Medientage: Medienstaatsvertrag schwer unter Beschuss
„Unsere Mitgliedsunternehmen verstehen bis heute nicht, was man eigentlich von ihnen will“, echauffierte sich Carine Chardon. Sie ist beim Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) für Medienpolitik und Medienrecht zuständig. Die ZVEI-Mitglieder, die vom Medienstaatsvertrag betroffen sind, sind die Smart-TV-Hersteller, die aufgrund der Benutzeroberflächen ihrer Geräte nun auch Plattformbetreiber sind.
„Der Entwurf bläht den Plattformbegriff auf, ohne dabei die Marktrealitäten abzubilden“, kritisierte Chardon in Leipzig. Intermediäre hätten mindestens die gleiche Marktmacht wie Plattformbetreiber, würden im Medienstaatsvertrag aber weniger reguliert. „Ein undurchsichtiger Text, der mit jeder Fassung schwieriger wird“, resümiert Chardon.
Regulierung müsse vereinfacht werden
Carine Chardon vom ZVEI und Heiko Zysk von ProSiebenSat.1 äußerten ihr Unverständnis
Medientage Mitteldeutschland/Enrico Meyer
Heiko Zysk, Vice President Governmental Relations & Head of European Affairs bei ProSiebenSat.1, pflichtete ihr bei und betonte, dass man sich mit den Landesmedienanstalten einig sei, die Regulierung, insbesondere die Lizenzierung, zu vereinfachen. „Es ist verwunderlich, dass der Gesetzgeber dennoch an alten Zöpfen festhält“, konstatiert Zysk. Die Verwunderung teilt Joachim Becker, Direktor der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien.
„Wir sind vorsichtig gesagt enttäuscht“, sagte Becker auf den Medientagen, denn der Vorschlag der Landesmedienanstalten, die Lizenzierung durch eine Anzeigepflicht zu vereinfachen, findet sich im Entwurf zum Medienstaatsvertrag nirgends wieder. „Auch die Änderungen bezüglich des Rundfunkbegriffs sind nicht so, wie wir uns das vorstellen“, so Becker weiter. „In seiner jetzigen Form bringt der Medienstaatsvertrag hier Schwierigkeiten.“
Klage wäre möglich
Medienrechtsexperte Professor Dr. Hubertus Gersdorf warnte davor, dass eine Klage gegen den Medienstaatsvertrag möglich sei, wenn er seine Ziele verfehle
Medientage Mitteldeutschland/Enrico Meyer
Nichtsdestotrotz wollen auch die Kritiker an einer Lizenzierung festhalten, die Medien- und Meinungsvielfalt sowie Jugend- und Verbraucherschutz gewährleistet. Dazu würde aber eine Anzeige- oder Anmeldepflicht ausreichen. Stattdessen wird „an einem alten Werk herumgedoktert“, wie Chardon die Bemühungen der Politik bezeichnet, den Rundfunkstaatsvertrag an die Herausforderungen der digitalen Medienwelt anzupassen. „Es ist an der Zeit, das Blatt völlig neu zu schreiben“, forderte die ZVEI-Medienrechtsexpertin.
Schließlich hegt auch die Wissenschaft Zweifel am derzeitigen Vertragsentwurf. So liest etwa Professor Dr. Hubertus Gersdorf eine Verschärfung der Ex-post-Regulierung aus dem Text heraus. Zwar falle die Bagatellklausel im Medienstaatsvertrag weg, wie der Inhaber des Lehrstuhls für Staats-, Verwaltungs- und Medienrecht an der Universität Leipzig auf den Medientagen erklärte, doch Angeboten, die bislang wegen dieser Klausel nicht unter das Regime des Rundfunkstaatsvertrags gefallen seien, drohe nun die Einstufung als Rundfunk.
Angesichts dieser Kritik und den jahrelangen Diskussionen, die der Novellierung des Rundfunkstaatsvertrags vorangegangen sind, bezeichnete Arno Heinisch, Gründer und Geschäftsführer von Rocket Beans Entertainment, das bisher Erreichte als „Armutszeugnis“ für die Medienpolitik.
Nächste Debatte ist Anfang Juni
Noch ist die endgültige Fassung des Medienstaatsvertrags nicht verabschiedet. Anfang Juni 2019 debattieren die Ministerpräsidenten noch einmal über den Entwurf. Die Politik täte jedoch gut daran, die Einwände und Vorschläge aller Beteiligten ernst zu nehmen. Schließlich wäre auch eine Klage gegen den neuen Staatsvertrag möglich, wenn dieser aus Sicht der zahlreichen Kritiker seine Ziele verfehlt. „Wenn die Politik nicht mal mehr auf die Landesmedienanstalten hört, dann muss sie wohl auf die Gerichte hören“, mahnte Kommunikationsrechtler Gersdorf auf den Medientagen in Leipzig.
Auf den Medientagen Mitteldeutschland wurde auch über eine eigene EU-Plattform gegen Netflix und Co. diskutiert. Mehr dazu lesen Sie in einer weiteren Meldung.