Benutzer hotte70 schrieb:
Kann mir mal jemand erklären, welche Dienste/Webseiten genau IpV6 voraussetzen? Ich habe noch einen alten IPv4-only Anschluss, bin mir aber keinerlei Einschränkungen bewusst bzw. läuft alles wunderbar. Wofür genau braucht man derzeit echtes Dual-Stack? Bitte jetzt keine Szenarien, die erst in 10 Jahren wichtig sein werden.
Deine Frage geht im Kern am Problem vorbei.
Es gibt keine Dienste, die prinzipiell nur mit IPv6 funktionieren können. Alles, was Du Dir ausdenken könntest, über IPv6 zu tun, kann man prinzipiell auch über IPv4 tun. IPv6 ist keine irgendwie grundlegend neue Technologie, jedenfalls nicht, was den eigentlichen Datentransport angeht, da funktioniert IPv6 konzeptionell sehr ähnlich wie IPv4.
Der entscheidende Vorteil von IPv6 ist der deutlich größere Adressraum. IPv4 hat nur ~ 4 Milliarden Adressen (von denen auch noch ein erheblicher Teil praktisch gar nicht nutzbar ist), und das führt zu einer Adressknappheit, wenn langfristig 10 Milliarden Menschen mir mehreren Endgeräten das Internet nutzen möchten, und wenn sie dabei auch noch auf Server zugreifen können wollen, die auch irgendwie Adressen brauchen.
Für diese Adressknappheit gibt es dann aber auch Workarounds wie z.B. NAT. Von daher könnte man sagen, dass wir IPv6 aus technischer Sicht nicht wirklich zwingend brauchen.
Das Ding ist nur, dass diese Art von Workarounds zum einen direkt Kosten verursachen (man braucht halt z.B. Geräte, die das NAT durchführen) und dass sie außerdem manche Anwendungen verkomplizieren oder ganz unmöglich machen, und dass die Knappheit von IPv4-Adressen zu einem florierenden Markt für IPv4-Adressen geführt hat, auf dem man inzwischen nennenswert Geld bezahlen muss, um an IPv4-Adressen zu kommen, wenn man diese braucht, um neue Endkunden anzubinden oder um neue Server ans Netz zu bringen ... und alles das sind halt Kosten, die am Ende der Endkunde bezahlen muss, also Du, da all diese Kosten natürlich in die Preiskalkulation der Unternehmen einfließen.
Manche Unternehmen reichen das auch inzwischen schon explizit an ihre Kunden weiter. Hetzner z.B. verlangt inzwischen einen Aufpreis, wenn Du zu Deinem Server eine IPv4-Adresse haben möchtest. Andere Endkunden-ISPs weichen den Kosten eben dadurch aus, dass sie DS-Lite machen, sodass viele Kunden sich eine IPv4-Adresse teilen ... solange das CGNAT-Gateway in Anschaffung und Betrieb günstiger ist, als zusätzliche Adressen zu beschaffen, verringert das etwas die Kosten, und der Endkunde muss eben mit der Einschränkung leben, dass er auf IPv4 keine eingehenden Verbindungen empfangen kann.
Sofern Du keine Dienste nutzt, wo Dir die Nutzung von IPv4 extra berechnet wird, würde sich Dein Nutzen in dieser Hinsicht erstmal darauf beschränken, dass Anbieter, die weniger IPv4-Clients bedienen müssen auch weniger IPv4-Adressen brauchen und damit geringere Kosten haben, die in deren Preiskalkulation eingehen ... zumindest statistisch dürfte die Nutzung von IPv6 hier also die Preise senken.
Dass z.B. Betreiber von Webseiten IPv4 komplett aufgeben und Du diese dann mit einem reinen IPv4-Anschluss gar nicht nutzen könntest, ist vorläufig wohl eher nicht zu erwarten, von kleinen Nischen vielleicht abgesehen, dafür gibt es einfach noch zu viele Clients, die nur IPv4-Anbindung haben, und dafür sind IPv4-Adressen tendentiell auch noch zu billig - es ist aber natürlich damit zu rechnen, dass das irgendwann einen Kipppunkt erreichen wird, an dem Webseitenbetreiber vermehrt den Nutzen nicht mehr sehen, und wann dieser Kipppunkt erreicht ist, hängt halt auch von Dir ab, denn je kleiner der verbleibende Rest an Clients, die nur IPv4 können, desto wahrscheinlicher ist, dass es sich nicht mehr lohnt.
Praktische Probleme ohne IPv6 sind heute oft eher Szenarien, wo Du einen Dienst erreichen willst, der bei jemandem zu Hause gehostet ist, der einen DS-Lite-Anschluss hat. Also, jemand, der zu Hause ein NAS betreibt und Dir dafür einen Zugang einrichtet, damit Du davon Daten herunterladen kannst, oder der Zugriff auf Überwachungs-/Webcams, oder was Leute halt so zu Hause an Servern betreiben. Da der Benutzer hinter dem DS-Lite-Anschluss überhaupt keine eigene IPv4-Adresse hat, kann er halt per IPv4 auch keine eingehenden Verbindungen empfangen - per IPv6 aber natürlich schon.
Ansonsten noch ganz nett ist, dass man genau in solchen Szenarien mit IPv6 halt auch nicht mehr mit Portforwarding o.ä. herumbasteln muss: Wenn Du ne Webcam *und* ein NAS hast und die beide einen Webserver aufmachen, dann haben sie halt auch zwei separate IP-Adressen und Du brauchst Dir keine Ports zu merken.
Alles in allem ist der große Nutzen aber eher einer, der dadurch realisiert wird, dass wir IPv4 mit all den Workarounds und mit der stark fragmentierten (und dadurch riesigen) Routingtabelle möglichst bald nicht mehr weiterbetreiben müssen, was einen Haufen Aufwand und damit Kosten sparen würde. Rein technischt ist das nicht etwas, was noch 10 Jahre dauern muss, denn rein technisch könnten sich ja einfach alle Menschen morgen entscheiden, auf IPv6 umzusteigen, und dann können wir IPv4 morgen einstampfen. Aber solange es noch viele Menschen lange hinausschieben, müssen wir halt alle zusammen die Betriebskosten für IPv4 bezahlen, und mit etwas Pech auch noch 10 Jahre lang oder sogar länger.