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Streaming: Netflix holt Kinofilme ins Wohnzimmer

Reed Hastings hat Netflix von einem DVD-Verleih zum erfolg­reichsten Strea­ming-Dienst der Welt aufge­baut. Sein Ziel sind aber nicht nur Fern­sehbild­schirme, sondern vor allem die Kino­säle zu erobern.
Von Björn König

Netflix streamt den Kinofilm "Die wandernde Erde" exklusiv Netflix streamt den Kinofilm "Die wandernde Erde" exklusiv
Foto: Netflix
Im Februar dieses Jahres star­tete in den chine­sischen Kinos ein beson­ders spek­taku­lärer Science-Fiction-Film: "Die wandernde Erde" basiert auf einer Kurz­geschichte von Liu Cixin aus dem Jahr 2000 und hat eine waghal­sige Hand­lung: Die Sonne wird zum roten Riesen und droht die Erde zu zerstören. Zu dem Zeit­punkt ist die Heimat der Menschen bereits nahezu unbe­wohnbar, weshalb sie sich unter die Erdober­fläche zurück­ziehen. Nun soll der Planet mit all seinen Bewoh­nern durch gewal­tige Rake­tentrieb­werke aus der Umlauf­bahn bis zum Nach­barstern Proxima Centauri beför­dert werden.

Bereits in den ersten neun Tagen spielte die Produk­tion der China Film Group Corpo­ration umge­rechnet fast 350 Millionen Euro im Reich der Mitte ein. Damit war es die größte und erfolg­reichste Science-Fiction-Produk­tion Chinas über­haupt. Doch wie kann es sein, dass von diesem Film in den euro­päischen Kinos weit und breit nichts zu sehen war? Nun, das hat mit dem einzig­artigen Vertriebs­modell zu tun: Außer­halb Chinas hatte sich Netflix die globalen Strea­ming­rechte an der "wandernden Erde" gesi­chert. Nur knapp drei Monate nach dem Kino­start in China streamte Netflix den Film bereits welt­weit, aller­dings hier­zulande nicht in deut­scher Synchro­nisa­tion.

Netflix will Kino­filme produ­zieren

Netflix streamt den Kinofilm "Die wandernde Erde" exklusiv Netflix streamt den Kinofilm "Die wandernde Erde" exklusiv
Foto: Netflix
Sich die welt­weiten Vertriebs­rechte an einem Kino­film zu sichern, ist aber nur ein erster Schritt für das Unter­nehmen aus dem kali­forni­schen Los Gatos. Lang­fristig will Netflix selbst zum Holly­wood-Studio avan­cieren und damit die Domi­nanz des Kinos und der gewohnten Vertriebs­kette brechen. Bislang war es so, dass ein Film in der Regel seine Premiere auf der Kino­lein­wand feiert, danach auf DVD/Blu-ray erscheint und schließ­lich im Pay-TV, bei Strea­ming-Diensten und zuletzt im Free-TV landet.

Netflix-CEO Reed Hastings aller­dings will selbst den Holly­wood-Studios Konkur­renz machen und entscheiden, wo und wann ein Film veröf­fent­licht wird. Es könnte also in Zukunft durchaus sein, dass eine große Holly­wood-Produk­tion ihre Premiere in den Wohn­zimmern statt auf der Kino­lein­wand feiert. Aber das ist womög­lich noch nicht alles, denn es geht für Hastings mit Sicher­heit auch um darum, weniger von Serien abhängig zu sein. Das ist auch bitter nötig, denn mit dem Start neuer Strea­ming-Dienste nimmt der Wett­bewerb um US-Lizenz­ware deut­lich zu.

Hoch­karä­tige Beset­zung

Dabei hat Netflix auch ganz große Namen im Köcher. Ein ganz beson­deres High­light ist zum Beispiel das Mafia-Epos "The Irishman" von Martin Scor­sese, mit hoch­karä­tiger Beset­zung wie Al Pacino, Robert De Niro und Harvey Keitel. Erzählt wird die Geschichte des Cosa Nostra-Auftrags­mörders Frank "The Irishman" Sheeran und seine Verstri­ckung in das Verschwinden des Gewerk­schafts­führers Jimmy Hoffa. Was auf den ersten Blick unvor­stellbar erscheint: Es fand sich laut Scor­sese in ganz Holly­wood kein Studio, das den Film mit derart promi­nenter Beset­zung auf die Lein­wand bringen wollte, ledig­lich Netflix war von dem Projekt über­zeugt.

Nun wird der Film quasi zeit­gleich zum Kino­start auf Netflix gestreamt. Mit diesem durchaus cleveren Schachzug ist vor allem deut­lich geworden, dass Strea­ming-Diensten in Zukunft viel­leicht sogar eine noch eine viel wich­tigere Aufgabe zukommt: Nämlich die Finan­zierung von Filmen sicher­zustellen, welche andern­falls trotz hoher Qualität viel­leicht niemals produ­ziert worden wären.

Content wird exklu­siver

In letzter Zeit ist bei allen Strea­ming-Diensten eine Trend­umkehr zu erkennen. Offenbar geht es immer stärker um Klasse statt Masse. Auch im Serien-Bereich gibt es weniger Neustarts, dafür aber scheinbar teurere und aufwän­digere Produk­tionen. Beispiele hierfür gibt es ebenso beim Konkur­renten Amazon Prime Video, welcher aktuell seine High­lights Jack Ryan und Star Trek: Picard bewirbt. Es ist davon auszu­gehen, dass Amazon dem Schritt von Netflix in die große Kino­welt folgt und eben­falls stärker in die Film­produk­tion einsteigt.

Ob diese Stra­tegie jedoch für die Streamer von Erfolg gekrönt sein wird, ist zumin­dest frag­lich. Neue Konkur­renten wie die WarnerMedia-Tochter HBO Max oder Disney+ haben hier nämlich einen gehö­rigen Vorteil: Sie sind bereits seit Jahr­zehnten erfolg­reiche Film­studios und haben deshalb bei hoch­karä­tigen Film­produk­tionen einen nicht uner­hebli­chen Vorsprung. Zudem braucht Netflix für seinen Einstieg in die Kino­branche viel Kapital, was sie sich letzt­endlich über höhere Preise bei den Zuschauern zurück­holen müssen. Und ob diese gerne für bessere Inhalte zahlen, ist durchaus frag­lich: Netflix kämpft nach mehreren Preis­erhö­hungen mit stagnie­renden Nutzer­zahlen.

Welche Serien und Filme im Oktober bei Netflix bereits neu im Programm sind und welche noch kommen, erfahren Sie in einer Über­sicht.

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