Klage: Muss Apple jetzt Telegram rauswerfen?
Apple wurde verklagt, den Messenger Telegram aus seinem AppStore zu werfen
Foto: Picture Alliance / dpa
Der Messenger Telegram erfreut sich weltweit größer Beliebtheit. Gerade die Anhänger "alternativer Wahrheiten" in aller Welt nutzen ihn gerne.
Auch für "normale" Nutzer ohne bestimmtes Meinungsbild ist er interessant, da er es erlaubt, ein Konto auf mehreren Geräten parallel zu nutzen, sei es verschiedene Smartphones, dazu am PC unter Windows oder MacOS. Alle anderen Messenger tun sich hier schwer oder können das nicht.
Gegründet in Russland, heute in Dubai
Apple wurde verklagt, den Messenger Telegram aus seinem AppStore zu werfen
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Gegründet wurde Telegram von Pavel Durov, der einst in Russland die russische Variante von Facebook unter dem Namen Vkontakte gegründet hatte. Weil der russische Staatschef Putin mehr Einfluss auf das soziale Netzwerk haben wollte, "verkaufte" Durov das Unternehmen und erfand den Messenger-Dienst Telegram.
Seinen offiziellen Firmen-Sitz verlegte er zunächst nach Berlin, inzwischen befindet sich Telegram ("offiziell") in Dubai.
Telegram im Blickfeld von Behörden und Regierungen
Immer wieder wollten verschiedene Regierungen von Durov einen "Generalschlüssel" für Telegram haben, weil die politische Opposition in Russland, Ukraine, Thailand, HongKong etc, aber auch politisch extreme Gruppierungen oder Gruppen mit schlicht kriminellen Absichten ihre Aktivitäten darüber koordinieren. Doch Durov blieb hier relativ eisern.
Könnte Telegram aus den AppStores gelöscht werden?
Nun ist Telegram nicht nur in "querdenkenden" Kreisen recht populär. Seit einiger Zeit ist das Gerücht aufgetaucht, dass Apple (und wohl auch Google) den Messenger demnächst aus ihren App-Stores werfen könnten.
Apple könnte dann beispielsweise bestehende Installationen auf den Geräten der Nutzer fernlöschen, sofern man das nicht in den Geräteeinstellungen "untersagt".
Phantasie oder realer Hintergrund?
Was zunächst nach einer wilden Phantasie andersdenkender Parallelwelten aussah, bekam neue Nahrung, nachdem der in den USA überwiegend von politischen Extremisten und treuen Anhängern des ehemaligen Präsidenten genutzte Dienst "Parler" zeitweise komplett abgeschaltet und aus den AppStores verbannt wurde.
Wie das hier unverdächtige Magazin Apple Insider berichtet, sei Apple verklagt worden.
Die Coalition for a Safer Web (CSW) verlangt von Apple, auch den Zugang zur Telegram-App zu entfernen, weil "Parler" bereits blockiert wurde. Die Klage des ehemaligen US-Botschafters in Marokko, Marc Ginsberg und der Coalition wurde vor dem US-Bezirksgericht für das "nördliche Kalifornien" eingereicht.
Apple würde Telegram im App Store anbieten, "trotz Apples Wissen, dass Telegram verwendet wird, um Mitglieder der Öffentlichkeit einzuschüchtern, zu bedrohen und zu erpressen". Der Angriff auf das Capitol sei über Telegram koordiniert worden.
Update: Parler ist (teilweise) wieder online
Die Plattform Parler ist seit kurzem wieder online. Wie die Kollegen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung herausgefunden haben, mit russischer Unterstützung. Ende des Updates
Verstößt Apple gegen eigene Richtlinien?
Die Koalition, die sich als "überparteiliche, gemeinnützige Interessenvertretung" sieht, will die Entfernung extremistischer und terroristischer Inhalte von Social-Media-Plattformen erzwingen. Sie argumentieren, dass Apple seine eigenen Richtlinien und Richtlinien in Bezug auf App-Inhalte in Bezug auf Telegram nicht befolge. Damit ermögliche Apple den böswilligeren Nutzern von Telegram, ihre Aktivitäten fortzusetzen.
Die Sache ist brisant. Apple, Google, Amazon und andere hatten die Verbindungen zum Messenger-Dienst Parler gekappt, weil Parler die Inhalte dort nicht moderiert hatte. Parler wurde wohl verwendet, um illegale Aktivitäten zu planen und zu koordinieren, insbesondere die Erstürmung des US-Kapitols und war insbesondere bei Trump-Anhängern sehr populär.
CSW hatte schon im Juni 2020 behauptet, dass Telegram als "Kommunikationskanal für die russische Regierung und angeschlossene neonazistische und weiße nationalistische Gruppen verwendete, um Fehlinformationen und Rassenhass in den Vereinigten Staaten und in Europa säen".
Ginsberg hatte bereits im Juli im Auftrag der CSW an Apple-Chef Tim Cook geschrieben und um Löschung gebeten. "Antischwarze und antisemitische Gruppen" würden Telegram offen mit wenig oder gar keiner inhaltlichen Moderation durch die Telegram-Administratoren nutzen. Apple habe trotz vieler Berichte "keine Maßnahmen gegen Telegram ergriffen, gegen Parler aber schon.
Telegram-Chef Durov nimmt Stellung
Telegram-Chef Pavel Durov hat sich in seinem eigenen Telegram-Kanal zu Wort gemeldet: In den letzten zwei Wochen habe die Welt die Ereignisse in den Vereinigten Staaten mit Sorge verfolgt. Obwohl die USA etwas weniger als zwei Prozent der weltweiten Telegram-Nutzerbasis ausmachten, habe Telegram die Situation genau beobachtet.
Telegram begrüße friedliche Debatten und Proteste, aber "die Nutzungsbedingungen verbieten ausdrücklich die Verbreitung von öffentlichen Aufrufen zur Gewalt. In den letzten sieben Jahren haben wir diese Regel weltweit konsequent durchgesetzt, von Weißrussland und Iran bis Thailand und Hongkong. Bürgerbewegungen auf der ganzen Welt verlassen sich auf Telegram, um für Menschenrechte einzutreten, ohne dabei Schaden anzurichten."
Telegram habe Gewaltaufrufe blockiert
Seit Anfang Januar habe das Telegram-Moderationsteam Berichte über US-bezogene öffentliche Aktivitäten auf seiner Plattform erhalten. Man sei gegen US-Kanäle vorgegangen, die Gewalt befürworteten.
So seien letzte Woche "Hunderte von öffentlichen Gewaltaufrufen blockiert und abgeschaltet" worden, die sonst Zehntausende von Abonnenten hätten erreichen können. Das Team reagiere auf Berichte von Nutzern und entferne proaktiv Inhalte, die zu direkter Gewalt aufriefen.
Man könne das Team in einem eigenen Kanal informieren, "um diejenigen zu stoppen, die Menschen dazu anstiften, anderen Schaden zuzufügen." So wurden unter anderem Aktivisten des IS (Islamischer Staat) von der Plattform geworfen. Gegenüber dem IS/ISIS habe man "zero tolerance".
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Um die Datensicherheit von Telegram ist es, wie die Kollegen von Heise herausgefunden haben, nicht unbedingt bestens bestellt. Großer Vorteil von Telegram ist hingegen die universelle parallele Verwendbarkeit und viele Funktionen, die bei anderen Diensten fehlen.
Telegram nennt weltweit 500 Millionen Anwender. Telegram wird von vielen demokratischen Oppositionsgruppen weltweit verwendet. Eine komplette Löschung aus den AppStores dürfte da wohl eher schwierig "durchzusetzen" sein.
Telegram sieht sich als Plattform für alle, die unzensiert kommunizieren möchten, was vielen Regierungen ein Dorn im Auge ist, weil sie liebend gerne "kontrollieren" möchten, was ihre Bürger so denken und wissen.
Eine Moderation von bösartigen Inhalten wiederum, braucht viel kundiges Personal, was Geld und Zeit kostet. Durov hat den Dienst Telegram und seine dahinterliegende Technik bislang wohl komplett aus eigener Tasche bezahlt. Der Dienst ist für die Nutzer bisher kostenfrei. Überlegt wird wohl, künftig Einnahmen durch Ausspielen von Werbung zu erzielen.
Was wird das Gericht in Kalifornien urteilen?
Es ist schwer abschätzbar, was die amerikanischen Gerichte am Ende urteilen werden. Kann Apple gerichtlich dazu gezwungen werden, Telegram weltweit aus seinem AppStore herauszunehmen oder würde der Bann dann nur auf die USA begrenzt werden? Wird Apple dann auch gezwungen, bereits erfolgte Installationen aus der Ferne zu löschen und könnten Nutzer sich wirksam dagegen wehren?
Wird Telegram sich vor Gericht oder gegenüber Apple verpflichten müssen, künftig härter gegen böswillige Anwender vorzugehen, um im App-Store bleiben zu können?
Plan B schadet nie
Wer Telegram nutzt, sollte für alle Fälle einen "Plan B" bereithalten, um wichtige Kontakte auch über andere Messenger oder vielleicht die gute alte SMS zu erreichen (sofern die reale Mobilfunk-Rufnummer des Gesprächspartners überhaupt bekannt ist).
Wer einen sichereren Messenger verwenden will, sollte sich den vom Whistle-blower Edward Snowden empfohlenen Dienst Signal oder das Schweizer Angebot Threema anschauen.
Ein neues Gesetz der Bundesregierung soll die Verbraucherrechte stärken.