Medientage: Eigene EU-Plattform gegen Netflix und Co.
WDR-Intendant Tom Buhrow (2.v.r.) will nicht den kommerziell ausgerichteten Algorithmen der amerikanisch gesteuerten Plattformen ausgeliefert sein
Medientage Mitteldeutschland
Die Motivation hinter dieser Idee macht Tom Buhrow für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk deutlich: „Wir wollen nicht den kommerziell ausgerichteten Algorithmen der amerikanisch gesteuerten Plattformen ausgeliefert sein“, sagte der WDR-Intendant auf den Medientagen Mitteldeutschland in Leipzig. Eine EU-weite Medienplattform sei jedoch viel größer als der öffentlich-rechtliche Rundfunk, so Buhrow weiter. „Es ist ein gesellschaftliches Projekt, das alle öffentlichen Institutionen und alle Qualitätsmedien umfasst.“ Wobei natürlich die Frage ist, was unter Qualitätsmedien fällt und was nicht.
Ihren Ursprung könnte die EU-Medienplattform im "Aachener Vertrag" zwischen Deutschland und Frankreich haben, in dem explizit eine digitale Plattform sowie ein gemeinsamer Kultur- und Medienraum gefordert werden. „Das könnte die Basis zur Entwicklung einer europäischen Medienplattform sein, an der andere andocken könnten“, erklärte Johannes Selle. Der CDU-Politiker ist im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags tätig. Erste Gespräche unter Federführung des Staatsministeriums für Kultur und Medien liefen laut Selle bereits.
Investitionen sind nötig
WDR-Intendant Tom Buhrow (2.v.r.) will nicht den kommerziell ausgerichteten Algorithmen der amerikanisch gesteuerten Plattformen ausgeliefert sein
Medientage Mitteldeutschland
Er machte auf den Medientagen jedoch auch deutlich, dass man für eine solche Plattform auch in Soft- und Hardware investieren müsse, um nicht wieder von den Amerikanern abhängig zu sein. „Ich würde jedoch in Frage stellen, ob der technologische Vorsprung der USA eingeholt werden kann“, gab Professor Dr. Christoph Neuberger vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München zu bedenken.
Auch Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt, äußerte Bedenken. „Facebook ist von unten gewachsen“, sagte Robra in Leipzig. „Es ist die Frage, ob so etwas auch von oben quasi diktiert werden kann.“
Kulturkanal arte als Vorbild
Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt, schlug vor, Bußgelder, die Google an die EU zahle, für den Aufbau einer eigenen Medienplattform zu verwenden
Medientage Mitteldeutschland
Trotz der Bedenken stand für alle Diskutanten auf den Medientagen Mitteldeutschland fest, dass es einer moderierten Medienplattform für den Diskurs europäischer Themen bedarf. „Das Geld ist in der EU da“, sagte Robra. Er regte zudem an, die Bußgelder, die zum Beispiel Google an die EU zahlen muss, für den Aufbau einer EU-Medienplattform zu verwenden. „Die bisher genannten Summen reichen nicht aus, um eine solche Plattform zu finanzieren“, ergänzte CDU-Politiker Selle.
In diesem Zusammenhang verwies die Generalsekretärin und Beauftragte für die europäische Entwicklung des TV-Senders arte, Marysabelle Cote, auf das Subsidiaritätsprinzip, das beim Kulturkanal praktiziert wird. So wird etwa die Infrastruktur durch die EU kofinanziert. Ohnehin scheint das Konzept hinter arte näher an einer EU-Medienplattform zu sein als jede Absichtserklärung, denn längst bietet der Sender in seiner Mediathek Inhalte in sechs verschiedenen Sprachen an. „Ein Beitrag über Mehrgenerationen-Wohnen aus den Niederlanden wurde zum Beispiel in Polen oft abgerufen“, erzählte Cote in Leipzig, „weil dort genau das gleiche Thema diskutiert wird.“ So schafft arte das, was die EU-Medienplattform etablieren soll: eine europäische Öffentlichkeit – ohne amerikanischen Einfluss.