Digitalisierung: Die neue E-Patientenakte kommt schrittweise
Mit Unterlagen zur eigenen Gesundheit ist es für viele so eine Sache: Da gibt es eine Karteikarte beim Hausarzt. Und noch eine Akte in jeder weiteren Praxis. Röntgenbilder und Impfpass liegen schon mal irgendwo in Schubladen im Keller oder auf dem Speicher.
Zum 1. Januar startet ein neues freiwilliges Angebot an mehr als 73 Millionen Versicherte, solche Dokumente und einiges mehr digital und gebündelt zu speichern: in elektronischen Patientenakten (ePA), abrufbar per Smartphone. In einer Testphase soll das Vorzeigeprojekt von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aber erst einmal "kontrolliert" in Gang kommen. Denn die Vernetzung mit den Praxen ist nicht leicht. Zum Datenschutz gibt es amtliche Kritik.
Wieso überhaupt eine digitale Patientenakte?
In der elektronischen Patientenakte (ePA) sollen alle Befunde und Daten gesammelt werden, um Doppeluntersuchungen oder Fehlbehandlungen zu vermeiden. Datenschützer haben Bedenken
Foto: Picture Alliance / dpa
Nach jahrelangem Gezerre um mehr Funktionen für die elektronische Gesundheitskarte will Spahn die Digitalisierung endlich voranbringen.
Da ist die E-Akte ein zentrales Element, das Erleichterungen für Patienten und Ärzte konkret spürbar machen soll.
Zum Beispiel, um unnötige Mehrfachuntersuchungen zu vermeiden, weil man Daten zu eingenommenen Medikamenten oder früheren Behandlungen beim Termin in der Praxis nicht parat hat. Dabei soll die ePA nach und nach mehr können. Neben Arztbefunden, Röntgenbildern und Blutwerten sollen ab 2022 der Impfausweis, der Mutterpass, das gelbe Untersuchungsheft für Kinder und das Zahn-Bonusheft digital abrufbar sein. Was sie speichern wollen und was nicht, entscheiden nur die Patienten selbst.
Einführung erfolgt schrittweise
Die Einführung soll ebenfalls schrittweise laufen - denn es geht um ein technisches Großprojekt. Ab 1. Januar haben alle Versicherten Anspruch darauf, eine ePA-App von ihrer Krankenkasse zu bekommen. Mit Inhalten füllen können sie die vorerst selbst. Und nicht-digitale Unterlagen müssen anfangs noch per Handy oder Tablet eingescannt werden.
Daneben gibt es einen Bereich mit Versicherten-Informationen der jeweiligen Kassen, etwa mit Erinnerungsfunktionen oder einer Art Quittung über abgerechnete Leistungen. Einen weiteren Bereich sollen Ärzte mit medizinischen Daten speisen. Die Vernetzung im Live-Betrieb soll im ersten Quartal 2021 aber zunächst nur mit ausgewählten Praxen in Berlin und der Kassenärzte-Region Westfalen-Lippe getestet werden. Im Rest des Landes kommt das erst später.
Was sagen die Ärzte?
Nach und nach sollen sich dann mehr Praxen anschließen - direkt eine digitale Revolution erwarten Ärzte jedoch nicht. "Wenn die Technik steht und reibungslos funktioniert, hat die ePA sicherlich das Potenzial, eine sinnvolle Ergänzung im Behandlungsalltag zu sein", sagt der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen.
Die Erwartungen sollten aber nicht zu groß sein. Versicherte müssten Dokumente aktiv freischalten. "Für viele ältere Patienten wird das eine Hürde sein." Für die Praxen ersetze die ePA auch nicht die medizinische Dokumentation und die Kommunikation zwischen Ärzten. Zu Jahresbeginn fehlten zudem noch passende Verbindungsgeräte für die geschützte Datenautobahn des Gesundheitswesens. Bis 1. Juli 2021 müssen dann aber alle 200 000 Praxen für die ePA technisch vernetzt sein.
Was sagen Kassen und Verbraucherschützer?
Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) setzen auf eine breite Nutzung der neuen Möglichkeiten. "Die elektronische Patientenakte ist ein Meilenstein auf dem Weg, die Digitalisierung für eine bessere Versorgung zu nutzen", hofft die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer. Sie hoffe auf viel Interesse unter den Versicherten.
Auch die Verbraucherzentralen sehen große Chancen, die Versorgung digital zu verbessern und stärker am Patientenbedarf auszurichten. Das müsse aber allen offen stehen, auch ohne mobiles Gerät. Sie warben deshalb zuletzt noch für Terminals in Kassen-Geschäftsstellen. Ab Juli 2021 möglich sein soll nun, E-Akten auch in Arztpraxen ausstatten zu lassen - mit einer neuen PIN-Nummer und der elektronischen Gesundheitskarte.
Was ist mit dem Datenschutz?
Spahn verspricht "höchste Standards". Vom obersten Datenschützer Ulrich Kelber bekommt die E-Akte aber eine Warnung mit auf die erste Etappe. In der Kritik steht eine vorerst "abgespeckte" Version der Zugriffsrechte. So können Patienten festlegen, welche Daten in die E-Akte sollen und welcher Arzt sie sehen darf. Feinere Zugriffe je nach Arzt nur für einzelne Dokumente kommen aber erst Anfang 2022.
Das zwinge zu "Alles oder Nichts", monierte Kelber - der Zahnarzt könne Befunde des Psychiaters sehen. Die Kassen verständigten sich mit dem Datenschützer auf einen "umfangreichen Informationstext", wie es beim Spitzenverband heißt. Den bekomme jeder, der eine ePA will.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Viele Ärzte haben ihre Befunde schon heute digital auf ihren Computer-Systemen gespeichert. Wie "sicher" die sind, hängt von den IT-Kenntnissen des Arztes oder seines IT-Beraters ab und wie die Kollegen von Heise herausgefunden haben, konnte es da schon mal vorkommen, dass Praxisdaten direkt aus dem Internet "erreichbar" waren, wenn man wusste, wo und wie man danach "suchen" musste.
Dann gibts natürlich Begehrlichkeiten: Ein(e) Personalchef/in, der/die einen neuen Bewerber oder eine Bewerberin einstellen soll, würde liebend gerne in die Akte schauen, wie oft der/die Kandidat/in vorher krank war und warum. Das geht natürlich gar nicht.
Aber wenn es technisch möglich ist, muss es irgendwie auch "sicher" gemacht werden. Dann gibt es "böse Buben", die sich als "Praxis" ausgegeben haben und so an sensible Daten herankamen. Diese Daten würden viele Firmen interessieren, die ihre Produkte verkaufen möchten. Wenn eine Firma wüsste, wer eine bestimmte Krankheit hat, könnte sie gezielt Werbung verschicken, für Pillen, Kuren, Pflaster oder was auch immer. Auch das geht natürlich nicht.
Die "Digital Natives"-Generation werden sich mit der Technik schnell anfreunden, aber auch hier bedarf es einer Sensibilisierung, für das, was möglich ist und was nicht sein kann oder darf.
Nur die herrschende Meinung "Was für ein Quatsch - das brauch ich nicht - das will ich nicht" - hilft gar nichts. Im Gegenteil: Die Macher werden es machen. Also sollten wir uns aktiv daran beteiligen und uns informieren, beispielsweise beim nächsten Arztbesuch oder bei der eigenen Krankenkasse - und vielleicht mal das eigene Smartphone, das Tablet oder den eigenen PC einem Sicherheitscheck unterziehen.
Sind alle Updates installiert? Gibt es überhaupt noch Updates? Und wie ist das mit den eigenen Passwörtern? Wird überall das gleiche Passwort verwendet, weil es so schön einfach ist? Haben Sie alle Passworte und Zugangsdaten sicher aufbewahrt aber griffbereit? Sind alle Kunden-Daten (Adressen, Telefonnummern, E-Mail) korrekt?
Eine wichtige Aufgabe für die ruhige Zeit zwischen den Jahren. Bleiben Sie gesund.