Telefónica/o2: Wenn die Hotline sogar den Router konfiguriert
Die Telefónica-Zentrale in Madrid
Bild: Telefonica
Im letzten Sommer und Herbst erlangte
Telefónica/o2 wegen der schlechten Erreichbarkeit
ihrer Hotline traurige Berühmtheit. Es war für Kunden sehr frustrierend,
den Anbieter selbst dann nicht zu erreichen, wenn sie gravierende Probleme
lösen wollten, beispielsweise nicht funktionierende Dienste oder
Abrechnungsfehler. Künftig soll der Kunde über die o2-Hotline jedoch nicht
nur ein Vertragsupgrade buchen oder nach einem Diebstahl eine neue SIM-Karte
bestellen können, sondern auch Allerwelts-Einstellungen an seinen
von Telefónica bezogenen Diensten vornehmen können: Beispielsweise
ein bestimmtes Endgerät vom heimischen WLAN trennen oder sich beraten
lassen, welchen Film er heute Abend schauen möchte. Und das alles ohne
zusätzliche Kosten für den Kunden.
Die Telefónica-Zentrale in Madrid
Bild: Telefonica
Nein, Telefónica wechselt nicht die Strategie vom Massen-
zum Premium-Carrier. Erbracht werden die persönlichen Dienstleistungen
also nicht von einem Heer von neu eingestellten Hotline-Mitarbeitern,
sondern von einem Computer: "Aura" heißt der neue (un)persönliche
Assistent aus dem Rechenzentrum, und die Namensähnlichkeit zu
Apples digitalem Assistenten Siri
(beide Namen haben vier Buchstaben mit "r" als drittem, beide haben
einen wiederholten Vokal) ist sicher nicht zufällig. Denn generell
ist die computerisierte Sprachsteuerung im Kommen:
Microsoft Cortana,
Google Now oder
Amazon Alexa sind neben Siri
die prominentesten, aber mitnichten die einzigen Vertreter des
neuen Trends.
Mit Aura verfolgt Telefónica mehrere Ziele: Zum einen sollen alle Dienste des Unternehmens auf einer Plattform zusammengeführt werden. Neu im heimischen WLAN-Netz registrierte Geräte sollen auf der Timeline von Aura genauso sichtbar und damit für den Kunden transparent werden, wie Änderungen am Mobilfunktarif oder die Tag für Tag verbrauchte Menge an mobilen Daten. Ergibt sich daraus ein Problem - zum Beispiel ein unerwünschtes Gerät im heimischen WLAN oder ein nicht mehr ausreichendes Datenvolumen - kann man auch gleich via Aura aktiv werden, und das unerwünschte Gerät aus dem Heimnetz verbannen oder sein Datenvolumen erhöhen. Damit sind wir schon beim nächsten Ziel: Aura soll natürlich ein kostenloser persönlicher Assistent sein, aber wo möglich, soll Aura helfen, Telefónica-Dienste zu verkaufen. Wenn man also Aura fragt, wo man sich das nächste WM-Spiel anschauen kann, wird sicher der Fußball-TV-Kanal als Upgrade zum heimischen Anschluss und nicht so sehr das Public Viewing auf der "Fanmeile" empfohlen werden.
Langfristig könnte Aura auch helfen, die herkömmliche Hotline zu entlasten, indem Aura einfache Service-Fälle übernimmt. Fragen wie: "Wie viel von meinem Datenpaket ist noch übrig?" oder: "Was kostet in meinem Tarif ein Anruf nach Spanien" kann auch der Computer beantworten, zumindest dann, wenn in den Online-Systemen die richtigen Werte hinterlegt sind. Damit gab es bei Telefónica/o2 in Deutschland zuletzt allerdings einige Probleme, insbesondere bei der Darstellung der via Reseller vertriebenen Verträge.
Telefónica-
Tower in Barcelona
Bild: teltarif.de
In der Anfangsphase wird ein neues und komplexes System wie Aura
zudem immer auch zu neuen Service-Fällen an der Hotline führen. Es wäre
ein Wunder, wenn es nicht auch Fehler gibt, beispielsweise, dass Kunden
von Aura eine Option gebucht wird, die der Kunde nicht wollte, oder
zumindest nicht so, wie sie letztendlich gebucht wurde. Dann wird die
bisherige Hotline kräftig hinterherstornieren müssen. Zu hoffen ist,
dass die Buchungen via Aura nicht nur für den Kunden, sondern auch für
die Hotline transparent sein werden, und dass die Einführungsphase
möglichst kurz sein wird.
Weltweiter Dienst
Realisiert wird Aura von Telefónica in Kooperation mit Microsoft, unter Nutzung des Microsoft Bot Framework. Aura nutzt künstliche Intelligenz, um Trends im Frageverhalten der Nutzer zu erkennen: "Wie kann ich das Fußballspiel sehen?" hat zu Bundesliga-Zeiten in München und Hamburg vermutlich verschiedene Antworten, und zu WM-Zeiten noch einmal eine ganz andere, dann aber wieder bundesweit einheitliche Antwort. Um das eigene Netz auf ein System wie Aura vorzubereiten, hat Telefónica in den letzten Jahren erheblich in die Vereinheitlichung und Zugänglichmachung der verwendeten internen Plattformen und Schnittstellen investiert, und will nun die Früchte davon ernten.
Aura soll weltweit in allen Telefónica-Märkten eingeführt werden. Kunden sollen künftig also nicht nur in Spanien, sondern auch in Deutschland vom digitalen Netzassistenten profitieren. Auch eines der derzeit umstrittensten Standbeine von Telefónica, den anonymisierten Datenverkauf an Dritte, wird man über Aura konfigurieren können. Das Spektrum der möglichen Einstellungen reicht von: "Ich möchte möglichst alles Tracking sperren" bis hin zu: "Gebt meine Bewegungsdaten gezielt anonym an UNICEF weiter, die diese zur Forschung an Modellen über die Ausbreitung von gefährlichen Seuchen nutzen".