Editorial: Ist die Zukunft mit 5G noch zu retten?
Wird 5G zu einer Art Ersatzreligion? Verspricht 5G alles, was uns fehlt? Oder müssen wir erst für 5G bereit sein?
Bild: teltarif.de
Die Versorgung mit Mobilfunk war und ist in vielen Ländern eine hoheitliche, genauer "staatliche" Aufgabe. In Deutschland hat die Deutsche Reichspost in den 1920er Jahren mit dem Zugtelefon experimentiert. Nach dem Krieg kamen A-, B- und C-Netz unter der Hoheit der Deutschen Bundespost auf den Markt. Das war 1G - aus heutiger Sicht.
Mit dem Start der digitalen D-Netze (2G) wurde der private Wettbewerb eingeläutet: D1-Telekom und erstmalig ein privater Wettbewerber "D2-Privat" von Mannesmann (heute Vodafone). Es folgte Nummer drei: E-Plus und sogar Nummer vier: Die VIAG Interkom (heute o2). Maximaler Wettbewerb war angesagt. Soweit so bekannt.
Weil aber der Aufbau eines vernünftigen Mobilfunknetzes richtig viel Geld kostet und sich die vier Anbieter nur einen gegenseitigen Preiskrieg lieferten, anstatt um das "wirklich beste Netz" zu wetteifern, musste ein Anbieter sich vom anderen "übernehmen" lassen und kämpft seitdem mit der Konsolidierung im laufendem Betrieb und Kunden, die wenig bis nichts bezahlen, aber maximal viel Netz haben wollen.
100 Milliarden liegen im Magen
Wird 5G zu einer Art Ersatzreligion? Verspricht 5G alles, was uns fehlt? Oder müssen wir erst für 5G bereit sein?
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Für die 3G-Lizenz wurde die unglaubliche Summe von rund 100 000 000 000 DM (= rund 50 000 000 000 Euro) ausgegeben. Sechs Lizenzen gab es seinerzeit dafür. Vier Gewinner haben wirklich gebaut und konnten irgendwann mit echten Kunden starten. Die anderen beiden Lizenzgewinner kamen über einen Probebetrieb nie hinaus und mussten schließlich aufgeben. Das Geld war futsch. Kostenerstattung gab es nicht.
Bei der Versteigerung von 4G ging es schon gemächlicher zu. Es gibt Ausbauverpflichtungen, doch erfüllt sind die noch lange nicht.
Bei der Versteigerung von 5G gingen die meisten davon aus, dass die verbliebenen Telekom, Vodafone und Telefónica das wohl irgendwie und irgendwann hinbekommen würden, ein mehr oder weniger flächendeckendes Netz zu bauen. Aber "bitte mischt Euch nicht in unser Business ein", so die klare Nachricht der drei Netzbetreiber an die Politik.
Politik im Panikmodus
Doch die Politik ist im "Panikmodus". Möglichst schnell, möglichst überall und möglichst günstig soll es werden und am liebsten gleich morgen früh soll das Netz der Netze kommen, das uns den Aufschwung und eine prosperierende Wirtschaft besorgen soll.
Die Bundesnetzagentur stellte Regeln für die 5G-Auktion vor. Diese empfinden die Netzbetreiber schon als zu streng, würden sie aber zu knapper Not noch tolerieren. Doch diese Regeln waren der Politik zu lasch. Sie machte Druck. Flächendeckung? Jetzt, sofort, überall. Die Bundesnetzagentur legte etwas nach, die Netzbetreiber in heller Aufruhr ziehen vor den Kadi. Nein, die Auktion ist noch nicht in Gefahr, weil Gerichte viel Zeit brauchen und bis dahin kann schon viel passiert sein.
Neue Kläger, neue Spieler
,Doch da sind ja noch mehr Kläger: Kleinere, meist regionale Netzbetreiber, aber auch Diensteanbieter (Service-Provider) führen Klage. Ihr Kritikpunkt: Wir möchten eine Diensteanbieterverpflichtung. Soll heißen: Die Netzbetreiber müssen uns ihre Dienste und Netzprodukte anbieten, und zwar zu möglichst günstigen Preisen. Der Preis ist der Kern des Ganzen. Service-Provider, die ausreichend Geld ausgeben, bekommen heute schon von den Netzbetreibern jeden Tarif und jede Netzfunktion, die sie wollen. Nur bei den Discount-Tarifen ist LTE beispielsweise noch ein knappes Luxusgut.
Doch da sind "neue" Spieler auf der Szene. Sie können sich vorstellen, in die Mobilfunkbranche richtig einzusteigen und sie möchten vieles anderes besser und vor allen Dingen günstiger machen. Den etablierten Netzbetreibern steigen die Schweißperlen auf die Stirn.
Und die Industrie
Und dann gibt es Industrieunternehmen, die ihr "eigenes" Netz wollen, weil sie ihre Geschäftsgeheimnisse mit niemandem sonst teilen möchten und ihnen das Vertrauen fehlt, dass die etablierten Unternehmen wie Telekom, Vodafone oder Telefónica den Netzausbau überhaupt noch hinbekommen.
Alle im Alarmmodus
Alarmmodus bei den Netzbetreibern. Teilweise haben sie ihr Bautempo schon verschärft. Teilweise haben sie (nur) ihre PR-Aktivitäten verstärkt, um den wenigen Ausbau, den sie eh schon durchgeführt haben, optimal zu verkaufen.
60 000 bis 70 000 Sendestationen stehen aktuell in Deutschland, genauso viele wie alleine in der japanischen Hauptstadt Tokio. Schon länger geistern Zahlen über 700 000 notwendige Sender oder gar 1,2 Millionen durch den Raum. Das sind natürlich nicht alles Monster-Sendetürme, die "optisch erschreckend" wirken, sondern viele kleine Antennen auf Telefonzellen, in Reklametafeln oder Kanaldeckeln, kurz unsichtbar. Aber sie müssen aufgebaut werden.
Brauchen wir Stadtnetzbetreiber für 5G?
Stadtnetzbetreiber argumentieren durchaus plausibel, dass die großen Netzbetreiber viel zu schwerfällig sind, um solch ein dichtes Netz in kurzer Zeit hinzubekommen. Dazu braucht man flächendeckend Glasfaser, was die großen noch nicht überall oder quasi kaum haben. Entweder müssen sie es sich mühsam zusammen mieten oder befreundete Unternehmen bitten, Strippen zu legen, was dauern kann. Moderne Stadtnetze haben frühzeitig ihre Städte mit Glasfaser und/oder Leerrohren ausgerüstet und könnten jetzt beim Aufbau helfen. Das ist den etablieren Mobilfunkern unheimlich. Vermutlich würde diese gemietete Glasfaser wesentlich teurer, fürchten die Etablierten, als wenn man selbst baut - oder die denkbaren Renditen schmelzen weiter.
Wie kommen wir durch die Bürokratie?
Doch selbst, wenn sich große und kleine Netzbetreiber einigen: Wird es gelingen, die allmächtige Bürokratie zu bezwingen, die für jeden Einzelsender zwei Jahre Genehmigungszeit braucht? Werden die Bürger vor Ort begreifen, dass sie mit Bedenken und Einsprüchen den Netzausbau und ihre eigene Zukunft selbst verhindern? Werden die Bürger begreifen, dass das gewünschte Supernetz nicht zum Nulltarif vom Himmel fällt, sondern gebaut und bezahlt werden muss?
Zauberlösung: Staatsnetz?
Politiker aus der CSU schlagen ein "Staatsnetz" vor. Wie muss man sich das vorstellen? Wird das Zentralamt für Mobilfunk (ZfM), einst in Münster, wieder belebt oder wird es ein Bundesamt für Mobilfunk geben? Wird diese neue Behörde selbst mit eigenen Leuten Sendemasten aufstellen und mit Technik versehen und danach an die etablierten oder künftigen Netzbetreiber vermieten? Oder gibt die Bundesrepublik Deutschland am Ende "ihrer" Telekom (woran sie noch etwa 30 Prozent Aktienanteile hat) den Auftrag, die Funklöcher gegen Kostenerstattung zu schließen und dort dann gegen Entschädigung lokales Roaming zu erlauben?
Oder müssen wir damit rechnen, dass von den drei großen Netzbetreibern noch ein weiterer die "Lust verliert" und nur noch zwei große und eine Unzahl kleinerer Anbieter übrig bleiben? Oder landen wir beim Einheits-Staatsnetz, dass dann von den bisherigen Anbietern mit magentanen, roten oder blauen Schleifchen verkauft werden wird?
Es ist Druck im Kessel
Wenn wir wirklich ein flächendeckendes Netz wollen, sind Klageschlachten vor den Gerichten der falsche Weg. Wir haben ein gemeinsames Ziel. "Flächendeckung." Doch was bedeutet das eigentlich? Wie wird das gemessen? Mit Außenantennen drei Meter über dem Fahrzeugdach des Messfahrzeuges? Oder mit Crowdsourcing-Apps, die in realen Handys unter realen Bedingungen betrieben werden?
Da muss die Bundesnetzagentur noch Hausaufgaben machen. Und dann muss endlich gebaut werden. Jeden Tag viele neue Stationen, bis in 3-4-5 Jahren eine Halbwegs-Flächendeckung erfolgt ist. Es ist eine Minute nach zwölf.