VATM schlägt Alarm: EU will Call by Call abschaffen
Wird Call-by-Call auf dem Brüsseler Regulierungsaltar geopfert?
vatm, Foto/Montage: teltarif.de
Alarmstimmung beim Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten(VATM). Der zu Anfang alles bewegende Motor der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes mit Namen "Call-By-Call" stottert. Die Möglichkeit, über die Sparvorwahlen 010xx oder 010-0yy den Telefon-Tarif "selbst heraussuchen" zu können, könnte möglicherweise auf dem Brüsseler Regulierungsaltar geopfert werden.
Für den VATM und die Mitbewerber des Marktführers Deutsche Telekom geht der Kampf um Call-by-Call und Preselection in die entscheidende Runde. Mehrere Millionen Menschen nutzen in Deutschland bis heute die sogenannten "Sparvorwahlen". Insgesamt werden so im Jahr etwa 5 Milliarden Minuten vertelefoniert, hat der VATM ermittelt. „Statt der von der EU versprochenen billigeren Preise würde ein Ende von Call-by-Call die Verbraucherpreise hier explodieren lassen. Wir reden nicht von einer Verdoppelung der Preise, sondern in vielen Fällen vom 20- oder 50-fachen“, warnt VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner.
EU-Entscheidung 19 Cent lässt Preise steigen?
Wird Call-by-Call auf dem Brüsseler Regulierungsaltar geopfert?
vatm, Foto/Montage: teltarif.de
So hat die EU zwar gerade entschieden, dass ab dem 15. Mai 2019 alle innereuropäischen Anrufe sowohl im Festnetz als auch mobil nur noch maximal 19 Cent kosten dürfen. Aber in Deutschland liegen heute die Verbraucherpreise dank Call-by-Call auf einem ganz anderen, deutlich niedrigeren Niveau. So kosten Anrufe oft weniger als einen Cent, zum Beispiel ins französische oder polnische Festnetz im Schnitt gerade mal 0,32 Cent bzw. 0,85 Cent pro Minute (Durchschnitt der zehn preiswertesten Anbieter). Bei Gesprächen in den Mobilfunk kann der Kunde per Call-by-Call bis zu 90 Prozent einsparen.
„Bei einem Wegfall von Call-by-Call entfiele nicht nur die Sparmöglichkeit für die Bürger, die diese Vorwahlen nutzen – mangels Wettbewerb dürften auch für viele andere Kunden die Preise in Richtung der von der EU genehmigten 19 Cent anziehen. Nicht nur viele Senioren oder Kunden auf dem Land ohne große Anbieterauswahl, sondern auch Verbraucher, die ganz besonders auf günstiges Telefonieren angewiesen sind, wären also betroffen. Den Schaden hätten letztlich fast alle Kunden in Deutschland“, warnt VATM-Geschäftsführer Grützner.
Für die EU ist das zu einfach
Die EU mache es sich aus Sicht des VATM sehr einfach. Der EU-Binnenmarkt brauche Call-by-Call nicht, die allermeisten EU-Länder nutzen diese kundenfreundliche Wettbewerbsform nicht. Daher habe die Kommission hinsichtlich der für eine weitere Regulierung der Telekom erforderlichen Marktanalyse der Bundesnetzagentur (BNetzA) Bedenken angemeldet.
Gerade in dem für die EU-Kommission relevanten Telefonanschlussmarkt habe die von der BNetzA festgestellte Marktmacht der Telekom aber nicht etwa abgenommen. Durch Vectoring und die vom VATM befürchtete Remonopolisierung im Nahbereich nehme sie hier sogar zu. Was hingegen abnehme, sei der Wettbewerb. Auch aufgrund der aktuellen Umrüstung auf IP-Technologie steige der anschlussbasierte Marktanteil der Telekom immer weiter. So bekräftigte Telekom-Chef Timotheus Höttges die Pläne, den Kundenanteil in den nächsten Jahren bei der für Regulierung wichtigen Schwelle von 40 Prozent zu halten.
VATM macht Druck
„Wir müssen jetzt mit der BNetzA gemeinsam dafür sorgen, dass politisch motivierter Druck aus der EU im deutschen Markt keinen unwiederbringlichen Schaden anrichtet. Statt der völlig veralteten, noch aus den Jahren 2013-15 stammenden Zahlen der Regulierungsbehörde würde eine aktuelle Untersuchung zum Ende 2018 eindeutig belegen, dass die Marktmacht nicht etwa weiter ab-, sondern zunimmt und der Call-by-Call-Wettbewerb weiterhin gesichert werden muss“, fordert Grützner. Und weiter: „Wir brauchen endlich eine sachliche Diskussion mit Brüssel, die auch die Interessen und Besonderheiten der Nationalstaaten ausreichend berücksichtigt.
Wir wollen keine EU-Regulierungspolitik gegen EU-Bürger, während sich die Kommission öffentlich als Bewahrer des Wettbewerbs und – leider nur scheinbar – günstigerer Preise präsentiert.“
Eine Einschätzung
Vielleicht war es ein Designfehler der Regulierung: Call by Call und Preselection können nur Direktanschluss-Kunden der Deutschen Telekom nutzen. Das Angebot der Deutschen Telekom für Direktkunden anderer Netzbetreiber über die Vorwahl 01033 die teilweise günstigeren Preise der Deutschen Telekom nutzen zu können, wurde mangels Nachfrage und technischer Möglichkeiten der privaten Anbieter wieder eingestellt. Der Zwang, für generell alle Netzbetreiber (unabhängig von ihrer Größe und ihrem Marktanteil) die Sparvorwahl 010 freizugeben, wurde nie eingeführt, weil das technisch ziemlich aufwendig geworden wäre. Dabei hätten wirklich alle teilweise winzig kleinen Verbindungs-Netzbetreiber miteinander verschaltet werden müssen. Gerade die kleineren Anbieter hätten komplexe Technik installieren und alle Interconnects verhandeln müssen (die de facto in den allermeisten Fällen über die Telekom gelaufen wären) Der Spareffekt wäre deutlich reduziert worden.
Der Fluch der Flatrates
Viele Kunden haben heute Flatrates und benötigen Call-by-Call im Alltag so gut wie gar nicht mehr. Wo die Preisunterschiede zwischen eigenem Anbieter und über Call-by-Call möglichen Tarifen bis heute dramatisch sind, sind Anrufe zu Mobilfunk (wo viele Flatrates nicht greifen) oder bei Anrufe ins Ausland, speziell in Länder ausserhalb der EU (da gehört schon die Schweiz dazu).
Würde die Vorwahl 010 wirklich komplett abgeschaltet oder könnten die Preise für die Bereitsstellung und Unterhaltung der Anlagen steigen, was zu einem Rückgang von 010-Anbietern führen könnte?
Falls die Vorwahl 010 wirklich komplett entfiele, müsste speziell bei internationalen Verbindungen in der Tat mit steigenden Preisen gerechnet werden. Das könnte aber auch dazu führen, dass preissensitive Kunden zu internet-basierenden Verbindungsformen außerhalb der klassischen Telefonnetze greifen dürften, beispielsweise zu Messenger-Diensten wie Skype, WhatsApp, Facebook oder anderen.