Internet-Architektur

Aktuelle Forschung: Datenstau im Internet vermeiden

Leibniz-Preis für eine neue Internet-Architektur
Von Marie-Anne Winter

Anja Feldmann, Informatik-Professorin und Leibntz-Preisträgerin. Anja Feldmann, Informatik-Professorin und Leibniz-Preisträgerin.
Bild: TU Berlin
Ein Leben ohne Internet ist für Millionen von Menschen weltweit mittlerweile unvorstellbar. Ob sie per Internet kommunizieren, sich informieren, arbeiten oder spielen - die Möglichkeiten der Informationstechnik sind vielfältig. Und damit es trotz ständig steigender Nutzerzahlen, zunehmenden Informationsangeboten und immer neuen Anwendungen auch in Zukunft nicht zu Staus und Ausfällen im Internet kommt, wird geforscht und untersucht, wie man das Internet schneller und sicherer machen kann. Das ist das Forschungsgebiet von Professor Anja Feldmann. Feldmann leitet das Fachgebiet "Intelligent Networks and Management of Distributed Systems" an der TU Berlin und eine Forschungsgruppe bei den Deutsche Telekom Laboratories (T-Labs).

Anja Feldmann, Informatik-Professorin und Leibntz-Preisträgerin. Anja Feldmann, Informatik-Professorin und Leibniz-Preisträgerin.
Bild: TU Berlin
Ihr Fachgebiet ist eine Stiftungsprofessur der T-Labs, der Forschungs- und Entwicklungseinheit der Telekom, die gleichzeitig ein An-Institut der TU Berlin sind. Seit 2010 ist Anja Feldmann zudem Dekanin der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik an der TU Berlin. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen der TU Berlin und internationalen Spitzenforschern entwickelt sie neue Wege, um das Internet an die Anforderungen der Zukunft anzupassen. Schwerpunkte sind dabei der Entwurf eines neuen Internets (Clean Slate Design) und das Internet der Dinge, das den selbstständigen Informationsaustausch von Gegenständen untereinander ermöglichen soll.

Aber auch Anwendungen wie Internet-Fernsehen oder Videotelefonie sorgen dafür, dass die Datenmenge in den Netzen ständig steigt. Jeder Internet-Nutzer kennt die Auswirkungen dieser "Datenstaus": Manchmal wird der Datenfluss unerträglich langsam, manchmal sind bestimmte Internetseiten nicht mehr erreichbar und mitunter streikt der Zugang ganz. Die Idee von Anja Feldmann und ihren Fachkollegen aus der ganzen Welt ist es, eine ganz neue Internetarchitektur zu schaffen, um solche Probleme gar nicht mehr entstehen zu lassen.

Intelligente Netze statt Patchwork

Die neue Struktur soll dafür sorgen, dass die Ansprüche der Nutzerinnen und Nutzer künftig die Möglichkeiten der Technik nicht mehr übersteigen. "Damit unser Netz überhaupt funktioniert, mussten immer neue Erweiterungen der bestehenden Architektur programmiert werden", so Feldmann. "Da wurde ein Pflaster auf ein Pflaster auf ein Pflaster geklebt." Warum das Internet nicht gleich neu entwerfen, überlegten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. "Bisher werden alle Daten mit der gleichen Priorität behandelt und genau hier liegt das Problem", erläutert Feldmann. „Wenn ich beispielsweise gleichzeitig über Skype telefoniere und ein Video herunterladen möchte, passiert es häufig, dass das Gespräch unterbrochen wird." Die Leitungen sind dann schlicht überlastet. Dass der Nutzer in diesem Moment vielleicht lieber telefoniert und dafür auf das Herunterladen des Videos verzichtet hätte, kann das Netzwerk nicht wissen.

Mit dem neuen Ansatz würde das Internet virtuell in verschiedene, von einander getrennte Bereiche aufgeteilt. So könnte es einen Bereich geben, über den mit hoher Priorität Daten verschickt werden, wie das bei Telefongesprächen der Fall sein muss, und einen, in dem die Verbindungsqualität schwanken darf, in dem dann Downloads größerer Datgenmengen statt finden können. Ob eine solche neue Struktur auch millionenfach funktionieren könnte, erforschen Feldmann und ihre Kollegen innerhalb des deutschlandweiten "G-Labs".

Eine der 46 Sendeanlagen für das BOWL-Netz der TU-Berlin. Eine der 46 Sendeanlagen für das BOWL-Netz der TU-Berlin.
Bild: Telekom
Getestet wird unter anderem vor der eigenen Haustür: Insgesamt 46 Sendeanlagen auf fast allen Dächern des Campus der Technischen Universität in Berlin-Charlottenburg gehören zu einem der größten offenen Experimentierplattform für Mesh-Netze weltweit, dem "Berlin Open Wireless Lab" (BOWL [Link entfernt] ). Das Besondere: Nicht nur die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen das Netz, sondern auch alle Mitarbeiter und Studierenden können kostenlos surfen – und werden so gleichzeitig zu Testpersonen für die weitere Forschung.

Zeitnah relevante Informationen finden

Eine andere Frage ist, wie man relevante Informationen aus dem Datenfluss fischen kann. "Die Menge an Informationen, ihre Vielfalt und Herkunft wächst kontinuierlich", erklärt die Informatikerin. "Somit verbreiten sich auch immer mehr redundante Informationen, die die Nutzer nur sehr schwer bewerten und richtig einordnen können". Ob Twitter oder Facebook – immer neue Arten von Inhalten und Kommunikationsformen etablieren sich. Doch Informationsquellen bieten eine riesige Bandbreite unterschiedlichster Qualität, so dass sich der Umgang mit Informationen und ihre soziale Struktur zwangsläufig ändern. Das bringt neue Herausforderungen mit sich: Informationen müssen nützlich und vertrauenswürdig sein, ohne Widersprüche und sollen den Empfänger zeitnah erreichen. Eine der Idealvorstellungen der Forscherinnen und Forscher ist es, fremde Menschen mit denselben Interessen an einem virtuellen Ort nur mit Hilfe neuer Kommunikationssysteme, die untereinander eigenständig Informationen austauschen, in Kontakt zu bringen.

"Unser Ziel ist es, Hindernisse zur modernen Informationsgesellschaft zu überwinden und die Grundlage für eine effektive, sichere Nutzung von Informationen zu liefern", erklärt Anja Feldmann, "während gleichzeitig die Privatsphäre des Versenders und Empfängers gewahrt bleibt."

Heute wird die Deutsche Forschungsgemeinschaft den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2011 an Anja Feldmann überreichen. Der mit 2,5 Millionen Euro dotierte Preis ist einer der bedeutendsten deutschen Forschungspreise. In diesem Jahr gibt es 10 Preisträgerinnen und Preisträger.

"Der Leibniz-Preis ist eine tolle Überraschung für mich und mein Team. Mit solch einer Ehrung kann man nicht rechnen", freut sich Feldmann. "Das Preisgeld von 2,5 Millionen Euro ermöglicht uns einen noch größeren Freiheitsgrad in der Forschung. Wir werden unsere internationale Ausrichtung und Vernetzung noch stärker ausbauen können."