Editorial: Trotziger 1&1-Netzstart - Enttäuschung zu erwarten
Der digitale Mobilfunkmarkt ist 1992 gestartet. Damals gab es zwei Netzbetreiber, weil man zum Nachfolger der Deutschen Bundespost einen Mitbewerber wollte, um den Netzausbau zu beschleunigen und sich im Wettbewerb günstigere Preise erhoffte.
Am Anfang waren es zwei
Das ging am Anfang relativ gut. Mannesmann D2 Privat war neu, und beruflich telefonierende Kunden griffen das neue Angebot dankbar auf. Kein Wunder, dass der neue Anbieter die angestaubte Bundespost-Telekom erst einmal überholte. Doch bald lag die Telekom im Wettbewerb wieder vorne.
Die Politik wollte drei
Die Politik wollte noch mehr Wettbewerb, mehr Netz und günstigere Preise, das war der Startschuss für E-Plus. Die Werbung mit dem Vögelchen pfiffig, die Preise günstig, da sah man auch über manche Startprobleme hinweg.
Die Politik wollte vier
Schließlich kam VIAG Interkom als Nummer vier. Schon damals skeptisch beäugt ("ob das gut geht?"), startete VIAG mit noch mehr Anlaufschwierigkeiten. Trotzdem galt VIAG bei preissensiblen Kunden als neuer Heilsbringer, zuvor hatte E-Plus teilweise enttäuscht.
Der Markt zwingt zur Fusion
Der Zwang zum besseren Netzausbau in Verbindung mit einem Preiskrieg und eine völlig überteuerte UMTS-Lizenz zeigten schließlich doch noch Wirkung. E-Plus und o2 (vormals VIAG Interkom) mussten zusammenrücken und fusionierten. Das Netzumbauchaos frustrierte die Kunden gewaltig.
Da waren es nur noch drei. Die EU-Kommission erlaubte das nur, wenn ein virtueller Netzbetreiber bestimmte Netzkapazitäten im o2-Netz bekommen würde. Da schlug die 1&1-Drillisch zu. Für den Endkunden änderte sich zunächst nichts. Man konnte bei Original o2 mobil telefonieren oder oft günstiger bei einer der unendlich vielen Marken von Drillisch, die heute zu 1&1 gehören.
Ungeliebte Service-Provider
Service-Provider, also Mobilfunkanbieter ohne Netz, waren den etablierten Netzbetreibern immer unheimlich. VIAG Interkom wollte sie nicht und musste vom Gericht dazu gezwungen werden, damals hatte die Debitel AG nach Lizenzen gefragt.
Service-Provider brauchen günstige Einkaufspreise, damit sie ihren Kunden interessante Angebote machen können, die preislich unter den Tarifen der Netzbetreiber liegen sollen, sonst würde ja niemand dort hingehen.
Die Kunden wollen günstige Preise, also müssen auch die Netzbetreiber ihre Preise (und ihre Margen) senken, das ist ein Teufelskreis, weil auch die Anteilseigner ihre Rendite erwarten.
Der Aufstieg des Ralph D.
Im römischen Mons Tabur (heute Montabaur) funkt 1&1 auf 2600 MHz (Band 7). Erste n78-Sender (3600 MHz) sind in Frankfurt/Main und Karlsruhe aktiv.
Foto: Picture Alliance/dpa
Ralph Dommermuth, der Selfmade-Unternehmer, der im westerwäldischen Montabaur sein Unternehmen hochzog, hatte früh für Aufsehen gesorgt, weil er das seinerzeit "unverkäufliche" BTX (Bildschirmtext, ein proprietärer Vorgänger des heutigen Internets) unters Volk brachte. Er verkaufte BTX-Verträge an Oma, Opa, Enkel und Tanten. Ob die Leute schon einen Computer hatten, war offenbar nicht so wichtig. Der Erfolg gab ihm recht. Die Telekom entschied sich daher, BTX am Leben zu lassen und um das "echte" Internet zu ergänzen.
Aufbau eines Imperiums
Dommermuth kaufte sich ein großes Imperium zusammen, viele Service-Provider landeten erst bei Drillisch und schließlich bei der 1&1 SE. Als reiner Service-Provider befürchtete Dommermuth, langfristig "ausgehungert" zu werden. Mit der Telekom hatte es noch unter der Regie von Drillisch "Krach" gegeben, die Bande wurden seinerzeit gelöst, der Bund mit Vodafone ist ebenfalls zeitlich befristet. Dommermuth setzte voll auf o2, um seine zugesagten Kapazitäten auch zu nutzen, und vermutlich sind dort die Preise am günstigsten.
Der Traum vom eigenen Netz
Doch Dommermuth wollte lieber ein "eigenes Netz". Es gab Verhandlungen mit allen Netzbetreibern. Teilnehmer erinnern sich daran, dass Dommermuth eigene Vorstellungen hatte, die mit den technisch erfahrenen Gesprächspartnern nicht unter einen Hut zu bringen waren. Also bewarb er sich um die vierte Lizenz und kaufte für viel Geld Frequenzen.
Weil diese aber nicht sofort verfügbar waren, "lieh" er sich bei o2 Frequenzen bei 2600 MHz, mit denen er testweise anfangen konnte. Inzwischen sind die "echten 5G-Frequenzen" bei 3500-3700 MHz nutzbar. Dort gibt es hohe Bandbreiten, aber lächerlich niedrige Reichweiten von 200-500 Meter rund um den Standort. Das bedeutet, 1&1 braucht viele, sehr viele Standorte. In der Fläche wären niedrigere Frequenzen mit höheren Reichweiten (aber geringeren Datenraten) auch ganz nett.
Wenig Platz auf den Frequenzen
Nun ist der Bereich 700-900 MHz schon gut belegt, und wenn statt drei jetzt vier Netzbetreiber dort funken sollen, muss alles ziemlich "umgeräumt" werden. Für die etablierten Anbieter könnte es eng und teuer werden. Sie müssen mehr Sender aufstellen, um ihre wenigeren Frequenzen auf kleiner Zellenfläche neu aufzuteilen. Sie müssen mehr Geld für Lizenzen ausgeben, was beim Netzausbau fehlt. Preiserhöhungen sind nicht drin, weil die Kunden die aktuellen Preise ohnehin schon als "überteuert" empfinden.
Open RAN als Rettung?
Dommermuth hörte vom Open-RAN Konzept, das - vereinfacht gesagt - integrierte Antennenmodule vor Ort und dahinter Rechenzentren mit viel neuer Software vorsieht. Das ist in der Theorie relativ schnell aufzubauen und in Betrieb zu nehmen. Doch die Software ist neu, die Technik wurde vorher kaum erprobt, es gibt viele Risiken. Auch Telekom, Vodafone und o2 hatten sich an Open RAN versucht und festgestellt: Das ist noch lange nicht marktreif.
Dann scheint Ralph Dommermuth die deutsche Bürokratie unterschätzt zu haben. Einfach Antennen aufhängen und Einschalten - ist nicht. Da braucht es Berechnungen für die Statik der Masten und Standorte, Messungen und Berechnungen der Strahlenbelastungen, spezielle Baugenehmigungen und nicht zuletzt schnelle Zuleitungen zu den Sendern, die vielleicht irgendwo tief im Wald stehen, wo es noch keine Leitungen gibt.
Plötzlich tauchte das Gerücht auf, dass Dommermuth das Geld ausgehen könnte. Es hieß, er suche einen Käufer für seine Mobilfunkambitionen. Vielleicht hätte man ihn besser mit einem neuen langfristigen Service-Provider-Vertrag besänftigen sollen, der nicht nur die Nutzung des o2-Netzes, sondern auch der Konkurrenten Vodafone und Telekom erlaubt hätte. Doch das wurde nie realisiert.
Jetzt erst recht?
Dommermuth hat nun trotzig kurz vor Jahresende den Netzstartschuss gegeben, ohne Pressekonferenz und ohne Feierstunde. Keine Testkarten für Journalisten, keine detaillierten Hintergrund-Infos. Im Internet kann man jetzt (theoretisch) an drei begrenzten Standorten in Deutschland relativ unattraktive praxisfremde Tarife für einen unbeweglichen Festnetz-Ersatz buchen. Geplant waren eigentlich bis Jahresende 1000 Standorte gewesen.
Aller Anfang ist ...
Ok, viele haben mal klein angefangen. Wie wird es weiter gehen? Irgendwann wird 1&1 sein Mobilfunknetz starten, also ein Netz, wo man sich mit seinem Endgerät auch bewegen kann und darf. Zunächst steht den Kunden ein Roaming im o2-Netz zur Verfügung. Wer schon länger dabei ist, kennt das noch vom VIAG-D1-Roaming, als VIAG Interkom und später o2-Kunden bei Bedarf ins D1-Netz der Telekom wechseln konnten. Das wurde dann irgendwann zurückgedreht und die Kunden saßen über Nacht im Funkloch, weil der Netzausbau von o2 nicht so schnell vorankam, wie gehofft. Wird sich das bei 1&1 wiederholen?
Wer jetzt bei 1&1 unterschreibt, sollte Mut zum Abenteuer und einen Reservevertrag in einem anderen Netz haben. Richtig spannend wird es, wenn alle 1&1-Drillisch-Bestandskunden auf Weisung der Bundesnetzagentur vom Vodafone-(D2)- oder o2-Netz in das Netz von 1&1 überführt werden müssen.
Mag sein, dass es viele Kunden nicht merken, weil die vorhandene SIM-Karte per Software umgeschaltet werden kann. Andere Kunden werden eine neue SIM-Karte per Post bekommen, die sie in ihr Handy einlegen müssen. Dann kann sich die Netzversorgung und Qualität vor Ort ändern, zum besseren - oder auch nicht.
Statt drei jetzt vier wacklige Netze
Was bekommen wir also: Statt drei teilweise bis heute löchrig ausgebauter Netze, nun vier Netze, von denen das "neue" Netz auf lange Zeit spürbar "schlechter" abdecken wird. Dazu weiter sündhaft teure Frequenzauktionen, die allen Netzbetreibern weniger Frequenzen als vorher für viel zu viel Lizenz-Geld bringen wird. Geld, was dann für einen Netzausbau in der Fläche fehlt und den Frust über Funklöcher nicht reduzieren kann.
Eines Tages kann es passieren, dass die vier Netzbetreiber auf den Schluss kommen, dass es halt doch "ein Netz zu viel" ist. Werden sie wieder eine Fusion beantragen, welche die EU dann vielleicht "zähneknirschend" genehmigt oder auch nicht? Oder schaltet ein Netzbetreiber einfach aus und geht?
Keine Hoffnung auf günstige Preise
Eins ist aber sicher: Wer gehofft hat, im vierten Netz könnte es unlimitiertes Internet immer und überall für einen oder zwei Zehner im Monat geben, der wird bitter enttäuscht werden. Das wird es nicht geben. Die notwendige Technik kostet Geld, und das muss früher oder später verdient werden. Gut möglich, dass die Preise am Ende sogar steigen, um den notwendigen Netzausbau und Frequenzkauf bei ständig steigender Nutzung irgendwo noch finanzieren zu können.
Jede Woche gibt es den Überblick zum Netzausbau, basierend auf den Mitteilungen der Netzbetreiber. Während Telekom und o2 nichts Neues gemeldet haben, ging 1&1 an den Start.