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Hinkender Vergleich


08.07.2020 19:44 - Gestartet von RobbieG
Tach,

iss ja toll.
Schweiz hat bestes Netz. Leute verdienen viel, Lebenshaltungskosten hoch.
Netze in Italien chronisch überlastet
Kaufkraft in Indien viel niedriger. Netze überlastet?

Zahlen wertlos. IMHO
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[1] industrieclub antwortet auf RobbieG
08.07.2020 20:27
Benutzer RobbieG schrieb:
Tach,
iss ja toll.
Schweiz hat bestes Netz. Leute verdienen viel, Lebenshaltungskosten hoch.
Netze in Italien chronisch überlastet Kaufkraft in Indien viel niedriger. Netze überlastet?

Zahlen wertlos....

Naja, das ist wieder mal so ein typischer teltarif-Beitrag der "neueren Art", Typ: Pressemitteilung -- alias: Dünnbrettbohrer ! Was kannst du da erwarten?! Zahlen problematisieren (und in Zusammenhang setzen) wäre ja Arbeit....
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[2] wolfbln antwortet auf RobbieG
09.07.2020 07:19

3x geändert, zuletzt am 09.07.2020 07:37
Benutzer RobbieG schrieb:
Tach,

iss ja toll.
Schweiz hat bestes Netz. Leute verdienen viel, Lebenshaltungskosten hoch.
Netze in Italien chronisch überlastet Kaufkraft in Indien viel niedriger. Netze überlastet?

Zahlen wertlos. IMHO

Die Zahlen sind nicht wertlos. Man müsste sich nur die Arbeit halt mal machen, sie aufzuarbeiten. So einfach, wie Du die Welt siehst, ist sie nämlich nicht. Was die Berechnung sagt, ist ja nicht neu, sondern schon häufiger aufgeführt worden.

Ich habe mir die Excel-Tabelle mal genauer angeschaut:
Deutschland liegt bei den Preisen für mobiles Internet im oberen Mittelfeld mit durchschnittlich 3,74€/GB. Es wird für uns ein Spektrum von 1,25-11,58 €/GB in 60 Tarifen angegeben. Das halte ich für ziemlich realistisch. Sicher kann man darüber streiten, welche Tarife sie dafür genommen haben.

Der Preissieger in Europa ist Italien mit 0,40€/GB. Auch das kommt hin. Ich finde Vergleiche außerhalb der Region (hier "Western Europe" genannt) immer problematisch, aber innerhalb der EU oder ähnlichen Ländern für durchaus sinnvoll.

Also mobiles Internet kostet in im Durchschnitt in Italien 11% des Preises von Deutschland. Jetzt kommen zunächst die Verfechter des Vergleichs mit allgem. Preis- oder Lohnniveau. Das ist immer etwas schwer, was man in den Warenkorb packt. Benzin ist teurer in Italien, Handwerker oft billiger. Die EU geht von einem etwa gleichen Kostenindex (-1,8%) in Italien wie in Deutschland aus. Schauen wir auf das Lohnniveau. Das ist Italien deutlich niedriger: etwa 72% des deutschen. Da sieht man, dass das immer noch nicht hinkommt: Internetpreise: 11%, allgem. Kostenindex: 98% und Lohnniveau 72% im Vergl. zu uns.

Ja, dann kommt das Argument: Die ital. Netze seien sehr viel schlechter als unsere. Schauen wir mal nach bei OpenSignal, die gleiche Parameter zur Netzmessung nehmen.
Die 4G-Verfügbarkeit lag in Italien zwischen 88,7 und 92,2% im Mai 2020. Vom gleichen Zeitpunkt liegen die Werte bei uns zwischen 80,6 und 90,3%. Deutschland ist also hier schlechter. Die durchschnittliche DL-Geschwindigkeit lag bei uns zwischen 23,6 und 38,6 Mbit/s, in Italien zwischen 21,6 und 25,4 Mbit/s - also etwas niedriger bei denen im Spitzenbereich, aber nicht besonders gravierend, was nicht gerade auf eine totale Verstopfung des Netzes schließen lässt.

Nun ist Italien auch etwas ein Ausreißer. Auf #18 kommt Polen, #29 und #30 Dänemark und Frankreich mit 0,81 €/GB. Auf #43 kommt Österreich mit 1,08 €/GB, was in Netztests stets besser als Deutschland abschneidet. Wer es bei Italien nicht glauben will: dass die Österreicher nur im Durchschnitt 71% weniger als wir bezahlen, kann man nicht mit schlechterer Qualität oder völlig anderen Lebenshaltungskosten erklären.

Es gibt aber auch Ausreißer nach oben: in Griechenland auf #207 werden 12,06€/GB bezahlt, bei etwa 20% niedrigeren Lebenshaltungskosten und etwa der Hälfte der deutschen Einkommen.

Wenn man die Daten gegenüberstellt, wird man herausfinden, dass Preise und Qualität des Netzes oft wenig miteinander zu tun haben (s. Österreich), was ein häufiges Argument der Telekom ist. Auch das Argument des Kosten- oder Lohnniveaus kann nur ein sehr geringes Maß spielen, sonst wären sie nicht in Griechenland viel teurer und in Italien viel billiger. Woran liegt es dann sonst? Im Artikel werden Lizenzen und behördliche Vorgaben genannt. Blöd nur, wenn (pro Einwohner) 4G in Österreich teurer versteigert wurde oder 5G gerade letztes Jahr in Italien teuer als bei uns.

Bei dem Vergleich wird immer eines vergessen: die Marktsituation. Folgende Länder in West- und Mitteleuropa haben Preise, die laut der Studie mind. 50% unter den deutschen liegen: IT, PL, DK, FR, AT, EE, IR, GB, IS, SI, ES, LT. Die Zwergstaaten habe ich hier nicht berücksichtigt. Auffällig ist, dass alle großen Länder (außer AT, IS und die Balten) 4 statt 3 nationale Netze haben.
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[2.1] Kosten für Frequenzen
ossyris antwortet auf wolfbln
09.07.2020 09:38
Der kostenbestimmende Faktor in Deutschland ist weder die Technik, noch die Aufwendungen für den Betrieb, sondern schlichtweg die Steuern. Wenn Netzbetreiber zweistellige Milliardenbeträge für die Nutzung von Frequenzen zahlen müssen, kann man sich sehr leicht ausrechnen, wie sich das auf die Mobilfunkpreise durchschnittlich pro Einwohner auswirken wird. Dazu kommen dann noch die Finanzierungskosten für die Kredite, die die Mobilfunkfirmen aufnehmen müssen, da niemend solche Beträge aus der Portokasse zahlen kann und zum krönenden Abschluss kommt auf alle diese Steuern und Finanzierungskosten zusätzlich die Mehrwertsteuer.

Dass das Versorgungsniveau in Deutschland inzwischen nicht mehr mit Ländern der 3. Welt mithalten kann, ist Kollateralschaden der Steuerpolitik.
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[2.1.1] mirdochegal antwortet auf ossyris
09.07.2020 19:54
Benutzer ossyris schrieb:
Der kostenbestimmende Faktor in Deutschland ist weder die Technik, noch die Aufwendungen für den Betrieb, sondern schlichtweg die Steuern. Wenn Netzbetreiber zweistellige Milliardenbeträge für die Nutzung von Frequenzen zahlen müssen, kann man sich sehr leicht ausrechnen, wie sich das auf die Mobilfunkpreise durchschnittlich pro Einwohner auswirken wird.

Dann haben wir es ja wieder: An den hohen deutschen Mobilfunkkosten sind alle Schuld, nur die Netzbetreiber selbst nicht.
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[2.2] Chris111 antwortet auf wolfbln
09.07.2020 10:25

einmal geändert am 09.07.2020 10:29
Benutzer wolfbln schrieb:
Benutzer RobbieG schrieb:
Tach,

iss ja toll.
Schweiz hat bestes Netz. Leute verdienen viel, Lebenshaltungskosten hoch.
Netze in Italien chronisch überlastet Kaufkraft in Indien viel niedriger. Netze überlastet?

Zahlen wertlos. IMHO

Die Zahlen sind nicht wertlos. Man müsste sich nur die Arbeit halt mal machen, sie aufzuarbeiten.

<lange sehr gute Aufarbeitung und sehr gute Erklärung>

Wolfbin, vielen Dank für diese super Aufarbeitung und diesen sehr tollten Vergleich, der auch Lebenshaltungskosten und Lohnniveau berücksichtigt.

Zudem ist Deutschland zwar bei den GB Preisen noch sehr teuer, jedoch haben wir günstige Startertarife, bei denen für 5-8 Euro schon die Leistung drin ist, die vielen für einen Monat ausreicht. Vergleicht man diese "Billigtarife" mit vergleichbaren Tarifen im Ausland, steht Deutschland da gar nicht so schlecht da.
Z.B. gibt es bei Alditalk für 7,99€ im Monat SMS und Sprachflat inkl. 3 GB. In Italien kostet das beim Billiganbieter Iliad auch 7,99€ im Monat. Nur bekommt man hier gleich 50 GB, von denen vermutlich viele die 50 GB nicht benötigen.
Oder in Frankreich fangen die günstigsten sinnvoll nutzbaren Tarife bei 13 Euro/Monat an. http://mobile.free.fr/ Da sind dann zwar sogar 80 GB inklusive und auch Auslandstelefonie. Aber so billige Flatrates wie Alditalk findet man in Frankreich eigentlich nicht.

Fazit:
*Die Märkte sind sehr unterschiedlich und sehr schwer vergleichbar. Die Unterschiede sind viel größer als z.B. bei anderen Waren wie z.B. Lebensmittel.
*Es wird genommen was geht.
*Es wird vermutlich auch in andere Länder hin quersubventioniert (Telekom, Vodafone, Telefonica sind in vielen Ländern aktiv).
* Es wird in Deutschland sehr viel getan, dass die Kunden zusätzlich zum Mobilfunk auch Festnetz benötigen. Wären 100 GB inklusive, würde der ein oder andere auf das Festnetz verzichten.
Einen wirklichen Grund, warum in anderen Ländern insbesondere die Daten so viel günstiger sind, weiss ich nicht. Und ob es dort (Italien, Österreich, Frankreich) weniger Festnetzanschlüsse als bei uns gibt, würde mich auch sehr interessieren.
Spannendes Thema...
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[2.2.1] wolfbln antwortet auf Chris111
09.07.2020 11:07

einmal geändert am 09.07.2020 11:26
Benutzer Chris111 schrieb:
Benutzer wolfbln schrieb:
Benutzer RobbieG schrieb:


Wolfbin, vielen Dank für diese super Aufarbeitung und diesen sehr tollten Vergleich, der auch Lebenshaltungskosten und Lohnniveau berücksichtigt.

Spannendes Thema...

Danke. Dein Lob hat mich angespornt. Ich habe mal die Daten aus der Excel-Tabelle der Studie genommen für die EU-Länder, GB und die CH. Das lässt sich noch am leichtesten vergleichen zumal es dafür gute ökonomische Daten gibt.

Dann habe ich den Kostenindex für Dienstleistungen und Verbrauchsgüter und die verfügbaren pro-Kopf-Netto-Haushaltseinkommen pro Kopf von 2019 bzw. 2018 nach Eurostat genommen. Die geben Werte über das Preisniveau und Einkommen im Land. Alles dann in eine schöne Tabelle verpackt und gerne für alle vergleichbar.

https://www.dropbox.com/s/9pbpgf7jat4of7x/EU-Preise.pdf

Man sieht, dass das Preisniveau innerhalb der EU erheblich divergiert und wenig mit verfügbaren Einkommen oder allgem. Kostenniveau zu tun hat. Deutschland liegt im oberen Mittelfeld.

Die letzte Spalte muss erklärt werden, denn sie ist eine rein fiktive Rechnung: wieviel GB würde ein Durchschnittsbürger mit seinem verfügbaren Einkommen zum Durchschnittspreis bekommen. Das ist natürlich theoretisch, denn effektiv für sein Einkommen bekommt man i.d.R. eine unbegrenzte Flat. Es soll nur zeigen, dass höhere Einkommen oder billigere Lebenshaltungskosten der Nachteil hoher GB-Preise in der EU nicht ausgleichen können.

Viel Spaß mit der Tabelle. Gruß Wolf
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[2.2.1.1] Raisuli antwortet auf wolfbln
09.07.2020 18:06
Benutzer wolfbln schrieb:
Man sieht, dass das Preisniveau innerhalb der EU erheblich divergiert und wenig mit verfügbaren Einkommen oder allgem. Kostenniveau zu tun hat. Deutschland liegt im oberen Mittelfeld.
Ich finde es auch gut, dass du die Arbeit der Redaktion gemacht hast um die Daten noch einmal in die richtigen Relationen zu setzen. Aber es ging eben nicht nur um die EU oder Europa, wo selbst da ein Vergleich gelinde gesagt problematisch ist. Auch ich war beim Lesen des Artikels verärgert, wie hier völlig unreflektiert die Preise von z.B. Israel mit Kirgistan nebeneinader gestellt werden. Denn erst, wenn ich weiß, was 21 Cent für einen Kirgisen bedeuten, kann ich das richtig zu den hiesigen Mobilfunkpreisen in Relation setzen. Und dann ist das kirgisische GB vielleicht gar nicht mehr so billig.