Editorial: Absurde Handystrahlenforschung
Es ist die Aufgabe der eingangs erwähnten intensiven und regelmäßigen Forschung, Basisdaten für die Festlegung von Grenzwerten zu liefern. Leider ist diese Forschung nicht immer seriös, sondern oft von Interessen getrieben. Über der Zigarettenindustrie nahestehende Ärzte, die das Rauchen selbst dann noch als "belebend" bezeichneten, als die Krebsgefahr von Aktiv- und Passivrauchen in einer erdrückenden Zahl seriöser Studien bereits bewiesen war, ist in vielen Medien in den letzten Jahren ausführlich geschrieben worden.
Ähnlich wird auch den Mobilfunkunternehmen vorgeworfen, die Gefahren von Handystrahlen kleinzureden. Als "Beweis" für die Gefährlichkeit der Handystrahlen werden dann Studien wie Chromosome damage in human cells induced by UMTS mobile telephony radiation von Dimitris J. Panagopoulos angeführt. Bei dieser wurde bei von einem 3G/UMTS-Handy bestrahlten Immunzellen eine Zunahme der Chromosomenschäden während der Teilung von 100 bis 275 Prozent beobachtet.
Haltlose Studie
Als Medikamentenstudie wäre die verlinkte Studie dabei glatt durchgefallen, weil sie offensichtlich nur teilweise verblindet war: Die Auswertung, wie viele Gendefekte jede Probe aufwies, erfolgte den Angaben zufolge zwar "blind", also ohne, dass der jeweilige Labormitarbeiter wusste, ob er eine bestrahlte oder unbestrahlte Probe vor sich hat. Die Probenvorbereitung erfolgte den Angaben zufolge sogar gemeinsam für beide Proben. Doch die eigentliche Bestrahlung (mit eingeschaltetem Smartphone) bzw. Fake-Bestrahlung (mit abgeschaltetem Smartphone) war ebenso wenig verblindet wie die anschließende Aufbereitung der Proben für die mikroskopische Auswertung auf Chromosomenschäden. Erst die finale Auswertung der mikroskopischen Aufnahmen erfolgte laut Studienbeschreibung blind.
Denkbar sind nun sowohl versehentliche Einflüsse, als auch gezielte Manipulation während der nicht blinden Phase. So wurde die echte Bestrahlung immer vor der Fake-Bestrahlung durchgeführt. Vorher wurden beide Proben gemeinsam vorbereitet, nach der Bestrahlung wurden beide Proben dann fixiert und für die Mikroskopie vorbereitet. Ein unabsichtlicher Fehler könnte beispielsweise sein, dass im Bestrahlungsraum neben dem Smartphone ein eigentlich für einen anderen Versuch verwendetes radioaktives Präparat vergessen worden war, und dieses die Zellen in den Proben entsprechend geschädigt hat, und nicht die Handystrahlen. Zwar waren dann beide Proben gleich lang der bekanntermaßen stark schädigenden radioaktiven Strahlung ausgesetzt. Doch bei der ersten (zusätzlich mit dem Handy bestrahlten) Probe erfolgte die radioaktive Exposition entsprechend früher, sodass bis zur Fixierung die lebenden Zellen der ersten Probe entsprechend länger Zeit hatten, sich in das Stadium weiterzuentwickeln, in dem die Genschäden dann auch nachgewiesen werden konnten.
Sowohl Bestrahlung als auch Fake-Bestrahlung dauerten den Angaben zufolge jeweils 15 Minuten, wobei die ersten 15 Minuten jeweils der "echten" Bestrahlung galten. Geht man von gleichverteilten Schäden durch das angenommene vergessene radioaktive Präparat aus, dann hatten vom Zeitpunkt der Schädigung durch die Strahlung bis zur Fixierung die Zellen in der bestrahlten Probe im Schnitt 22,5 Minuten Zeit, sich in das Stadium der Zellteilung weiterzuentwickeln, in dem dieser Schaden nachweisbar ist. In der "nicht" bestrahlten Probe (wo das vergessene radioaktive Präparat natürlich trotzdem wirkte!) waren es hingegen im Durchschnitt nur 7,5 Minuten zwischen einem "Wirkungstreffer" eines Quants der radioaktiven Strahlung auf die DNA und der Fixierung der Probe.
Den Zeitverzug zwischen Strahlenschäden und Nachweis derselben kennt man übrigens aus dem Alltag: Wenn man zu lange ohne Sonnenschutz der starken UV-Strahlung der Mittagssonne ausgesetzt war, zeigt sich der daraus folgende Sonnenbrand dennoch erst am späten Nachmittag oder Abend.
Im Ergebnis würde man aufgrund der unterschiedlichen Zeitspanne zwischen Bestrahlung und Nachweis des Schadens eine Verdreifachung der Zahl der ermittelten Chromosomenschäden bei der zuerst bestrahlten Probe erwarten, entsprechend dem Verhältnis von 22,5 / 7,5. Vergehen nach der zweiten Bestrahlung noch weitere dreieinhalb Minuten bis zur Fixierung, zum Beispiel, weil Chemikalien vorbereitet werden oder die Proben (wie im Protokoll beschrieben) in einen anderen Raum gebracht werden, sinkt der Faktor auf (22,5 + 3,5) / (7,5 + 3,5) = 2,36. Tatsächlich wurden in der Studie in den zuerst bestrahlten Zellen 551 Chromosomenschäden gefunden, in den danach bestrahlten Zellen hingegen nur 235 Schäden. Das entspricht einem Faktor von 2,34.
Schon das Design, immer dieselbe Reihenfolge zwischen "Bestrahlung" und "Nicht-Bestrahlung" zu verwenden, macht die Panagopoulos-Studie aus den genannten Gründen unbrauchbar: Was auch immer im Bestrahlungsraum passiert, die "bestrahlten" Proben haben mehr Zeit darauf zu reagieren, also mikroskopisch sichtbare Schäden zu zeigen, als die "nicht bestrahlten". Es ist schade, dass eine solche offensichtlich unzulängliche Studie dennoch den Peer-Review-Prozess passieren konnte.
Sauberes Studiendesign möglich
Es wäre technisch auch überhaupt kein Problem, die Panagopoulos-Studie voll zu verblinden: Dazu wird auf dem Smartphone eine App installiert, die mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit einen 15-minütigen Anruf entweder mit einer oder mit 19 Minuten Verzögerung startet. Die eine Minute Verzögerung dient dazu, dass der Experimentator den Bestrahlungsraum nach dem Einsetzen der Probe und dem Starten der App verlassen kann, ohne, dass er sieht, ob der Anruf nun erfolgt oder nicht. 17 Minuten nach dem Verlassen betritt der Experimentator wieder den Bestrahlungsraum und wechselt in der folgenden Minute die Probe. 18 Minute nach dem Experiment-Start verlässt er den Raum erneut, bei Minute 19 beginnt dann durch die App die Bestrahlung der zweiten Probe, falls die erste Probe nicht bestrahlt wurde, und umgekehrt. 35 Minuten nach Experimentbeginn kann der Experimentator dann die zweite Probe abholen.
Die App meldet nicht zurück, ob der Anruf im ersten oder zweiten Zeitfenster erfolgte, entsprechende Einträge im Gesprächsprotokoll des Smartphones werden automatisch gelöscht (wozu man das Gerät möglicherweise rooten muss, was aber ebenfalls kein unumgängliches Hindernis ist). Die spätere Auswertung, wann das Bestrahlungsgespräch erfolgte, wird erst NACH der Probenauswertung und der Zählung der Genschäden über den EVN des Mobilfunkanbieters durchgeführt.
Extreme Effekte!
Ich habe bereits mehrere Studien zu angeblichen Effekten von Mobilfunkstrahlung gelesen, die ähnlich wie die Panagopoulos-Studie extreme Effekte zeigten. Derartige Studien sind aber schon aus anderen Gründen komplett unglaubwürdig: Würde schon ein normales Handygespräch die Mutationsrate derart stark nach oben treiben, wie von Panagopoulos konstatiert, dann würde sich die Haut nach einem mehrstündigen Handytelefonat zunächst röten und später schuppen wie bei einem Sonnenbrand. Zudem wären die Hautarztpraxen voll mit Patienten mit Hautveränderungen bis hin zum hellen Hautkrebs im Bereich der Brust und des Gesäßes, also überall dort, wo Smartphones üblicherweise in Taschen am Körper getragen werden, und wo sie auch im ausgeschalteten Zustand Datentransfers durchführen, um beispielsweise neue Fotos in die Cloud zu speichern. Zwar ist heller Hautkrebs so gut wie nie tödlich und in 99 Prozent der Fälle (ggfls. nach mehreren Therapieversuchen) heilbar, das zusätzliche Auftreten in Handystrahlen-exponierten Bereichen wäre aber dennoch auffällig.
Die zitierte Panagopoulos-Studie ist für mich also kein Anlass, die Grenzwerte für Handystrahlen zu senken, aber sehr wohl ein Anlass, die Anforderungen an das Peer-Review zu erhöhen.