Dumb Pipe

Öffnung von WhatsApp & Co.: Telekom-Konzerne fordern Leitungsschutzrecht

Die europäischen Telekom-Konzerne fordern in einem Brief an EU-Kommissionspräsidenten Juncker die Öffnung von Diensten wie WhatsApp sowie eine Beteiligung dieser Konzerne an den Investitionskosten für die genutzte Infrastruktur.
Von Marie-Anne Winter

Die europäischen Netzbetreiber würden US-Konzerne gern an den Kosten für ihre Infrastruktur beteiligen. Die europäischen Netzbetreiber würden US-Konzerne gern an den Kosten für ihre Infrastruktur beteiligen.
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Man sollte ja annehmen, dass nicht nur die Zeitungsverleger mitbekommen haben, wie gut die Sache mit dem Leistungsschutzrecht funktioniert: Nämlich gar nicht. Nochmal kurz zusammengefasst: Die Verlage haben sich darüber geärgert, dass Google dank eines innovativen Geschäftsmodells haufenweise Kohle damit verdient, Werbung auf seinen Suchergebnisseiten zu schalten, auf denen tolle Inhalte gefunden werden können - unter anderem auch Inhalte eben jener Verlage. Also forderten die Verlage ein Stück vom Kuchen - aber Google ließ sie cool abblitzen. Warum sollte Google auch damit anfangen, für die Darstellung bestimmter Suchergebnisse zu zahlen?! Es gibt schließlich jede Menge Seiten, die froh sind, über Google gefunden zu werden! Inzwischen hat auch der Axel-Springer-Konzern seinen schmerzhaften Selbstversuch aufgegeben, sich von Google boykottieren zu lassen: Es ist schon etwas ungeschickt, einerseits Reichweite über ausgefeilte SEO-Strategien aufzubauen und sich dann aus den Suchergebnissen des Quasi-Monopolisten in Sachen Internetsuche entfernen zu lassen.

Trotzdem sind führende Telekommunikationskonzerne in Europa jetzt auf den Trichter gekommen, ihrerseits eine Art Leitungsschutzrecht (ja genau, wie Leitung ohne s, denn es geht um Infrastruktur) zu fordern. Wie RP Online berichtete, haben Telekom-Vorstand Tim Höttges und Vodafone-Chef Vittorio Colao sowie die Chefs von Telecom Italia, Telefónica, Ericsson, Alcatel-Lucent, Liberty, Orange, Telenor und TeliaSonera einen entsprechenden Brief an EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker geschrieben. Darin fordern die Telko-Chefs, "Asymmetrien zwischen den Richtlinien für Investoren in die europäische Infrastruktur und denen für globale Internet-Konzerne" auszugleichen. Das bedeutet unter anderem, dass US-Internetkonzerne wie Google und Facebook in Europa nicht mehr wie bisher Milliardensummen mit Datensammel-Diensten verdienen dürfen, die europäische Konzerne unter anderem wegen des hier geltenden vergleichsweise strengen Datenschutzes nicht anbieten können. Außerdem sollen US-Konzerne wie Google oder Facebook an den Kosten für die Infrastruktur beteiligt werden, über die sie ihre Angebote abwickeln.

Und die EU-Kommission soll für "Transparenz und Offenheit von Kommunikationsplattformen, Betriebssystemen und Suchmaschinen" sorgen. Das wiederum heißt, dass Internetkonzerne, bei denen Nutzer nur innerhalb eines geschlossenen Systems kommunizieren, wie das bei Facebook, WhatsApp oder Google+ der Fall ist, ihre Dienste künftig öffnen müssten - genau wie die Telefonkonzerne ihre Netze gegenseitig für Sprache und für SMS zur Verfügung stellen müssen. Wobei man hier durchaus anmerken kann, dass das nicht ganz dasselbe ist - denn die Telekomkonzerne bieten bestimmte Dienste ja auch nur ihren eigenen Kunden an.

Netzbetreiber als Innovationsbremsen

Die europäischen Netzbetreiber würden US-Konzerne gern an den Kosten für ihre Infrastruktur beteiligen. Die europäischen Netzbetreiber würden US-Konzerne gern an den Kosten für ihre Infrastruktur beteiligen.
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Es ist ja nicht so, dass zuvor nicht schon pfiffige Ideen für Netzbetreiber-übergreifende Dienste gegeben hätte. Etwa Paybox. Bereits im Jahr 2001 bot Paybox einen universellen Bezahldienst per Handy an. Aber Banken und Netzbetreiber wollten lieber eigene Lösungen mit viel technischem Schnickschnack in den Markt drücken und verhinderten damit eine rasche Verbreitung einfacher plattformübergreifender Payment-Lösungen. Es dauerte aber fast zehn Jahre, bis die deutschen Netzbetreiber mit mpass ein halbwegs brauchbares eigenes Paymentsystem anbieten konnten.

Ähnlich kläglich ist auch der Versuch ausgegangen mit Joyn eine selbstgestrickte Alternative zu den mittlerweile selbstverständlich gewordenen Messaging-Diensten zu etablieren - aber man kann nicht einfach ein bereits erfolgreiches Konzept kopieren, mit jeder Menge Einschränkungen versehen und dann auch noch erwarten, dass die Kunden für die schlechtere Kopie etwas bezahlen, nur weil sie vom eigenen Netzbetreiber angeboten wird.

Oder Handyfernsehen. Das sollte ja eine der Anwendungen sein, mit denen die Netzbetreiber ihre Milliarden-Investitionen in den UMTS-Ausbau refinanzieren wollten. Und die Netzbetreiber haben es tatsächlich sogar geschafft, jweils eigene TV-Angebote zu basteln, die Kunden teuer abonnieren konnten. Allerdings hatten die Mobilfunknutzer nicht so richtig Lust dazu, für ein sehr überschaubares Angebot für die damals vergleichsweise kleinen Handydisplays viel Geld zu bezahlen. Zusätzlich zum teuren UMTS-Tarif. Also wurde die Fernsehnutzung auf dem Smartphone erst interessant, als es Geräte gab, die in Deutschland ohne Zusatzkosten ausgestrahlte DVB-T-Programme empfangen konnten. Auch hier haben die Netzbetreiber wieder so lange rumgemacht, bis sie von einer neuen Entwicklung überholt wurden. Jetzt schauen die Leute auf ihren Smartphones über Dienste wie Zattoo, Magine oder Netflix fern, die entsprechende Apps für die mobile Nutzung anbieten, die Netzbetreiber sind auch hier, was sie ja nicht werden wollten: die Dumb Pipe, nur die dumme Leitung.

So ist das halt, wenn man selbst nicht in der Lage ist, Dienste anzubieten, die die Kunden offensichtlich haben wollen und die vor allem folgende Kriterien erfüllen: Einfach zu nutzen, plattformübergreifend und zu überschaubaren Kosten. Klar kann man es ungerecht finden, dass diese smarten Anbieter auf der Infrastruktur, die die Netzbetreiber ausbauen und weiter ausbauen müssen, weil ihre Kunden ja ein positives Interneterlebnis wünschen, ihre eigenen Geschäfte abwickeln. Aber die Kunden bezahlen ja auch für ihren Anschluss. Wie weit man Google, Amazon, Netflix und so weiter tatsächlich an den Kosten für den Transport ihrer (sehr vielen) Daten beteiligen kann und muss, ist eine weitere Diskussion. Aber von WhatsApp oder Facebook eine Öffnung ihrer Dienste zu verlangen, während man selbst die Schotten gern dicht macht?! Wird man dann Entertain-Inhalte von der Telekom künftig auch über o2-DSL ansehen können? Oder die o2-Local-Angebote auch als Vodafone-Kunden nutzen können? Und was ist eigentlich mit dem Routerzwang?!

Liebe Netzbetreiber, macht doch erstmal euren Job richtig und liefert uns vernünftige Netze, bevor ihr die EU-Kommission dazu bringen wollt, innovative Dienste weiterer Anbieter in euren Netzen durch unmögliche Auflagen zu verhindern! Denn ohne die attraktiven Angebote der anderen braucht man eure ganzen Datenleitungen am Ende auch nicht.

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