmen funk­tionieren.

Wie stehen Daten­schützer dazu?

Die Weiter­gabe der anony­misierten Telekom-Infor­mationen stufte der Bundes­daten­schutz­beauf­tragte Ulrich Kelber als rechts­konform ein. Zugleich mahnte er: "Ich sehe, dass in anderen Staaten während der Corona-Pandemie der Daten­schutz teil­weise vernach­lässigt wird." In Deutsch­land ließen sich alle Lösungen aber auch grund­rechts­konform gestalten. Kelber gab auch zu bedenken: "Bisher fehlt jeder Nach­weis, dass die indi­vidu­ellen Stand­ortdaten einen Beitrag leisten könnten, Kontakt­personen zu ermit­teln. Dafür sind diese viel zu ungenau."

Wie machen es andere Länder?

Das israe­lische Gesund­heits­minis­terium ließ eine App entwi­ckeln, mit deren Hilfe Nutzer über den Kontakt mit Coro­navirus-Infi­zierten infor­miert werden sollen. Sie unter­richtet Nutzer, wenn sie sich in den 14 Tagen vor einem posi­tiven Coro­navirus-Test in der Nähe eines infi­zierten Menschen aufge­halten haben. Die App verfolgt die Stand­orte der Nutzer und gleicht sie mit den Infor­mationen des Gesund­heits­minis­teriums ab. Israel erlaubt dem Geheim­dienst auch den Einsatz von Über­wachungs­tech­nologie, die sonst zur Terror­bekämp­fung dient. Nach Medi­enbe­richten geht es um Handy­über­wachung Erkrankter.

Auf Apps mit GPS-Zugang setzen auch Singapur und Öster­reich. Südkorea über­mittelt an Smart­phones sogar Infor­mationen über Alter, Geschlecht und letzten Aufent­haltsort von Infi­zierten in der Nähe. China setzt auf sein System sozialer Kontrolle, das unter anderem mit Gesichts­erken­nung funk­tioniert.

Als oberste Aufsichts­behörde steht die Bundes­netz­agentur im engen Kontakt mit der Tele­kommu­nika­tions­branche und hat bereits einen Leit­faden für Corona veröf­fent­licht: Die Netz­betreiber dürfen notfalls auch dros­seln.

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