Aussagekraft

Es gibt kein deutsches Netz: Netztests hinterfragt

Maik Exner, bei der Deut­schen Telekom für Kommu­nika­tion zuständig, hat sich in einem Artikel auf LinkedIn mit der Aussa­gekraft von Netz­analysen beschäf­tigt. Er findet, man solle nicht alles schlecht reden.
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Es gibt kein "Deutschland Netz", sondern (derzeit) drei Mobilfunknetze, mit unterschiedlicher Qualität. Es gibt kein "Deutschland Netz", sondern (derzeit) drei Mobilfunknetze, mit unterschiedlicher Qualität.
Foto: Picture Alliance / dpa
Damit die aktuell tobende Diskus­sion um die Netz­qualität richtig "griffig" wird, greifen die Betei­ligten gerne zu Verglei­chen, wie: Das Netz in Deutsch­land sei "schlechter als in Alba­nien, oder Senegal oder Vietnam" oder ein anderes Land nach Wahl. Diese Diskus­sion liest sich gut, sie trifft den Nerv und Zeit­geist.

Maik Exner, Leiter Kommu­nika­tion bei der Deut­schen Telekom, hat im Busi­ness-Kontakte-Portal LinkedIn einen bemer­kens­werten Artikel dazu veröf­fent­licht.

Die Daten­sammler

Es gibt kein "Deutschland Netz", sondern (derzeit) drei Mobilfunknetze, mit unterschiedlicher Qualität. Es gibt kein "Deutschland Netz", sondern (derzeit) drei Mobilfunknetze, mit unterschiedlicher Qualität.
Foto: Picture Alliance / dpa
Firmen wie Open­signal, Tutela oder Speed­check sammeln Crowd-Sourcing Daten rund um das Thema Mobil­funk entweder über eigene Apps, bei denen zum Beispiel ein Down­load zur Messung der Mobil­funk­geschwin­digkeit durch den User selbst ange­stoßen werden muss, oder über soge­nannte Dritt-Apps. Dies könnte eine Koch­rezepte-App oder ein Smart­phone-Spiel sein, das als Hinter­grund­funk­tion den Daten­verkehr auf dem Handy und auch den Zustand des Geräts (welches Netz, welche Technik) aufzeichnet und an die Daten­sammel­firmen weiter­gibt.

Dabei werden Pings, Upload- und Down­load­geschwin­digkeiten bis hin zu Geoko­ordi­naten, also die Aufent­halts­orte der Smart­phone­besitzer gespei­chert.

Diese Daten werden analy­siert und anschlie­ßend zum Verkauf ange­boten. Beispiels­weise an die Netz­betreiber, die – so stellen sich die Firmen das vor - daraus ihre Netze opti­mieren können. Daneben könnten solche Infor­mationen für Netz­werk­ausrüster oder die Politik oder Orga­nisa­tionen inter­essant sein.

Werbung für die Daten­liefe­ranten

Um die erho­benen Daten über­haupt verkaufen zu können, sollten poten­zielle Kunden wissen, welche Firmen oder Daten­samm­lungen es gibt. Deshalb veröf­fent­lichen diese Firmen Auszüge aus ihren Daten­sätzen und die Inter­preta­tionen, denn Werbung schadet nie.

Damit das ganze gut "wirkt", werden reiße­rische Über­schriften gewählt. So entstehen dann Zeilen wie: "Mobil­funk: Deutsch­land schlechter als Alba­nien" oder „Deutsch­land ... hat eine der nied­rigsten Bewer­tungen in Europa und liegt hinter vielen weniger entwi­ckelten Mobil­funk­märkten wie der Libanon, Vietnam und Senegal zurück.“

Wilde Vergleiche

Der Vergleich von Deutsch­land mit Staaten, die im Kopf als "Entwick­lungs­land" oder "Bana­nenre­publiken" einge­stuft werden, soll Emotionen wecken. Einen Vergleich mit Frank­reich oder Spanien findet man kaum.

Gibt es "das deut­sche Mobil­funk­netz"?

Bei den Berichten und Auswer­tungen wird gerne vom "deut­schen Mobil­funk­netz" gespro­chen. Das gibt es aber nicht, hier gibt es aktuell drei (und irgend­wann wieder vier) Netze.

Die haben vor Ort unter­schied­liche Qualität, was von "kein Netz" über zu schwach bis zu langsam reichen kann. Nur wenige Meter weiter könnte ein anderes Netz besser sein und kurz darauf ein drittes.

Zwar steht im Klein­gedruckten durchaus, dass die Mess­werte statisch über alle Anbieter berechnet sind. Kaum ein Kunde hat wirk­lich drei SIM-Karten in seinem Handy, der rech­neri­sche Mittel­wert nutzt also nichts.

Flächen­abde­ckung vs. Verfüg­barkeit

Mobil­funk und Versor­gung sind komplex. Schlecht für einfache Schlag­zeilen geeignet. Eine echte Flächen­deckung sagt aus, wie viel Prozent der kompletten Fläche eines Landes mit einer bestimmten Mobil­funk­tech­nologie abge­deckt sind, inklusiv Wald, Seen und Gebirge.

Open­signal nennt eine 4G-Verfüg­barkeit als "wie viel Prozent der Zeit sich ein Nutzer (der Daten gelie­fert hat) sich mit seinem Handy in einer 4G-Zelle aufhält (und wie viel Prozent seiner Zeit in 2G oder 3G Zellen)."

Die gemes­senen Nutzer der Telekom (leider finden sich hier keine genauen Zahlen zur Menge) halten sich dabei nach Open­signal 85,9 Prozent ihrer Zeit in einem LTE-versorgten Gebiet auf. Die Kunden von Voda­fone 81,4 Prozent ihrer Zeit und die Kunden von Telefónica 72,3 Prozent ihrer Zeit.

Dies lasse, so der Telekom-Mann Exner, keine Rück­schlüsse auf eine "Versor­gung" des Landes im Sinne einer Abde­ckung zu.

Deut­sches Netz 76,9 Prozent?

Dafür wird das "deut­sche Netz" mit einem natio­nalen Durch­schnitt von 76,9 Prozent bewertet. Daraus werden dann Vergleiche mit anderen Ländern geschnitzt, wonach der Libanon oder der Senegal ein "besseres" Netz hätten.

Ein Blick auf die Karte

Zum Vergleich hat sich Exner einen Screen­shot aus der Open­signal-App heran­gezogen, wo die grünen Punkte zeigen, wo Mess­punkte durch die User gene­riert wurden. Es wurde nur dort gemessen, wo User sind oder waren. Anderswo könnte es auch Netz geben, aber dort war halt keiner der Test-Nutzer. Senegal, Libanon und Vietnam im Vergleich mit Deutschland (ganz rechts) Senegal, Libanon und Vietnam im Vergleich mit Deutschland (ganz rechts)
Grafik: Opensignal
Nebenbei: Im Senegal, dem Libanon oder Vietnam muss wesent­lich weniger Fläche mit LTE versorgt werden, um bei diesem zeit­basierten Vergleich zu punkten, da die Einwohner sich anders verteilen als in Deutsch­land.

Deutsch­land als Flächen­land mit einer weit übers Land verteilten Bevöl­kerung ist wesent­lich schwie­riger zu versorgen, als der Senegal, bei dem offen­sicht­lich über 70 Prozent aller Daten nur rund um eine einzige Stadt gene­riert werden.

Gehen wir nach Europa: Die Firma Speed­check hat Deutsch­land und Schweden vergli­chen. Die Bevöl­kerung konzen­triert sich in Schweden in wenigen Städten und Regionen im Süden und entlang der Küsten.

Deutsch­land oder USA weitaus kompli­zierter

Wer sich im Vergleich Deutsch­land oder die USA anschaut, stellt eine wesent­lich weniger konzen­trierte Vertei­lung fest. So hat Deutsch­land zwar eine relativ hohe Bevöl­kerungs­dichte mit einigen Metro­polre­gionen, jedoch lebt ein großer Teil der Bevöl­kerung in mittel­großen und kleinen Städten außer­halb der Ballungs­zentren. Diese gleich­mäßi­gere Vertei­lung macht wesent­lich größere Mengen an Glas­faser und Sende­masten notwendig, um die ganze Bevöl­kerung zu errei­chen.

Büro­krati­sches Umfeld

Exner erwähnt die büro­krati­schen Hinder­nisse und gesell­schaft­lichen Hürden im Mobil­funk­ausbau, die von Land zu Land unter­schied­lich sind. In bestimmten Ländern dürfen die Netz­betreiber einfach bauen, wo sie es für sinn­voll halten, in Deutsch­land geht das nicht so einfach.

Weitere Faktoren

Was die Daten­sammler selten erwähnen, sind die genutzten Endge­räte der Nutzer. Wie alt sind diese, welche Chip­sätze sind verbaut, welche Antennen inte­griert? Welche Geschwin­digkeiten unter­stützen diese, welche Betriebs­systeme laufen hierauf? Welche Tarife sind gebucht, war das inklu­dierte Daten­volumen schon aufge­braucht? Gegen welche Server in welchen Netzen wurde gemessen? Jede Menge tech­nische Details, welche Einfluss auf die Ergeb­nisse nehmen

Drive-Tests vs. Crowd-Sourcing

Eine weitere Quelle für Mobil­funk­vergleiche und Tests sind so genannte Drive- und Walk­tests. Bei diesen werden aktu­elle Endge­räte und Tarife genutzt, um Stre­cken abzu­fahren oder abzu­laufen. Dabei werden dann extrem große Daten­pakete bewegt, welche die maxi­male Geschwin­digkeit eines Netzes ausreizen können. Hier werden Test­szena­rien aufge­baut, welche wirk­lich das Netz und nicht das stark indi­vidua­lisierte Kunden­verhalten von Einzelnen testen.

Der Unter­schied, ob sich zum Beispiel ein Endgerät in der Hosen­tasche eines Auto­fahrers befindet (und damit vom Auto, dem eigenen Körper und der Mittel­konsole gut abge­schirmt) oder via Außen­antenne mit dem Netz verbunden ist, ist dras­tisch. Sowohl was die Daten als auch was die Sprach­qualität und Stabi­lität angeht. Auf diesen Faktor haben die Netz­betreiber aber zum Beispiel keinen Einfluss.

Ein Drive-Test wie von umlaut (ehema­lige P3) oder den Smart­phone Magazin Netz­test 2019 , den Connect Netz­test 2019 oder von Windows United - Nach­gehakt: Angeb­liche LTE-Funk­löcher gar nicht exis­tent findet Exner aufschluss­reich. Im Video wird der Test von Mobil­funk­netzen erklärt.

Nicht schön reden - nicht alles schlecht reden

Exner geht es nicht darum, alles rund um das Thema Mobil­funk schön zu reden, er möchte aber nicht akzep­tieren, dass alles schlecht geredet wird.

Es gebe noch Baustellen im Mobil­funk- und Fest­netz­ausbau, die unzu­frie­denstel­lend sind, deswegen inves­tiere sein Unter­nehmen massiv in den Ausbau der Netz­infra­struktur.

"Der Ausbau in Deutsch­land ist eine Mammut­aufgabe und braucht entspre­chende Inves­titi­onssi­cher­heiten und Rahmen­bedin­gungen. Und jeder kennt ein oder zwei Stellen, an denen der Ausbau noch nicht da ist, wo man (auch ich) ihn gerne hätte. Aber es ist nun mal auch so, dass man irgendwo beginnen muss."

Wenn Netz­betreiber bauen wollen

Die (deut­schen) Netz­betreiber bauen eine Menge aus, würden aber gerne noch viel mehr ausbauen. Vor Ort gibt es Wider­stand, gegen Masten, die "häss­lich aussehen" oder eine neue "diffuse Angst vor Strah­lung", die beson­ders dort gut ankommt, wo entweder wenig Kenntnis der realen Zusam­menhänge vorhanden ist oder bestimmte Gruppen bestimmte Ziele (Verkauf von teuren Bera­tungen oder Hilfs­mitteln gegen Strah­lung etc.) verfolgen.

Problem­karte der DFMG

Die Deut­sche Funk­turm-Manage­ment Gesell­schaft, eine Tochter der Telekom hat auf ihrer Home­page eine inter­aktive Karte veröf­fent­licht, wo die Telekom gerne bauen würde, aber nicht bauen darf, entweder weil Bauge­nehmi­gungen nicht vorwärts­gehen oder sich keine Eigen­tümer finden, die einen Standort vermieten würden.

In 79199 Kirch­zarten (bei Frei­burg im Breisgau) wartet ein Bauge­nehmi­gungs­verfahren seit 1848 Tagen auf eine Geneh­migung, in 51061 Köln-Höhen­haus wartet die Telekom seit 2016 auf einen vermiet­bereiten Eigen­tümer.

Im Netz ist zu erfahren, dass die eigent­lich für die Netz­betreiber offenen Sende­masten der Bundes­anstalt für digi­talen Behör­denfunk (BDBOS) auch nicht so einfach zu bekommen seien. Schon Telefónica Chef Markus Haas hatte beklagt, dass die Verant­wort­lichen vor Ort ihr eigenes Ding machen würden.

Links zu den aktu­ellen Karten der Netz­betreiber und freien Commu­nities finden Sie auf unserer Ratge­berseite zur Netz­abde­ckung.

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