Hintergrund

Zeiss zur Nokia-9-Kamera: "Vor kurzem noch unmöglich"

Das Nokia 9 PureView ist das erste Handy mit einer Array-Kamera. Zeiss-Projektleiter Oliver Schindelbeck erzählt teltarif.de über die Hintergründe.
Von Wolfgang Korne

Mit dem Nokia 9 PureView (Hands-On-Test) wagt sich HMD Global kameratechnisch auf ein vollkommen neues Gebiet. Das neue Flaggschiff der Finnen hat nicht nur eine, sondern gleich fünf Kameras. Die fünf Kameras sind in einem Kreis angeordnet und bilden eine sogenannte Array-Kamera. Entwickelt wurde diese Kamera bei Zeiss. Zuständig für die Technologie ist Projektleiter Oliver Schindelbeck. „Wir haben hier etwas vollkommen Neues geschaffen“, sagt er ein bisschen stolz im Gespräch mit teltarif.de. „Etwas, was vor zwei, drei Jahren noch vollkommen unmöglich gewesen wäre.“ Denn da hätte den Smartphones schlicht die Rechenpower gefehlt, um eine solche Array-Kamera zu realisieren. Oliver Schindelbeck, Technologie Projektleiter bei Zeiss zuständig für die Entwicklung  der Kamera des Nokia 9. Oliver Schindelbeck, Technologie Projektleiter bei Zeiss und zuständig für die Entwicklung der Kamera des Nokia 9.
Foto: Schindelbeck

Aus 240 Megapixeln wird ein Bild

Eine Array-Kamera nutzt nämlich die gleichzeitig aufgenommenen Bilder von möglichst vielen Kameras und fügt sie zu einem detailreichen und scharfen Bild zusammen. Beim Nokia sind zwei Farb- und drei Schwarz-Weiß-Kameras daran beteiligt. Die Schwarz-Weiß-Kameras wurden deshalb eingebaut, weil sie keine Farbfilter besitzen und deshalb eine deutlich bessere Lichtstärke und auch Auflösung als Farbsensoren bieten.

Nokia 9 PureView

Die sonst technisch identischen fünf Kameras liefern jeweils Bilder mit 12 Megapixeln Auflösung, bei bestimmten Motivprogrammen macht die Kamera sogar Belichtungsreihen mit vier Aufnahmen. Dann kommen 240 Pixel zusammen, viel Arbeit für den Prozessor. „Ich denke, das Nokia 9 ist eines der wenigen Smartphones, das den Snapdragon 845 wirklich voll ausreizt“, sagt Schindelbeck.

Damit die Berechnungen einigermaßen flott über die Bühne gehen, wird der Hauptprozessor zudem noch von einem in viel Kleinarbeit angepassten Coprozessor unterstützt. Das ist auch der Grund, warum das Nokia 9 nicht mit dem Snapdragon 855 arbeitet. Die Entwicklung der Kamera dauerte sehr lange und die Anpassung der Prozessoren war aufwändig. Es wäre einfach zu komplex gewesen, dieselbe Arbeit für den zwischenzeitlich verfügbaren Snapdragon 855 zu wiederholen.

Die Hauptkamera des Nokia 9 ist technisch einzigartig Die Hauptkamera des Nokia 9 ist technisch einzigartig
Bild: teltarif.de/Korne
Trotz der geballten Rechenleistung dauert es immer noch ein paar Sekunden, bis das endgültige Bild fertig ist. „Wenn Sie direkt nach der Aufnahme das Bild ansehen wollen, bekommen Sie eine Art Vorschau, das Bild der Farbkamera in der Mitte. Erst wenn die Bildberechnung fertig ist, wird es durch das endgültige Foto ersetzt“, erklärt der Zeiss-Entwickler.

HDR auch für bewegte Motive

Einer der großen Vorteile dieser Technik: Die Kamera kann HDR-Bilder auch von bewegten Bildern aufnehmen. „Durch die gleichzeitige Aufnahme von mehreren Kameras können wir die Bewegungsunschärfe herausrechnen. Es gib deshalb auch keinen Button mehr, mit dem man die HDR-Funktion ausschalten könnte. Die Kamera des Nokia 9 nimmt Bilder standardmäßig mit HDR auf.“ Die HDR-Funktion des Nokia 9 PureView berücksichtigt dabei zwölf Blendenstufen – ohne Stativ. Das ist mit herkömmlichen Kameras praktisch unmöglich.

Ein weiterer Vorteil der Kamera, den Schindelbeck besonders heraushebt: Die nachträgliche Verschiebung der Schärfenebenen. Während derzeit gebräuchliche Kameras 10 bis 15 Tiefenebenen speichern, sind es beim Nokia, auch dank der speziellen „Time of Flight“-Kamera, 1200 Ebenen im Abstand von 7 cm bis 40 Meter über den ganzen Weitwinkel hinweg.

Im Gegensatz zur Konkurrenz hat Nokia nur Weitwinkel-Objektive mit einem Kleinbildäquivalent von 27 mm verbaut. Ein Teleobjektiv kann die Kamera nur digital simulieren. „Weil wir die Bildinformation von 5 x 12, also 60 Megapixeln, auswerten, profitiert davon auch das Zoom. Die Datenqualität für jeden einzelnen Pixel ist sehr hoch, was der Bildqualität sichtbar zu Gute kommt.“

Offensichtlich adressiert Nokia mit dem neuen Smartphone aber nicht den einfachen Knipser. Eine Einschätzung, die Schindelbeck bestätigt: Die Kamera sei auf den engagierten Hobby-Fotografen zugeschnitten, der sein Bild komponieren und bearbeiten möchte. Weswegen alle Bilder auch im RAW-Format DNG abgespeichert werden können. Damit ist es dann auch kein Problem, die bei der Brennweite auftretenden stürzenden Linien zu korrigieren und Gebäude wieder gerade hinzustellen.

Auf der nächsten Seite lesen Sie unter anderem, welche Probleme es bei der Entwicklung gab und wie die Zukunft der Technik aussehen könnte. .

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