Editorial: Der Streit um die Reste
Im Bild: Ein Techniker klettert an einem Funkmast, der für 4G und 5G zuständig ist
Bild: Stefan Sauer / zb / dpa / Picture Alliance
C-450, in Deutschland besser bekannt als das
C-Netz, war nicht nur in Deutschland das erste universelle
Mobilfunknetz. Es verwendete analoge Sprachübertragung, aber
bereits
digitale Signalisierung. Vor zwei Jahrzehnten wurde es jedoch
abgeschaltet, da die voll digitalen
D- und E-Netze einfach besser waren. Die so
frei gewordenen Frequenzen wurden immer mal wieder für andere Zwecke
verwendet. Einer davon war auch die Bereitstellung von
Bord-Internet im ICE. Da aber im ehemaligen C-Netz nur
2 x 4,74 MHz zur Verfügung stehen, waren die
möglichen Bitraten nicht sonderlich hoch. Später wurde das
Bord-WiFi der ICE daher auf 4G-Technologie umgestellt. Die
Ex-C-Netz-Frequenzen rund um 450 MHz sind daher wieder
frei und müssen erneut vergeben werden.
Der aktuelle Kompromiss lautet, das Band der Energiewirtschaft "zur Absicherung der Netze" zur Verfügung zu stellen, sowie nachrangig für die Sicherheitsbehörden, die damit ihr TETRA-BOS-Funksystem (das bei 420 MHz arbeitet) erweitern können. Beides läuft darauf hinaus, teure Speziallösungen zu schaffen.
Klar ist: Die Energiewirtschaft braucht zuverlässige Telekommunikationsnetze. Denn auch die Stromnetze werden immer zentraler gesteuert. Der stetig wachsende Anteil an erneuerbaren Energien, deren Produktion in Abhängigkeit von Wetter und Tageszeit stark schwankt, macht immer tiefgehendere Netzeingriffe erforderlich. Zugleich passieren natürlich Fehler: Wegen einer Störung muss ein Kraftwerk notabschalten, ein Trafo überhitzt aufgrund eines internen Kurzschlusses oder bei Tiefbauarbeiten wird eine Hochspannungsleitung zertrennt.
Was man nicht brauchen kann, ist eine Fehlerkaskade: Nach einem Blitzeinschlag in eine Verteilstation lösen einige Sicherungen aus. In der Umgebung der Verteilstation fällt der Strom aus. Davon sind auch einige der dort befindlichen Mobilfunk-Basisstationen betroffen, weil diese nicht oder nicht ausreichend mit Batterien gepuffert sind. Zugleich steigt in der Region das mobile Datenvolumen, zum einen, weil die Leute ihre Streams nach dem Festnetzausfall auf dem Smartphone weiter schauen, zum anderen, weil sie nach Nachrichten über den aktuellen Stromausfall suchen. In der Folge überlastet das mobile Internet auf den verbleibenden Basisstationen komplett. Die Mitarbeiter in der Stromzentrale schaffen es daher nicht, die Verteilstation per Fernsteuerung zu erreichen, um dort die Netze umzuschalten. Stattdessen müssen sie selber rausfahren, was die Zeit bis zur Wiederherstellung der Stromversorgung entsprechend verlängert.
Network Slicing
Im Bild: Ein Techniker klettert an einem Funkmast, der für 4G und 5G zuständig ist
Bild: Stefan Sauer / zb / dpa / Picture Alliance
5G hat genau aus diesen Gründen das Network Slicing
eingeführt. Bei aller berechtigten Kritik, dass Slicing vor
allem ein Weg ist, um die Netzneutralität zu unterlaufen: Wenn
Slicing benutzt wird, um Verbindungen der Rettungsdienste, der
Sicherheitsbehörden oder der Mitarbeiter der Versorger (Strom,
Wasser, Gas, Telekommunikation) zu priorisieren, dann ist das eine
gute Sache. Es ist nicht schlimm, wenn vorübergehend ein paar
YouTube-Streams ruckeln, während sich der Mitarbeiter in der
Stromnetz-Zentrale auf die Überwachungskameras der Verteilstation
aufschaltet, um sich ein Bild der vom Blitzeinschlag verursachten
Schäden zu machen.
Und natürlich ist die Helmkamera eines Feuerwehrmanns, der
einen Großbrand in einem Reifenlager bekämpft, wichtiger als
die fünfte Folge der siebten Staffel von Game of Thrones, die
gerade 500 Meter weiter von jemandem gestreamt wird.
Slicing bietet auch die Möglichkeit, Netzkapazitäten zu kombinieren. Die genannte Helmkamera des Feuerwehrmannes kann bei Slicing nicht nur das 450-MHz-Band, sondern auch die 700-, 800- und 900-MHz-Bänder benutzen, wenn diese beim gewählten Netzbetreiber ebenfalls vor Ort verfügbar sind. Slicing bietet auch die Möglichkeit, Netzbetreibergrenzen zu überspringen: Während normale SIM-Karten immer nur für ein Netz ausgegeben werden, können Slicing-SIMs durchaus so ausgestattet werden, dass für sie das nationale Roaming über alle Netze hinweg freigeschaltet sind.
Zentrale Kapazitätsverwaltung
Es wäre daher die mit Abstand effizienteste Lösung, die freien Kapazitäten im 450-MHz-Band an einen der drei Netzbetreiber zu geben, und im Gegenzug Slicing-Dienstleistungen zurückzuerhalten, die den bevorzugten Zugriff der Stromnetze, der Sicherheitsbehörden und aller anderen berechtigten staatlichen oder auch privaten Akteure auf dieses Band sichern. Im Normalbetrieb könnten dann auch ganz normale Smartphones auf das Band zugreifen und die Kapazitäten möglichst effizient nutzen. Denn so lange gerade kein Großeinsatz der Polizei erfolgt und auch das Stromnetz rund läuft, und das ist ja über 99 Prozent der Zeit der Fall, liegen die 450-MHz-Kapazitäten bei der individuellen Vergabe natürlich brach.
Leider scheidet diese Lösung an einem Praxisproblem: Im LTE/4G-Standard war die Nutzung des 450-MHz-Bands noch vorgesehen, nur gibt es weltweit keinen einzigen Carrier und kein einziges Smartphone, der/das das 450-MHz-Band implementiert. Im 5G-Standard taucht dieses Band daher gar nicht erst auf. Und damit scheitert die effiziente Nutzung des 450-MHz-Bands an einem Henne-Ei-Problem: Weil die meisten Staaten das Band für Sonderlösungen an einzelne Betreiber vergeben, mangelt es an universeller Technologie zur Nutzung dieses Bandes, was nun wiederum die Staaten davon abhält, das Band universell auszuschreiben. Somit bleiben diese guten Frequenzen wohl auch künftig suboptimal genutzt.