Editorial: Affentheater um Assange
Julian Assange
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Der Fall um
Wikileaks-Gründer und -Chef
Julian Assange wird immer mehr
zur Posse: Da sind die USA, die aus zwar nachvollziehbaren Gründen
(Mitwirkung an Geheimnisverrat) Assange zum Staatsfeind erklären,
sich aber zugleich weigern, ein rechtsstaatliches Verfahren gegen
ihn zu eröffnen. Da sind die Engländer, die
alle diplomatischen Regeln vergessen
und damit drohen, eine Botschaft zu stürmen. Da sind die Schweden, die Assange
wegen eines grenzwertigen Sexualdelikts (einvernehmlicher Sex, der aber
nicht einvernehmlich ohne Kondom durchgeführt wurde) unbedingt befragen
wollen, es aber
offensichtlich bis heute nicht in England probiert haben, obwohl er
dort seit langer Zeit festsitzt. Und da sind abermals die Schweden, die es
nach Angaben Ecuadors ablehnen, zuzusichern, dass Assange nicht an die
USA ausgeliefert wird, woraufhin Ecuador politisches Asyl gewährt.
Julian Assange
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Und da ist Assange, der die Bedeutung seiner "Enthüllungsplattform"
Wikileaks im Verhältnis zu den Massenmedien, Facebook, Twitter, Google
und Co. massiv übertreibt, der weder seinen wichtigsten
Informanten noch dessen
Informationen nach seinen Prinzipien schützen
konnte, der erst über seinen
Anwalt einen Termin für das Verhör in Schweden anberaumt und
währenddessen flieht, der in Verhältnis zu seinem Vermögen und dem Fall
übermäßige Gelder für seine Anwälte ausgibt, und der
- sorry, aber auch das muss gesagt werden - noch nicht einmal Mann
genug ist, sich beim Sex einen Gummi überzustreifen, wenn seine
Anhängerinnen das wollen, oder zumindest nach ungeschütztem Sex auf
deren Wunsch einzugehen, sich auf sexuell übertragbare Krankheiten
testen zu lassen: Der Mann, der von den Mächtigen dieser Welt (zu
denen er längst selber gehört) schonungslose Offenheit verlangt, ist
nicht bereit, über seinen eigenen Gesundheitsstatus Auskunft zu geben.
Am Ende scheint jeder was zu verstecken zu haben, denn jeder verstrickt sich in Widersprüche. Wäre das alles der Plot zu einem Agentenfilm, die Zuschauer würden wahrscheinlich schon nach 10 Minuten schreiend aus dem Kino rennen. Dennoch beschäftigt Assange seit Jahren die Weltöffentlichkeit. Viele Nachrichten-Zuschauer und -Leser hoffen wohl, dass sich die Sache, wie bei einem Thriller, am Ende doch noch auflöst, dass es eine ungeahnte Wendung gibt, die das Verhalten der zahlreichen Akteure plötzlich logisch werden lässt. Oder die Leser und Zuschauer haben Sympathien entwickelt, für Assange und Wikileaks, für die Weltmacht USA oder für die schwedischen Frauen, und sind folglich emotional mit der Geschichte verbunden und verlangen nach Updates.
Einer muss sich bewegen
Dabei gäbe es zahlreiche Möglichkeiten, den gordischen Knoten zu zerschlagen. Assange könnte beispielsweise ankündigen, sich dem schwedischen Sexualdeliktverfahren stellen zu wollen, und Datum und Uhrzeit benennen, zu denen er bereit ist, ein schwedisches Ermittlerteam (oder ein englisches Ermittlerteam in Amtshilfe) in der ecuadorianischen Botschaft zu empfangen. Kommt dann niemand, muss sich Schweden echt fragen lassen, warum sie das Verfahren nicht weiter treiben, zugleich aber den Haftbefehl aufrecht erhalten.
Genauso könnte Schweden offiziell erklären, nur das Strafverfahren betreiben zu wollen, und einem Auslieferungsantrag der USA auf keinen Fall entsprechen zu werden. Ebenso haben es die USA in der Hand, offiziell auf einen Auslieferungsantrag zu verzichten.
Schließlich könnte England Assange einfach Richtung Ecuador ziehen lassen. Wenn die USA wirklich seiner habhaft werden wollten, dürfte das per geheimer Kommandoaktion in Ecuador (ähnlich der, mit der Bin Laden in Pakistan liquidiert wurde) sogar einfacher sein, als per öffentlichem Auslieferungsantrag an England oder Schweden. Letzterem muss nämlich noch ein Richter zustimmen, und da dürfte aus europäischer Sicht die US-Beweislage gegen Assange recht dünn sein. Denn nicht er hat ja die US-Depeschen kopiert, sondern sein Informant. Wäre Assange der Beihilfe zum Verrat verdächtig, würde das zudem gleichzeitig für die zahlreichen Medien gelten, die ausführlich aus den US-Depeschen zitiert haben. Warum sollte aber Assange in einem EU-Auslieferungsverfahren schlechter gestellt werden als EU-Journalisten? Das wissen auch die USA, und das könnte der Grund sein, dass es bisher zwar verdeckte Ermittlungen gegen Assange gibt, aber keinen offiziellen Auslieferungsantrag.
Klar wäre es für London auch ein Grund, Assange nicht nach Ecuador ziehen zu lassen, wenn sie dort um seine Sicherheit fürchten müssten. Doch sollten sie das dann auch zumindest ihm selber so sagen und nicht mit viel Gebrüll am aktuellen Status Quo zu rütteln. Oder ist letzteres nur vorgespieltes Theater, um den USA und/oder Schweden Aktionismus vorzugaukeln?
Meldungen der letzten Stunden deuten tatsächlich an, dass Assange bereit ist sich dem schwedischen Verfahren zu stellen. Fortsetzung folgt, in den Massenmedien dieser Welt.