Widersprüchlich

Editorial: Eltern haften (nicht!?) für ihre Kinder

Berlin schützt die Familie, München das Eigentum: Bei Tausch­börsen­nutzung in einer Familie urteilen die Gerichte bei zumindest ähnlichen Fällen dennoch stark unter­schiedlich.
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Editorial: Eltern haften (nicht!?) für ihre Kinder Gerichte urteilen zum Teil stark unterschiedlich
Bild @ Rafa Irusta - Fotolia.com, teltarif.de
Nun haben wir also den Salat: Unterschiedliche Gerichte legen die Recht­sprechung des Bundes­gerichts­hofs zum Filesharing unterschiedlich aus, und sprechen in ähnlich gelagerten Fällen vollkommen unterschiedliche Urteile. Fall 1 war in Berlin: Vom Internet­anschluss des Beklagten war ein Film per Filesharing abrufbar. Der Beklagte trug vor dem Amtsgericht Charlottenburg jedoch vor, dass er zum fraglichen Zeitpunkt der Urheber­rechts­verletzung abwesend und sein PC ausgeschaltet gewesen sei, aber seine Frau und seine Tochter anwesend gewesen seien. Wer von beiden das Filesharing laufen ließ, hätte er nicht ermitteln können. Das AG Charlottenburg wies mit Urteil vom 18. Februar 2014 die Klage der Musikindustrie ab (AZ: 206 C 444/13), das LG Berlin bestätigte dieses Urteil am 09. Dezember 2014 (AZ: 15 S 12/14). Der Vater sei nicht selber der Täter, und er sei nicht verpflichtet, ein anderes Familienmitglied "ans Messer" zu liefern.

Editorial: Eltern haften (nicht!?) für ihre Kinder Gerichte urteilen zum Teil stark unterschiedlich
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Anders nun in München: Verklagt waren die beiden Eltern, die gemeinsam Anschluss­inhaber waren. Diese trugen vor, dass der elterliche PC zum Zeitpunkt der Rechts­verletzung ausgeschaltet gewesen war, und sie Besuch gehabt hätten. Es hätten aber auch die drei volljährigen Kinder Zugang zum Anschluss gehabt. Sie wüssten sogar, welches Kind das Filesharing durchgeführt hätte, aber sie seien nicht bereit, zu sagen, welches es war. Die Kinder wiederum verweigerten im Prozess die Aussage. Das Urteil (LG München vom 01. Juli 2015, Az.: 37 O 5394/14, bestätigt vom OLG München mit Urteil vom 14. Januar 2016, Az.: 29 U 2593/15): Die Eltern müssen Schaden­sersatz von 2500 Euro für ein komplettes Album von Rihanna zahlen, und obendrein die erheblichen Anwalts- und Gerichtskosten für nun zwei Instanzen.

Im Urteil des OLG München wird ausdrücklich Art. 6 Grundgesetz (Schutz von Ehe und Familie) gegen Art. 14 GG (Schutz des Eigentums) abgewogen: "Diesen [Regelungen des Art. 14 GG] kommt im Streitfall ein Gewicht zu, das es rechtfertigt, dass sich die Beklagten im Einzelnen dazu erklären müssen, wie es zu den - unstreitig über ihren Internet­anschluss erfolgten - Rechts­verletzungen aus der Familie heraus gekommen sei." Zum Vergleich nochmal das Urteil des LG Berlin: "Der grundrechtliche Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) verbietet es zu verlangen, einen bestimmten Angehörigen 'ans Messer' liefern zu müssen".

Nächster Schritt BGH?

Nun ist es sicher besonders provozierend, vor Gericht zu sagen, dass man den Täter kenne, ihn aber nicht benennen wolle. Das kann dann schonmal bewirken, dass der Richter ein Urteil von der Art spricht: "Hättest Du mal gesagt, wer es war". Jedoch sollten sich Richter nicht von Emotionen, sondern vom Gesetz leiten lassen. Innerhalb der Familie greifen nun einmal besonders weitgehende Zeugnis­verweigerungs­rechte, die in der Zivil­prozess­ordnung (§ 383 ZPO) auch codiert sind. Die Nutzung dieser zugesicherten Rechte darf nicht dazu führen, dass einfach jemand anders verurteilt wird.

Auch innerhalb der Grundrechte gibt es deutliche Abstufungen. Ganz bewusst steht Art. 6 (Schutz von Ehe und Familie) vor Art. 14 (Schutz des Eigentums). Und Art. 6 spricht sogar von einem besonderen Schutz, während es in Art. 14 lediglich heißt: "Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet." Im Zweifelsfall muss also ein Anspruch nach Art. 14 hinter einem nach Art. 6 zurücktreten. Selbst, wenn das heißt, dass dann die Musik- und Filmindustrie bei Abmahnungen gegen Familien oft nicht zum Zuge kommt, weil sie nicht nachweisen kann, wer die Tauschbörse genutzt hat.

Schließlich erscheint es besonders fragwürdig, dass sich LG und OLG München weigerten, die angeblich am Abend des Tattags anwesenden Gäste als Zeugen zu laden. Schließlich wären sie die zur Aufklärung der tatsächlichen Vorgänge am besten geeigneten Personen überhaupt, da sie keinem Zeugnis­verweigerungs­recht unterliegen, und so zum Beispiel bei einer Befragung durch das Gericht Aussagen treffen müssten, welche der volljährigen Kinder überhaupt anwesend waren, und ob der fragliche Wohnzimmer-PC tatsächlich ausge­schaltet oder doch benutzt worden war.

Wohl wissend, dass es verschiedene Rechts­auf­fassungen gibt, hat das OLG München die Revision zum Bundes­gerichtshof zugelassen. Bleiben die Eltern standhaft und gehen sie in die nächste Instanz, werden wir von diesem Fall also erneut hören und dann sicher auch berichten.

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