Zukunftsmusik

Wählen per Internet: Idee gut, Umsetzung prolematisch

Rechtliche und finanzielle Hindernisse auf dem Weg zu wahltauglichen Internet
Von dpa / Marie-Anne Winter

Das Wählen per Mausklick am Computer oder mit Handy ist noch Zukunftsmusik. Zwar wäre das Wählen von zu Hause oder einem beliebigen Ort der Welt aus bequem. Doch scheinbar unüberwindbare rechtliche und finanzielle Hindernisse lassen die Praxis ins Ungewisse abdriften. "Wir sind weit entfernt von einem wahltauglichen Internet", sagt der Internet-Wissenschaftler Christoph Meinel am Trierer Institut für Telematik.

Gleichwohl müht sich eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Bundesinnenministeriums, die Vision umzusetzen - als Ergänzung zum traditionellen Urnengang. Schon zur nächsten Bundestagswahl 2006 sollen Computer und Internet zumindest so weit eingesetzt werden, dass die 80 000 Wahlbezirke vernetzt werden und jeder in einem beliebigen Wahllokal seine Stimme abgeben kann. In diesem Jahr werden in 29 deutschen Städten die ersten elektronischen Wahlgeräte aufgestellt.

Informatiker Meinel nennt das Vorhaben einer späteren Online-Stimmabgabe ehrgeizig. Momentan seien Computer - wahltechnisch betrachtet - nicht mehr als eine schnelle Auszählhilfe. "Wir sind nicht sicher vor System- und Softwarefehlern und müssen auch mit einem Absturz rechnen - für eine Wahl muss die Möglichkeit der Stimmabgabe aber gesichert sein", betont er.

Das Internet als weitere Wahl- und Abstimmungsmöglichkeit werde beispielsweise auf Betriebsratsebene und bei Studentenratswahlen bereits getestet. Gleichwohl brachten Experimente in den USA und auch in Deutschland - an der Universität Osnabrück die Forschungsgruppe Wahlen von Professor Dietmar Otten - nicht den durchschlagenden Erfolg.

Jeder müsse sicher sein können, sagt Meinel, dass kein Hersteller von Betriebssystemen oder Netzbetreiber oder gar ein Virus die Stimmabgabe des Wählers unzulässig beeinflussen. Das Geheimnisprinzip stehe ganz vorn. "Es darf nicht möglich sein, den Stimmzettel auf den Absender zurückzuverfolgen, mehrmals zu wählen oder eine Stimme zu verändern", sagt Meinel.

Dass sich Wähler mehr räumliche und zeitliche Unabhängigkeit wünschen, zeigt die Beliebtheit der Briefwahl. Acht Millionen Menschen entschieden sich vor vier Jahren für diesen Weg, zwei Millionen mehr als 1994. Der Anteil der Briefwähler lag 1998 damit bei 16 Prozent der Wähler - 82,2 Prozent der Berechtigten gingen zur Wahl. 1994 erreichte die Wahlbeteiligung 79 Prozent - 13,4 Prozent der Wähler stimmt per Brief ab.

Aus Sicht des Informatik-Professors Michael Philippsen von der Universität Erlangen-Nürnberg könnten Internet-Wahlen besonders Befürwortern von Basisdemokratie neuen Auftrieb geben. "Die räumlich weit verstreute Bevölkerung könnte praktisch zum Nulltarif kurzfristig nach Meinungen befragt werden", stellt er fest. Weitere Vorteile bestünden darin, dass der Postweg wegfällt und körperlich Behinderte es leichter hätten. In "gefährdeten" Ländern - wie zuletzt in Mazedonien - müssten die Stimmen nicht in Wahlurnen transportiert werden, die gelegentlich verschwinden oder ausgetauscht werden. "Und eine geeignete Schnittstelle könnte unabsichtlich ungültige Stimmen verhindern", meint er.

Große Gefahr sei allerdings der mögliche illegale Handel mit Wählerstimmen, wie es ihn über Inserate im Internet gab. Die am Wahlort verbotene politische Werbung könne im Internet kaum verhindert werden. Prüfer der Wahlverfahren müssten eine solide Informatikausbildung vorweisen. Und an eine Kostensenkung dank der Technik mag Philippsen auch nicht so recht glauben. Die Ausstattung von mehr als 60 Millionen Wahlberechtigten mit einer Signaturkarte und einem Lesegerät würde nach Schätzungen des Internet-Experten viele 100 Millionen Euro kosten.

Ungeachtet dessen behält die Politik das Ziel im Auge und fordert zunächst, dass jeder lernt, verantwortlich mit dem neuen Medium umzugehen. Für Bundesinnenminister Otto Schily ist das Wählen via Internet nur der nächste Schritt - um nach Information und Kommunikation über das Medium später auch politische Entscheidungen über das Netz zu treffen.