diagnose:funk: Die unerklärliche Angst vor der Technik
In teilweise gut gemachten Flugblättern stellen die Mobilfunkgegner ihre Argumente vor und vermischen geschickt Fakten mit Esoterik.
Flugblatt: diagnose:funk / Foto: teltarif.de
Angst vor neuer Technik ist nichts Neues. Als die erste Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth gestartet wurde, wurde das hohe Tempo von 30-40 km/h als "lebensgefährlich für die Passagiere" beurteilt. Hätte man den Kritikern vorhergesagt, dass rund 180 Jahre später der ICE zwischen Frankfurt und Köln mit 300 km/h fährt oder der französische TGV mit 330 km/h (technisch wäre noch mehr möglich) - sie wären schreiend davon gelaufen.
Das aktuelle Aufreger Thema ist 5G-Mobilfunk.
diagnose:funk - Angst vor Strahlung
In teilweise gut gemachten Flugblättern stellen die Mobilfunkgegner ihre Argumente vor und vermischen geschickt Fakten mit Esoterik.
Flugblatt: diagnose:funk / Foto: teltarif.de
Fundamentale Kritiker meldeten sich in Fellbach (bei Stuttgart) vor der Unterschrift unter die Verträge zum Kooperationsprojekt beim Eintreffen des Ministerpräsidenten draußen vor der Tür zu Wort. Eine Initiative trägt den originellen Namen diagnose:funk. Wir haben einmal einen Blick auf ihre Argumente geworfen.
Die "diagnose:funk e.V." sieht sich als "unabhängige Umwelt- und Verbraucherschutz-Organisation im deutschsprachigen Raum, die sich für den Schutz vor elektromagnetischer Strahlung einsetzt". Dazu will sie über die "gesundheitsschädigenden Wirkungen u.a. von Mobilfunk- und WLAN-Strahlung aufklären" und "fordert zukunftsfähige technische Lösungen für eine gesundheitsverträgliche Telekommunikation". In Flugblättern fordern sie Breitbandnetze als Eigenwirtschaftsbetrieb, die "als Teil der Daseinsvorsorge" von den Kommunen betrieben werden müssten. Der Telekom-Vertrag sei für die Kommunen nachteilig: Die Telekom bekomme alle Rechte ohne jegliche Verpflichtung zu einem flächendeckenden Glasfaser-Ausbau – die Kommunen hätten am Ende erst kein schnelles Glasfasernetz für alle Bürger trotz hoher Zuzahlungen an die Telekom.
Stuttgarter Breitband-Modell als Vehikel für Mobilfunk-Kritik?
Außer in Stuttgart habe kein Gemeinderat in der Region den Geheimvertrag zur Diskussion und Entscheidung vorgelegt bekommen, behauptet die Initiative. Angeblich hätte die Initiative seit Jahren regelmäßig bei persönlichen Gesprächen den Bürgermeister Kuhn und die Politik aufgefordert, den Breitbandausbau in der Landeshauptstadt und in der Region endlich voranzutreiben. Doch passiert sei nichts. Mit dem aktuellen Telekom-Deal werde der Breitbandausbau nun auch noch "zu Lasten der Bürger und Kommunen gründlich verbockt".
Nur: Wenn die Telekom nicht bauen sollte, wer wäre denn technologisch (und finanziell) in der Lage, in überschaubarer Zeit diesen Ausbau zu leisten? Nur wenige Gemeinden haben die Möglichkeiten und Mittel, ihren örtlichen Stadtwerken den Auftrag zu erteilen und sie mit eigenen Finanzmitteln auszustatten. Aber diese Detailfragen lassen die Kritiker bewusst offen. Der "diagnose:funk" geht es im Wesentlichen um etwas anderes: Die Verhinderung von leistungsfähigem Mobilfunk.
Trennung von Indoor und Outdoor?
Bei den Argumenten zum Festnetz können viele Beobachter noch folgen, doch dann fordert die Initiative eine Trennung von "Indoor und Outdoor"-Funkversorgung, um die Wohnungen "vor Strahlung zu schützen". Nur Funkwellen machen an der Wohnungstür nicht halt, das ist schon rein physikalisch gar nicht möglich. "Kleinzellige Netze" müssten für weniger Elektrosmog sorgen, fordert die Initiative. Das klingt für Laien noch logisch, wer sich mit Funktechnik auskennt, runzelt die Stirn.
Eine "Technikfolgenabschätzung" sei Pflicht, fordert die "diagnose", die durch eine "industrie- und regierungsunabhängige" Kommission erfolgen solle. "Industrie- und regierungsunabhängige" Fachleute zu finden, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein - und das ist wohl auch so gewollt. Mit einer "Beweislastumkehr" solle schließlich bewiesen werden, dass 5G unschädlich sei. Bis diese Kommission gefunden wäre und nachgeforscht hätte: Bis dahin dürften Jahre ins Land vergehen, wo einfach gar nichts passieren würde.
Der Forderung nach "nur einem Mobilfunknetz für alle" (statt dem aktuellen Modell konkurrierender Netzbetreiber) könnte man vielleicht noch folgen, wobei dann mangelnder Wettbewerb erst Recht zu steigenden Preisen oder zu einem "lustlos ausgebauten" löchrigen Netz führen könnte.
Schließlich stellt die Initiative eine Forderung nach einem "Recht, analog leben zu können" und nach der "Schaffung und dem Erhalt von mobilfunkfreien Zonen" auf. Bewohner in Regionen ohne Internet oder vernünftiger Mobilfunkversorgung geraten heute schon wirtschaftlich ins Hintertreffen und dürften das wahrscheinlich anders sehen.
Innenleben einer 8x8 MIMO Antenne: "Beamforming" ist für die Kritiker "Teufelszeug".
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Die unerklärliche Angst vor dem Beamforming
Gerade die Möglichkeit, den Ausbau des 4G-5G-Netzes durch die Kooperation mit den Gemeinden der Region in Schwung bringen zu können, ist dieser Initiative "unheimlich", zumal sie das 5G-Netz in Verdacht hat, zum "Ausspionieren der Bürger" gebraucht zu werden. Solche "Spionage" ist aber rein technisch schon mit 2G oder sogar älteren Netzen im Ansatz möglich, wenn auch nicht so komfortabel. Die moderne Technik des Beamformings, wo aus einzelnen Antennen bestimmte Nutzer besser erreicht werden können, um ihnen mehr Bandbreite oder überhaupt ein Signal liefern zu können, ist für die Kritiker "lebensgefährlich".
Schaut man genauer hin, bereiten den Kritikern die bei 5G denkbaren Höchstfrequenzen bei 26 GHz oder 60 GHz "Kopfzerbrechen". Die dort verwendeten Leistungen werden aber wesentlich geringer sein, da man auf Sicht auch mit geringen Leistungen klar kommt, aber es muss halt "Sicht" zwischen Empfänger und Sender sein. Aktuelles 5G wird hingegen auf 3,6 GHz oder darunter (bei 700 MHz) funken, diese Bereiche gelten bereits heute als gut erforscht.
Sollte in 10 Jahren die sechste Generation des Mobilfunks wirklich bei 300 GHz Wirklichkeit werden, werden sich die Initiativen neu formieren müssen, falls bis dahin nicht neue gesicherte Erkenntnisse vorliegen, wie "gefährlich" das alles wirklich ist.
In einem aufwändigen Verfahren wurde die Deutsche Telekom von Politik und Gemeinden rund um Stuttgart für den Glasfaserausbau "ausgewählt". Das Land Baden-Württemberg hat aber noch mehr vor.