Editorial: So will die AfD den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schleifen
AfD will ÖR-Rundfunk schleifen
Foto: dpa, Bearbeitung: teltarif.de
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in den letzten Jahren zunehmend
zum Zankapfel geworden: Zwar ist die Höhe des Beitrags seit 2009 nicht
mehr gestiegen, 2015 wurde sie sogar leicht auf 17,50 Euro gesenkt.
Doch nimmt die Zahl der Haushalte, die den Rundfunkbeitrag bezahlen müssen,
weiterhin tendenziell eher zu als ab, sodass beispielsweise die
Beitragssumme trotz der zwischenzeitlichen Beitragssenkung 2018 höher
lag als 2013. Anfang 2021 soll der Beitrag zudem um fünf Prozent steigen.
Zugleich sinken die Marktanteile von ARD und ZDF
kontinuierlich, während Internet-Streaming-Angebote wie YouTube und
Netflix immer wichtiger werden.
Immer wieder wird daher die Forderung laut, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzuschränken. Besonders weit geht nun die AfD und fordert gar, die Finanzierung um 90 Prozent zu kürzen. Der Zwangsbeitrag soll dem Programm zufolge ersatzlos entfallen und durch eine "Abgabe der Tech-Konzerne" ersetzt werden, "die durch die Reform zukünftig signifikante Marktchancen erlangen". Die AfD würde dabei gerne viele Konzerne zahlen lassen, unter anderem ist von Netflix, Amazon und Apple, aber auch von Springer und Bertelsmann die Rede. Werbemöglichkeiten für die Konzerne soll es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk aber nicht mehr geben.
Dem AfD-Konzept zufolge soll sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk künftig schwerpunktmäßig auf "regionale Nachrichten, Kultur, Bildung, Lebenshilfe, Hobby und Dokumentationen" konzentrieren. Sportübertragungen sollen sich auf Amateur- und Breitensport fokussieren. Angesichts der 90-prozentigen Budget-Kürzung könnten die Sendeanstalten auch gar nicht anders reagieren, als hochwertige Spielfilme und große Sportereignisse wie die Fußball-WM aus dem Programm zu werfen. Auch aufwändigere Eigenproduktionen wie der "Tatort" müssten ersatzlos gestrichen werden. Die "Tagesschau" wäre zwar möglicherweise weiter finanzierbar, würde aber nach dem AfD-Konzept dennoch entfallen, weil sie überwiegend überregionale statt regionale Nachrichten bringt.
Regional in den Bankrott
AfD will ÖR-Rundfunk schleifen
Foto: dpa, Bearbeitung: teltarif.de
Die ARD verfügt derzeit über ein verfügbares Budget von knapp
5,5 Milliarden Euro jährlich. Würden 90 Prozent davon
gekürzt werden, sind es noch 550 Millionen Euro. Aufgeteilt
auf zehn regionale Programme, die die AfD im Rahmen der Fokussierung auf
regionale Inhalte offensichtlich alle erhalten will, sind das
55 Millionen Euro pro Kanal. Wenn man davon
täglich 1000 Minuten eigene Beiträge produzieren soll, steht ein
Budget von 150 Euro pro Minute zur Verfügung. Das klingt erstmal
viel. Doch kostet ein beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk derzeit
typisches vierköpfiges Produktionsteam
(Redakteur, Kameramann, Beleuchter, Tontechniker) inklusive Lohnnebenkosten
und Spesen deutlich über 1000 Euro am Tag. Bedenkt man, dass so ein
Team oft nicht zu mehr kommt, als ein bis zwei Drei-Minuten-Beiträge für
die aktuelle Nachrichtensendung zu produzieren, wird schnell klar, dass
das Budget nicht reicht und Wiederholungen und Billigproduktionen
unausweichlich sind.
Klar kann ein Einzelkämpfer-Redakteur auch mit der Smartphone-Kamera filmen. Doch hat der dann entsprechend weniger Aufmerksamkeit für den Inhalt, wenn er sich auch um die technischen Details kümmern muss. Am Ende bleibt dann YouTube-Qualität, und das bedeutet zwangsläufig auch erheblich mehr Falschinformationen als bisher.
Die Produktion guter Spielfilme kostet typischerweise 15 Millionen Euro, entsprechend 15 000 Euro pro Minute. Top-Hollywood-Produktionen sind nochmals um den Faktor zehn teurer. Finanzierbar sind diese hohen Summen nur durch die überregionale internationale Verwertung, sodass eben der zur Refinanzierung nötige Teil der einzelnen Länder entsprechend sinkt. Doch die AfD möchte ja schon deutschlandweite Inhalte aus dem Programm werfen. Internationale Inhalte wird es gar nicht mehr geben, wenn sie sich durchsetzen sollten.
Zuschauerparlament
Die AfD möchte den Einfluss der "politischen Parteien" auf den Rundfunk verringern, ja sogar "langfristig ausschließen", und dazu ein von den Zuschauern gewähltes "Zuschauerparlament" einführen. Wie es gelingen soll, die Wahlen zu einem solchen Zuschauerparlament durchzuführen, ohne, dass die Parteien darauf Einfluss nehmen, führt die AfD allerdings nicht aus. Und da die AfD das Thema bereits politisiert hat, nicht nur durch den aktuellen Vorstoß, sondern auch durch ihre andauernden Klagen, in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht ausreichend und nicht angemessen repräsentiert zu werden, ist schlicht und ergreifend mit Sicherheit davon auszugehen, dass die Zuschauerparlamentswahlen zum selben politischen Tauziehen werden wie normale Parlamentswahlen auch.
Zugleich möchte die AfD den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch einen "Rat unabhängiger Experten" kontrollieren lassen. Nun, ist der Rundfunkrat, der die öffentlich-rechtlichen Programme derzeit überwacht, bereits zu mehr als der Hälfte mit Experten besetzt, beim ZDF sind das beispielsweise 42 von 60 Mitgliedern: Vertreter mehrerer Religionsgemeinschaften, mehrerer Gewerkschaften, mehrerer Arbeitgeberverbände, mehrerer Wohlfahrtsverbände, je einer Verbraucherschutz- und einer Umweltschutzorganisation, je einer für "Digitales" und "Internet", einer für Musik, einer für "Wissenschaft und Forschung" und noch viele mehr. Das sind alles Experten aus ganz unterschiedlichen Bereichen des Lebens in Deutschland. Man muss daher die Frage stellen, welche Experten die AfD stattdessen oder zusätzlich in die Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufnehmen wollen würde. So könnte man beispielsweise vermuten, dass die AfD im ZDF-Rundfunkrat gerne den Vertreter aus dem Bereich "Muslime" streichen würde. Aber das kann die AfD natürlich nicht öffentlich sagen, ohne die bereits eh begonnene Beobachtung durch den Verfassungsschutz noch gegen sich zu verschärfen.
Fazit
Die AfD hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie sich vom derzeitigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk schlecht behandelt fühlt. Und wie für Populisten üblich, sucht sie daher den Konflikt: Gerade die besonders erfolgreichen Teile des öffentlich-rechtlichen Programms, wie die überregionalen Nachrichten ("Tagesschau"), die eigenen Spielfilmproduktionen oder die Live-Übertragungen großer internationaler Sportereignisse, sollen ersatzlos gestrichen werden. Übrig bleibt dann ein "regionales Heimat-TV" mit Opernaufführungen und Töpferkursen. In den Regionen, in denen die AfD über größeren politischen Einfluss verfügt, würde sie dann auch über die Zuschauerparlamente dahingehend Einfluss nehmen, dass dieses Heimat-TV AfD-konform umgestaltet wird.
Für die Beschäftigten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist die aktuelle Hetze der AfD aber wahrscheinlich sogar eine gute Nachricht: Angesichts der doch sehr hohen Ablehnung der AfD in der Bevölkerung Deutschlands von derzeit um die 90 Prozent wünscht sich die Mehrheit ein starkes mediales Gegengewicht zur AfD. Da sowohl Politiker als auch Journalisten immer wieder mit einzelnen AfD-Positionen fremdeln, ist ein von den Bürgen finanzierter und paritätisch kontrollierter Rundfunk hierfür die beste Garantie. Je stärker die AfD gegen die anstehende Erhöhung des Rundfunkbeitrags opponiert, desto sicherer dürfte die beschlossen werden.
Früherer Artikel
Vorgestern ist von teltarif.de ein leider nicht sehr gut geschriebener und wenig reflektierter Beitrag über den hier dargestellten AfD-Vorstoß veröffentlicht worden. Ich habe mit der Chefredaktion darüber gesprochen, warum dieser Beitrag nicht den teltarif-Qualitätskriterien entspricht, und zwar ganz unabhängig davon, dass er über eine umstrittene politische Partei berichtet. Von daher sind die direkten Angriffe im Forum auf die Redaktion verständlich, wir müssen uns diesen stellen.
Ich halte es persönlich dennoch für falsch, wenn User von teltarif.de fordern, nicht über die AfD zu berichten. Die AfD sitzt nun mal in vielen Parlamenten Deutschlands inklusive des Bundestags. Sie ist Teil der politischen Realität. Sie auszublenden, wäre falsch. Aber dass teltarif.de Werbung für extreme politische Positionen macht, indem es die offensichtlich in sich widersprüchliche Forderungen der AfD (wie der bereits vom Originalautor angeführten Frage, wie die Digitalkonzerne überhaupt rechtssicher zur Zahlung der Rundfunkabgabe verpflichtet werden können, über die hier aufgeführten Punkte, wie den angeblich reduzierten politischen Einfluss trotz der Wahl der Zuschauerparlamente, sowie der Expertenbesetzung der Rundfunkaufsicht, die ja längst Realität ist) dennoch unreflektiert als "neue Bewegung" darstellt, ist auch nicht richtig. Ich bitte dafür um Entschuldigung.