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ITU-Konferenz: Europa will Ende des freien Internets verhindern

Weitere Länder wollen Netz so kontrollieren wie China oder Iran
Von mit Material von dpa

ITU-Konferenz: Europa will Ende des freien Internets verhindern ITU-Konferenz: Europa will Ende des freien Internets verhindern
Bild: ITU, Screenshot: teltariif.de
Niemand kontrolliert das Internet - die dezentrale Struktur der Vernetzung ist der Schlüssel für ihren Erfolg. Nun aber wollen einige Staaten das Internet einer Kontrolle durch die Vereinten Nationen unterstellen, konkret der Internationalen Fernmeldeunion (ITU). Die 1865 gegründete Organisation kümmert sich seit jeher vor allem um Frequenzen und andere Regelungen bei Funk und Telefon. Etliche Delegationen der am Montag in Dubai beginnenden Weltkonferenz für die internationale Telekommunikation (WCIT) wollen nun auch eine Zuständigkeit für das Internet für die ITU beanspruchen.

"Das ist ein Versuch, das Telekommunikationsmodell auf das Internet zu übertragen", sagte der Vizepräsident der Internet Society (ISOC), Markus Kummer, vor seinem Abflug nach Dubai der Nachrichtenagentur dpa. "Da übersieht man geflissentlich, dass das Internet ganz anders funktioniert."

Letzte Regulierung fand im Jahr 1988 statt

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Bild: ITU, Screenshot: teltariif.de
"Die Mitgliedsstaaten sollen gleiche Rechte haben, das Internet zu managen", heißt es in einem von Russland vorgelegten Entwurf für eine Neufassung der Internationalen Telekommunikationsregulierungen (ITR) aus dem Jahr 1988. Hier wird auch davon geredet, "das nationale Internet-Segment zu regulieren". Dies wäre ein Frontalangriff auf das globale Computernetz in seiner bisherigen Form. Schon jetzt filtern einzelne Staaten wie China regelmäßig unliebsame Internet-Inhalte aus.

Das Dokument mit dem russischen Vorstoß wurde im Internet "geleakt", veröffentlicht von Aktivisten auf wcitleaks.org, die mehr Transparenz in die zweiwöchigen, nichtöffentlichen Verhandlungen in Dubai bringen wollen. Auf diese Weise wurden auch die Teilnehmer der Konferenz bekannt. Die deutsche Delegation wird von einem Abteilungsleiter des Bundeswirtschaftsministeriums angeführt. Vertreten sind unter anderem auch das Innenministerium und das Auswärtige Amt sowie die Deutsche Telekom und der Verband der Deutschen Internetwirtschaft (eco).

Westliche Staaten wehren sich vehement gegen Regulierung

Die Bundesregierung vertritt im Einklang mit der Europäischen Union und anderen westlichen Staaten die Position, dass es keine Internet-Regulierung geben soll. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sagte in dieser Woche, die Bundesregierung werde sich gegen Versuche wenden, "durch Kontrollen im Internet das Netz sicherer zu machen". Er fügte hinzu: "Das wird nicht funktionieren." Das Europaparlament verabschiedete eine Entschließung mit der Forderung, "dass das Internet ein freier und offener Raum bleiben sollte" und kritisierte die mangelnde Transparenz im Zusammenhang mit der Konferenz in Dubai.

Die ITU trifft ihre Vereinbarungen im Konsensprinzip, nicht mit einer Abstimmung. Die Teilnehmer erwarten, dass bis in die Nacht hinein verhandelt wird, bis eine Einigung da ist. Die Mitgliedsländer können einen Vorbehalt gegen einzelne Regelungen einlegen - oder auch ihre Unterschrift ganz verweigern. Sollte es bis zum 14. Dezember zu einem Beschluss für eine Internet-Regulierung durch die ITU kommen, droht eine weitere Vertiefung der Gräben im Netz - schon jetzt haben sich etliche Länder vom freien grenzüberschreitenden Datenaustausch abgekoppelt.

Offener und freier Zugang für alle soll erhalten bleiben

Um die technischen Grundlagen des Netzes kümmern sich bereits mehrere internationale Organisationen wie die Internet-Verwaltung ICANN, in denen die Staaten nur eine beratende Rolle haben, sich sonst aber zurückhalten. Viele Regierungen stoßen sich aber am Sitz der ICANN in Kalifornien, womit die "Internet Corporation for Assigned Names and Numbers" der US-Rechtsprechung unterliegt.

"Die Strukturen dieser Internet-Governance sind der Internet-Technologie angepasst", sagt Kummer, dessen ISOC als Nichtregierungsorganisation eine wichtige Rolle bei den Bemühungen um die Sicherung der Internet-Infrastruktur spielt. "Es ist alles verteilt, es gibt keine zentrale Kontrolle." Die ISOC steht für Entscheidungsprozesse von unten nach oben - nicht umgekehrt wie bei den Regierungen und wie in den Vereinten Nationen.

Zur Unterzeichnung einer Petition an die ITU hat DGB-Chef Michael Sommer aufgerufen: "Ein völlig der Kontrolle des Staates und der Unternehmen unterstehendes Internet widerspricht der Quintessenz dessen, was das Netz repräsentiert: einen offenen und freien Zugang für alle", heißt es im Internet-Portal change.org unter dem Slogan: "ITU: Finger weg vom Netz".

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