Ende der Euphorie

Technikbegeisterung auf dem Tiefpunkt

Die Konsumenten werden kritischer
Von dpa / Marie-Anne Winter

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Boris Becker mit naiver Technikbegeisterung für AOL geworben hat. "Ich bin drin!", staunte Becker 1999, als sich die Welt des Internets wie von Geisterhand vor ihm aufbaute. "Heute könnte er damit nicht mehr werben", sagt Stefan Kaiser vom Zürcher Gottlieb Duttweiler Institut (GDI). Die Lust auf Internet, Handys und andere Technik scheint einen neuen Tiefpunkt erreicht zu haben. Die Konsumenten wollen nicht nur drin und bei der jeweils neusten Entwicklung dabei sein, sondern auch wissen wozu. Der Nimbus des Neuen alleine genügt nicht mehr.

Die heute gestartete Computermesse Systems in München, die zweitgrößte nach der CeBIT, verzeichnete einen Rückgang von 2165 Ausstellern im vergangenen auf 1600 in diesem Jahr.

Vorbei sind die Zeiten, in denen Familienväter mit Hingabe ihre Samstage dafür opferten, ihr Homebanking zu optimieren. "Heute will man wissen, was mir das bringt, wenn ich der Bank die Arbeit abnehme", sagt Kaiser, Chefredakteur des Management-Magazins "GDI_IMPULS". Das GDI ist bekannt als interdisziplinäre Forschungsstätte zum Handel und seinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtungen.

Von den jüngsten Technikwellen seien viele derart enttäuscht, dass ihnen der Spaß an den technischen Spielereien verloren gegangen ist. Die plug&play-Technologie, ISDN-Anlagen oder netzfähige Handys - wegen der Kompliziertheit weicht die Freude an den Maschinchen zu Hause oft dem Frust. "Früher wollten alle die neueste Version eines Computerprogramms haben", sagt Kaiser, "heute wartet man, wenn Microsoft etwas herausgebracht hat, bis es funktioniert."

Tatsächlich ist der Umsatz bei der Unterhaltungselektronik in Deutschland bereits 2001 um 3,4 Prozent gefallen, auch wenn daran freilich die allgemeine Konsumflaute einen Anteil hatte und dieser Umsatz immer noch bei 19,7 Milliarden Euro lag. In der Telekommunikations- und IT-Branche jagen sich seit Monaten die Meldungen über Absatzeinbrüche, Börsentiefs und falsche Investitionen. Die Industrie steckt nach Ansicht von Kaiser in einer "hausgemachten konzeptionellen Krise". Anstatt die Kunden mit wenigen ausgereiften Produkte in langsameren Abständen zu verwöhnen, würden "in sinnloser Dynamik" Geräte und Programme auf den Markt geworfen.

Experten weisen zudem auf den natürlichen Effekt der Marktsättigung hin. Mit mehr als 56 Millionen Kunden in Deutschland können sich Handy-Produzenten und Netzbetreiber über mangelnde Zuwendung schließlich nicht beschweren. Doch Techniksoziologen wie Günter Voß von der Technischen Universität Chemnitz gehen von einer wohl längerfristigen Stagnation beim Interesse an der Apparatewelt aus.

"Die Euphorie, die mit der Expansion der IT-Industrie und des Internets einherging, schwächt sich ab", sagt Voß. Nach den optimistischen 80er und 90er Jahren wenden sich viele Menschen wie zuletzt in den 70ern etwas stärker von Technik ab, meint der Soziologe. "Technikfeindlichkeit kann sich aber niemand erlauben" - eher kühlen Pragmatismus. "Der Glanz ist weg."

Wenn Harald Schmidt und Manuel Andrack in ihrer Show abends betonen, keinen DVD-Player zu haben, dürfte sie das mit vielen Zuschauern verbinden. Die jungen Männer, die sich einst den ganzen Nachmittag mit ihren Handys und deren Tönen vergnügen konnten, werden in Cafés der Städte allmählich rar. Gespräche drehen sich mehr um Jobsorgen und die Zukunft als um gagige Anschaffungen, und die auf den Tischen herumliegenden Handys dienen nicht mehr so sehr dem Status ihrer Nutzer - sondern nur noch zum Telefonieren.