Deutsche Bahn & Telekom: Projekt "Schwarzer Schäferhund"
Die Ankündigungen von Deutscher Bahn und Deutscher Telekom, die Mobilfunkversorgung entlang der Bahnstrecken spürbar zu verbessern, hat die Branche überrascht. Nicht viele Beobachter glauben, dass es sich dabei um eine Mogelpackung handeln müsse, zumal die Vorschläge in einigen Punkten hinter den bisherigen Vorgaben der Bundesnetzagentur zu bleiben scheinen.
In Bewegung
Doch offenbar hat sich hinter den Kulissen einiges bewegt. Ein kleines nicht unwichtiges Detail: Bahnchef Lutz und der Telekom-Chef duzen sich, haben also einen direkten Draht zueinander.
Bahn mit Telekom statt mit Vodafone?
Ein Ziel: Alle Bahntunnels mit schnellem Mobilfunk auszurüsten.
Foto: Deutsche Bahn AG
Aus historischen Gründen war die Deutsche Bahn bislang eher mit Vodafone "verbandelt", schließlich ist das Festnetzunternehmen Arcor damals mit der Bahn gegründet worden und Arcor (heute Vodafone) nutzt Leitungen entlang der Gleise und auch für die Bahn.
Arcor war aus einem Joint Venture von Vodafone-Deutschland-Vorläufer Mannesmann und der Deutschen Bank hervorgegangen, das man auf den Namen Communications Network International (CNI) getauft hatte. 1996 hatte die CNI 49 Prozent der DBKom, den Telekommunikationsbereich der Deutschen Bahn, übernommen. Dieses historische Konstrukt führt übrigens dazu, dass die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) noch Teile des Vodafone-Deutschland Personals vertritt.
Der Wille ist da: "Umparken im Kopf"
Der Willen zum Netzausbau war bei allen Beteiligten schon vorhanden, aber vermeintliche oder tatsächliche Sachzwänge haben bisher vieles gebremst oder verhindert. Bahnchef Lutz sprach vom "Umparken im Kopf" und "Umdenken in der Zusammenarbeit". Man müsse die Bedürfnisse der Fahrgäste erfüllen und nicht nachdenken, wer bis wann was bauen muss.
Deswegen hat ein Umdenken in der Zusammenarbeit stattgefunden. Gemeinsame Ziele gäbe es, man wolle nicht mehr nach Problemen oder Gründen sondern nach Lösungen suchen, wer welchen Beitrag liefern kann.
Gleicher Vorname
Telekom und Bahn liefern Infrastruktur.
Foto: Deutsche Bahn AG
Und Deutsche Telekom und Deutsche Bahn hätten nicht nur den gleichen Vornamen, scherzte Lutz. Verfechtern eines hemmungslosen Wettbewerbs mag es dabei gefröstelt haben. Dabei haben Bahn und Telekom viel Gemeinsamkeiten. Sie sind ehemalige Staatskonzerne für Infrastruktur und teilen das Verständnis, dass "leistungsfähige Netze unser Land voranbringen". Und weiter: "Infrastruktur ist Treiber für Wohlstand und Beschäftigung. Wir bauen Hand in Hand starkes Netz."
Lutz erinnerte an Sabina Jeschke, Professorin für Maschinenbau an der RWTH Aachen, die sich von 2017 bis 2021 im Bahnvorstand um einen Masterplan mit allen Mobilfunk-Betreibern unter Einbindung der Bundesnetzagentur gekümmert habe. Ihr Ziel: Verbesserung der Schienenwege mit Telefonie und Internet.
Tim Höttges formulierte, "die Erkenntnis, dass unsere Versorgung 'ausbaufähig' ist, haben wir längst. Jetzt gibt es eine Lösung. Wir sind erst dann zufrieden wenn alle dabei sind." Höttges wurme es gewaltig, seit 7 Jahren nicht einen einzigen Test mehr verloren zu haben. Nur beim Schienenverkehr bescheinigen ihm alle Tester gewaltige Defizite.
Und Höttges verrät dann schon, wo es im Detail hakt: "Genehmigungsverfahren, Denkmalschutz, Naturschutz, Mobilfunkskeptiker", und er nannte als Beispiel das schon erwähnte Hamburg Aumühle. "Das bekommen wir nicht hin."
Geld und Logistik
Bahn und Telekom werden gemeinsam einen dreistelligen Millionenbetrag ausgeben und ein weiterer dreistelliger Betrag soll dazu kommen. "Wenn das gebaut ist, ist das Mobilfunknetz unter den Top 3 in Europa", verspricht Höttges.
Es ist bereits viel passiert
Es ist ja nicht so, dass die ganze Zeit nichts passiert wäre. "Letztes Jahr wurde alle 2,5 Tage ein neuer Mast entlang der ICE Strecken eingeschaltet. Die Tunnels sind größtenteils geschafft. Es müssen "nur noch" 220 Tunnels versorgt werden. Die Arbeiten müssen Jahre vorher (!) synchronisiert werden." Denn eins ist klar: Aus Sicherheitsgründen können die Mobilfunktechniker in den Tunnels nur arbeiten, wenn kein Zug fährt. Doch das ist nur wenige Stunden am Tag oder bei größeren Baumaßnahmen wie die ICE-Streckensanierung möglich. Auf den ICE-Strecken, so Höttges, fehlen nur noch wenige Standorte, von den 6000 ICE-km sind noch 22 km mit Funkloch.
Projekt "Schwarzer Schäferhund"
Und es wird nicht nur überhaupt, sondern auch besser versorgt, das heißt die bestehenden Sender bekommen mehr Bandbreite, erklärt der Telekom Chef. 800 Stationen will die Telekom neu bauen, 200 an ganz neuen Standorten (wo vorher noch nichts war) und sie wird 600 Standorte der Mitbewerber mit nutzen. 700 bestehende Stationen sollen mit zusätzlichem Spektrum (weitere Frequenzen, mehr Bandbreite) versehen werden. An den Strecken soll auf 800, 900 und 1800 MHz, später noch auf 700 MHz mit LTE (4G) und vielleicht auch auf 2,1 GHz für 5G im Zug gefunkt werden. In den Städten soll sogar 3,5 GHz möglich sein, "auf dem Land wäre dafür alle 500 Meter ein Mast notwendig".
Die Telekom will die Netzqualität erhöhen. Es soll nicht ein Netz wie "ein schwarz-weiß-gefleckter Dalmatiner sondern zum schwarzen Schäferhund" werden, ulkt Höttges, aber dieser Vergleich ist griffig und gefällt auch dem Minister.
Warum Österreich und Schweiz besser sind
Höttges erklärte auch die bisherigen Unterschiede zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) stellen für Mobilfunk passive Infrastruktur (also Masten) und Glasfaser bereit. Die Mobilfunker bringen dann nur noch aktive Technik auf die Masten. Der Vorteil: Für die Mobilfunker sind keine (eigene) Planung/Genehmigungen notwendig. Das spart Zeit und nebenbei auch Geld.
"Die Schweiz ist der Weltmeister im Tunnelbau. Würde man alle Schweizer Tunnels aneinanderkleben, könnte man unterirdisch von Sizilien bis nach Dänemark reisen. In der Schweiz arbeiten die Mobilfunkbetreiber mit der Schweizer Bundesbahn (SBB) extrem gut zusammen." Soll heißen: In Deutschland dürften das jetzt auch Deutsche Telekom und Deutsche Bahn tun, die dafür eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegründet haben, die wild entschlossen ist, den gordischen Knoten zu durchschlagen.
Eisenbahn-Bundesamt wollte Abstand
Bis 2026 sollen alle Bahnstrecken mit schnellem Mobilfunk versorgt sein.
Foto: Deutsche Bahn AG
Das Eisenbahn-Bundesamt beispielsweise, was die Aufsicht über die Bahn führt, verbietet Sendeantennen, die näher als 7 Meter an einer Schienenstrecke stehen sollen. Also müsste man den Landwirt daneben fragen, und die würden oft "Nein" sagen, weil so ein Sender ja nicht nur Grundfläche, sondern auch Graben für Leitungen und befahrbare Wege für Bau und Service-Fahrzeuge braucht. Künftig scheint das einfacher zu werden, zumal auch die Bahn verstärkt mit eigenen Liegenschaften (eigenen Gebäuden, Masten, Flächen) aushelfen will.
Neue Fenster in den Zügen
Bahnchef Lutz, von Hause aus Finanzspezialist, hat sich in die Technik hineingekniet: "ICE-Züge sind de facto faradaysche Käfige - selbst, wenn draußen ein gutes Netz ist, reicht das drinnen nicht." Also brauchen die Züge entsprechende Scheiben. Neue Züge werden sie haben, bestehende umgerüstet. Repeater und Scheiben werden auch in EC und IC-Züge eingebaut oder nachgerüstet.
WLAN und Empfang für alle Kunden
Im Zug wird die Mobilfunkantenne dann die Signale von Telekom und den Wettbewerbern empfangen und über Repeater nach innen verteilen. Wer im Zug WLAN nutzt, wird unter Umständen von der Telekom versorgt, auch wenn er mit seinem eigenen Handy Kunde bei Vodafone oder Telefónica sein sollte.
Problemkind GSM-R
Und dann gibt es noch ein Problem, über wir das wir schon berichtet haben: Das Bahn-Mobilfunk-Netz, das nach dem antiken, aber nach wie vor gültigen GSM-Railroad-Standard (GSM-R) funkt. Dort gibt es sehr viele ältere Funkgeräte, die gegen Interferenzen von den neuen LTE 700, 800, 900 MHz Sendern nicht genug geschützt sind. Deren Empfänger erzeugen daraus interne Geistersignale, die Kommunikation wird gestört oder unmöglich. Diese Geräte müssen ausgetauscht werden.
Geld für kleine private Bahngesellschaften
Im Güterverkehr auf der Schiene wickelt die Deutsche Bahn und ihre Töchter nur noch 50 Prozent des Verkehrs ab, die anderen 50 Prozent bewältigen unendlich viele verschiedene, meist kleine private Bahngesellschaften, die teilweise nur 2 bis 3 Loks haben und finanziell oft nicht gut ausgestattet sind. Damit auch diese ihre Funkgeräte austauschen (können), greift der Minister ihnen mit Fördergeldern unter die Arme.
Bahn bleibt bei GSM - künftig irgendwann 4G/5G?
So soll das künftig aussehen: Alle Züge sollen unterbrechungsfrei mit 4G (LTE) und 5G und WLAN versorgt sein.
Grafik: Deutsche Telekom
Außerdem sollen bis Ende 2022 alleine 6000 GSM-Sendestationen ausgetauscht werden. 3G hat bei der Bahn nie stattgefunden. Über LTE und 5G wird bei den Bahnen schon länger diskutiert, aber das muss international abgestimmt werden . Die Zugsicherheit habe oberste Priorität.
Hoffnung auf TKG-Novelle
Die TKG-Novelle gibt den Mobilfunkern offenbar mehr Möglichkeiten schneller zu bauen und sie wollen das rasch umsetzen. Die Mitnutzung öffentlichen Liegenschaften sei nun klar geregelt.
Höttges schwenkte sinnbildlich seinen roten Ordner: "Der Minister kennt ihn", worin Hunderte Standorte gelistet sind, an denen "wir gerne bauen würden, aber aus verschiedenen Gründen nicht können." Neben dem erwähnten Denkmal- und Naturschutz oder kommunalen Befindlichkeiten gäbe es kuriose Fälle. Höttges will die Standorte veröffentlichen, an denen es nicht klappt.
Und die Mitbewerber?
Die technisch sinnvolle Kombination von Sendesignalen von Telekom, Vodafone, o2 und später auch 1&1 auf jeweils einer gemeinsamen Antennenanlage ist in diesem Projekt offenbar nicht vorgesehen. Sie erfordert komplexe Abstimmungen mit BNetzA und Kartellamt und würde auch das Alleinstellungsmerkmal der Telekom spürbar tangieren.
Vodafone kündigte gestern an, bis 2024 Mobilfunkstationen für alle Tunnel des gesamten Schienennetzes bauen zu wollen. Außerdem sollen 360 Funklöcher an den Bahnstrecken gestopft werden. Zudem erhöhe Vodafone an 6000 Mobilfunkstationen entlang des gesamten Schienennetzes der Bahn Bandbreite und Netz-Kapazität.
Telefónica (o2) verwies auf laufende Gespräche mit der Deutschen Bahn, "um gemeinsam einen Rahmen für den Ausbau einer verbesserten Mobilfunk-Infrastruktur entlang der Bahngleise zu definieren". Wörtlich: "Für diesen kostenintensiven Ausbau direkt entlang der Gleise, in Tunnelanlagen und direkt in den Zügen ist eine Mitwirkung der Deutschen Bahn unerlässlich. Aktuell sind hierzu die Gespräche zwischen der Deutschen Bahn und Telefónica aufgrund einiger offener technisch-finanzieller Fragen noch nicht abgeschlossen." Heißt übersetzt: Das kann noch länger dauern und bis dahin ist weiter mit Funklöchern zu rechnen.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Wer viel Bahn fährt, hat vermutlich längst ein Dual-SIM-Handy und eine der beiden SIM-Karten ist im Telekom-Netz eingebucht. Die wird der Bahnkunde auch künftig brauchen. Eine einheitliche Mobilfunk-Netz-Gesellschaft wäre versorgungstechnisch sicher wünschenswert, könnte aber leicht zur "Bundespost 2.0" mutieren und das will sicher niemand mehr haben.
So wird der Marktdruck der Kundenströme auch bei Vodafone und o2 früher oder später den Druck verstärken, sich intensiver um den Ausbau der Bahnstrecken zu kümmern. 1&1 dürfte sich wohl lange eher auf sein Roaming-Abkommen mit o2 verlassen wollen.
Die Bahn ist stark daran interessiert, viele Kunden (neu) zu gewinnen oder zu behalten. Von daher wird und muss sie historisch bedingte, interne Widerstände gegen mehr Mobilfunk an der Strecke aufgeben und ihre Züge von sich aus fit für die mobile Kommunikation der Zukunft machen.
Die Politik ist auf Erfolge aus, denn bald sind Wahlen. Sollten in einer künftigen Regierung grüne Minister den Verkehr managen, ist davon auszugehen, dass sie diese Bemühungen ebenfalls unterstützen. Von daher könnte das Projekt "Schwarzer Schäferhund" hoffentlich und endlich einmal etwas werden.
In einem weiteren Bericht stellen wir die Inhalte der gemeinsamen Pressekonferenz von Deutscher Bahn und Deutscher Telekom vor.