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Editorial: Ping-Anrufe sind zu Recht strafbar

"Vorspiegelung falscher Tatsachen" durch Anrufcomputer
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Unerwünschte Werbeanrufe sind zu recht strafbar. Unerwünschte Werbeanrufe sind zu recht strafbar.
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Zeitweilig war es eine beliebte Abzocker-Masche: Man ruft per Wählcomputer abertausende oder gar Millionen Telefonanschlüsse an, und lässt nach dem ersten Klingeln möglichst schnell automatisiert auflegen. Als Absendernummer überträgt man aber keine normale Telefonnummer, sondern eine kostenpflichtige Servicenummer. Erfahrungsgemäß rufen viele der so Angerufenen die angezeigte Nummer "blind" zurück. Diese versucht der Abzocker dann unter einem Vorwand, möglichst lange in der Leitung zu halten.

In einem dieser Fälle konnten die Täter ermittelt werden. Sie wurden vor dem Landgericht Osnabrück angeklagt. Nach zweijähriger Prozessdauer wurden nun die beiden Haupttäter jeweils zu 15 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und zur Zahlung einer Bewährungsauflage von 2 000 Euro verurteilt. Eine Helferin wurde zu einer Strafe von 100 Tagessätzen zu zusammen 1 500 Euro verurteilt.

Bemerkenswert an dem Verfahren sind nicht nur die lange Dauer der Ermittlungen und des Gerichtsprozesses selber - die eigentliche Tat geschah bereits zu Weihnachten 2006 - sondern auch, dass es überhaupt einen Schuldspruch gibt. Denn unter Rechtsexperten ist umstritten, ob in Fällen wie diesem hier überhaupt Betrug vorliegen kann: Es findet ja keine direkte Kommunikation zwischen vermeintlichem Täter und Opfer statt. Wie soll der Täter also im strafrechtlichen Sinne die für den Betrug nötige "Vorspiegelung falscher Tatsachen" bzw. die "Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen" durchführen? Das Oberlandesgericht Celle sieht die Verantwortung beispielsweise rein beim Angerufenen: "Es ist nicht Aufgabe des Strafrechts den Mitbürger vor einer groben Sorgfalts­pflichtverletzung [nämlich dem blinden Rückruf bei einer ihm unbekannten Nummer] zu schützen."

Auch das LG Osnabrück hatte den hier dargestellten Prozess aus ähnlichen Gründen zunächst nicht zulassen. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück konnte gegen die Nichtzulassung aber erfolgreich Beschwerde vor dem OLG Oldenburg einlegen. Das nun gefallene Urteil ist nicht rechtskräftig; wegen der offenen Rechtsfragen ist es sehr wahrscheinlich, dass mindestens einer der Angeklagten die Revision vor dem Bundesgerichtshof beantragt. Auch die Staatsanwaltschaft kann Revision beantragen; sie hatte nämlich deutlich höhere Haftstrafen ohne Bewährung beantragt.

Richtige Entscheidung

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Aus Verbrauchersicht ist das Urteil zu begrüßen. Ping-Anrufe bieten keinerlei Mehrwert für Telekommunikations-Nutzer. Zugleich verstopfen sie die Netze und kosten denjenigen, die darauf reinfallen, bares Geld. Zwar bräuchte man nicht unbedingt das Strafrecht, um ping-Anrufe zu verbieten, man kann das alternativ oder zusätzlich auch über Spezialregelungen im Telekommunikationsgesetz regeln. Jedoch ist es höchst ineffizient, für jede mögliche Form der Abzocke das Parlament zu beschäftigen, um die Gesetze zu korrigieren. Deswegen gibt es auch das Strafrecht, und dass es hier tatsächlich in einem Tk-affinen Massenbetrug überhaupt angewendet wurde, ist ein positives Signal an die Verbraucher. Vielleicht schreckt es doch ein paar Abzocker ab.

Andererseits darf Strafrecht nicht willkürlich sein. Strafe darf nur dann verhängt werden, wenn der Täter hätte wissen müssen, zumindest aber wissen können, dass seine Tat strafbar ist. Ich sehe dieses Kriterium bei einer Strafe gegen Ping-Anrufe als erfüllt an. Zur "Vorspiegelung falscher Tatsachen" ist es nämlich unerheblich, welchen Kommunikationskanal der Täter benutzt. Ob ein persönliches Gespräch, ein handgeschriebener Brief, eine E-Mail oder ein paar Bits im Signalisierungskanal einer Telefonverbindung: Alle genannten Wege können genutzt werden, um richtige wie falsche Tatsachen zu übermitteln. Die "falsche Information" besteht hier konkret in der manipulierten Rückrufnummer. Die für den Betrug ebenfalls nötige Täuschungshandlung besteht darin, dass dem Angerufenen ein persönlicher Grund für den Anruf vorgegaukelt wird. Zwar nicht alle, aber viele Opfer kommunizieren ihre Telefonnummer nur innerhalb der Bekanntschaft und Verwandschaft, und erwarten daher, dass sie nur von diesen angerufen werden.

Ist es nun künftig Betrug, sich bei einem Anruf zu vertippen und beim ersten Klingeln aufzulegen, wenn man sieht, dass die Nummer falsch ist, und so Rückrufe zu provozieren? Nun, sicher nicht, denn es fehlt ja schon am für den Betrug nötigen Vermögenstransfer an den "Täter" (am Rückruf auf eine normale Festnetz- oder Handynummer verdient der sich Vertippende ja nichts), aber ebenso am Vorsatz (man vertippt sich ja unabsichtlich) und an der Übertragung einer falschen Tatsache (es wird ja die echte Rufnummer des Anrufers übertragen). Das Urteil belastet also nur die, die massenhaft absichtlich mit falscher Absendernummer anrufen, nicht die, die mal eine falsche Rufnummer erwischen.

Tk-Anbieter kassieren ab

Ungewöhnlich ist an dem Verfahren auch, dass weitere, nicht angeklagte Personen und Unternehmen massiv kritisiert wurden. Der vorsitzende Richter sagte in der mündlichen Urteilsverkündung, es habe sich um Mehrwertdienstnummern ein Sumpf gebildet, von dem insbesondere die Telekommunikationsunternehmen profitierten. Damit kritisiert er, dass die Bundesnetzagentur bei Rufnummernspam und Ping-Anrufen zwar regelmäßig ein Rechnungslegungs- und Inkassoverbot erteilt, das weitere Zahlungsströme verhindert. Dadurch wurde im konkreten Fall erfolgreich verhindert, dass die Täter das Geld für die Anrufe auf ihre mit dem Spam "beworbene" Sondernummer kassieren konnten. Jedoch behielten die Tk-Unternehmen das Geld für bereits abgerechnete Verbindungen, und erstatteten diese mitnichten automatisiert an die getäuschten Verbraucher zurück. So verdienten die Tk-Anbieter trotz Inkassoverbot am Wirken der Betrüger, und zwar sogar mehr, als wenn es dieses Verbot nicht gegeben hätte! Dieses Verhalten hatte ich in einem früheren Editorial ebenfalls kritisiert, wenn auch mit weniger starken Worten.

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