"Gigabitstrategie": BREKO und VATM üben Kritik
Derzeit ist die Bundesregierung dabei, ihre Digitalisierungsziele in einer "Gigabitstrategie" festzuzurren. Der Entwurf soll am nächsten Donnerstag im Kabinett verabschiedet werden. Schon jetzt melden sich die Interessenverbände zu Wort, deren Kritik von einer deutlich spürbaren "Angst" geprägt ist.
Modernes Land mit Glasfaser
Wirft man einen Blick in den Entwurf (er liegt teltarif.de vor), so ist auf den ersten Blick nichts Verwerfliches zu entdecken. Das "übergeordnete Ziel der Bundesregierung für ein modernes Deutschland ist die flächendeckende Versorgung mit Glasfaseranschlüssen bis ins Haus und dem neuesten Mobilfunkstandard, überall dort, wo Menschen leben, arbeiten und unterwegs sind – auch in ländlichen Gebieten" kann jeder unterschreiben.
Dass diese Ziele bis 2030 erreicht werden sollen, ist auch seit längerem bekannt. Die deutschen Ziele gingen über europäische Zielvorgaben hinaus, schreibt das Ministerium, man sehe bis 2030 unter anderem Gigabitanschlüsse für alle Haushalte und 5G für alle besiedelten Gebiete vor.
Konkret solle in einem ersten Schritt bis Ende 2025 die Versorgung mit Glasfaseranschlüssen auf 50 Prozent erhöht werden, was im Vergleich zu Mitte 2021 einer Verdreifachung bzw. einem Zuwachs von rund 15 Millionen Anschlüssen entspräche.
Was, wenn der Eigentümer nicht will?
BREKO und VATM kritisieren die Gigabitstrategie der Bundesregierung
Foto: Telekom, Logos: Anbieter, Montage: teltarif.de
Doch die Tücken liegen im Detail. Eine Versorgung mit Glasfaseranschlüssen über die Grundstücksgrenzen bis ins Haus kann nur unter Berücksichtigung der Eigentumsrechte, z.B. von Gebäudeeigentümern und der Wohnungswirtschaft, erfolgen. Das ist dann "blöd", wenn Mieter eines Gebäudes unbedingt Glasfaser wollen, der Eigentümer aber davor zurückschreckt, weil er unplanbare Kosten oder Schäden an seinem Eigentum befürchtet oder schlicht "keine Lust" hat. Kann man die "Verpflichtung des Eigentums" hier durchsetzen?
Ziele für Mobilfunk
Auch die Ziele für den Mobilfunk sind klar: "Möglichst bis 2025 unterbrechungsfreie drahtlose Sprach- und Datendienste für alle Endnutzer erreichen und dabei insbesondere die breitbandige Versorgung und die nutzbare Dienstequalität in ländlichen Räumen vorantreiben. Mindestens entlang von Bundesfernstraßen und auch im nachgeordneten Straßennetz sowie an allen Schienen- und Wasserwegen wollen wir einen durchgehenden, unterbrechungsfreien Zugang für alle Endnutzer zu Sprach- und breitbandigen Datendiensten des öffentlichen Mobilfunks gewährleisten", heißt es im Papier.
Kritik von BREKO und VATM
Die Verbände BREKO (Bundesverband Breitbandkommunikation) und VATM (Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten) haben nun eine gemeinsame Stellungnahme verfasst. Sie halten die im Entwurf der Gigabitstrategie beschriebenen Maßnahmen "trotz einiger positiver Ansätze insgesamt nicht ausreichend", um die sehr ambitionierten Ausbauziele der Bundesregierung zu erreichen.
Sie begründen das wie folgt: "Wichtige Ansätze zur Ausbaubeschleunigung, wie die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren oder der verstärkte Einsatz moderner Verlegemethoden, liegen in der Umsetzungskompetenz von Ländern und Kommunen." Das bedeutet, jedes Land, jede Gemeinde kann das auf eigene Weise machen. Das bedeutet Verzögerungen, Unsicherheiten, was in einem Bundesland oder Stadt möglich ist, geht anderswo nicht oder ganz anders. Bis das geklärt ist, vergeht Zeit.
"Dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr ist es nicht gelungen, ein Förderkonzept zu entwickeln, das eigenwirtschaftlichen und geförderten Ausbau sinnvoll miteinander verzahnt, um einer Verdrängung der geplanten privaten Investitionen von mehr als 50 Mrd. Euro in den nächsten Jahren vorzubeugen."
Konkreter: "Im Kompromiss zwischen Bund und Ländern zum neuen Förderkonzept wird es keine verbindliche Priorisierung der Förderung auf Gebiete ohne eigenwirtschaftliches Ausbaupotenzial geben." Es sei nur eine nachträgliche Überprüfung vorgesehen. Dann ist das Kind aber schon in den Brunnen gefallen.
Maximal 100.000 Adressen?
Die Kriterien, wann „ein gebotenes Maß der Förderung“ überschritten ist, seien nicht Teil der Gigabitstrategie, sondern sollen erst noch später festgelegt werden. Vor dem Start des neuen Förderprogramms müssten „rote Linien“ definiert werden, wie eine maximale Zahl von 100.000 förderfähigen Adressen, die pro Monat bundesweit in Markterkundungsverfahren gebracht werden dürfen.
Man begrüße, dass das Ministerium mit allen Akteuren im Gespräch bleiben wolle. Dazu sei ein gemeinsames Austauschformat von Bund, Ländern, Kommunen und Telekommunikationsbranche notwendig, um gemeinsam für "bestmögliche Ausbaubedingungen" zu sorgen.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Die digitale Welt ist in Aufruhr. Alle wollen Glasfaser und zwar jetzt gleich, überall und sofort. Private Unternehmen wollen "eigenwirtschaftlich" bauen, dort wo sie es für rentabel halten. Da inzwischen rund 50 Milliarden private Mittel bereitstehen, kann das auch "tief in der Provinz" der Fall sein, solange die Häuser nicht zu "weitab vom Schuss" liegen sollten. Ergo ergibt sich wieder ein Flickenteppich beim Ausbau.
Beim staatlich geförderten Ausbau muss erst mühsam geprüft werden, was schon da ist und wie schnell das ist. Dann muss geschaut werden, ob jemand "eigenwirtschaftlich" oder "gefördert" bauen kann oder will. Dann kann es passieren, dass in einer Straße langsame Anschlüsse beschleunigt werden, aber mittelschnelle, die nur knapp über der "Aufgreifschwelle" liegen, nicht angeschlossen werden dürfen, weil sonst die Förderung gefährdet wäre, selbst wenn die betroffenen Haushalte das aus eigener Tasche gerne bezahlen würden. Das sorgt für Frust.
Der Minister hat wohl nicht den Mut, einen radikalen Cut zu machen, den bundesweiten Komplettausbau (von der Küste bis zum letzten Bergbauernhof) in Parzellen auszuschreiben. Durch die Bildung von Parzellen würde das Ungleichgewicht zwischen lukrativen Ballungszentren und einsamen Regionen ausgeglichen: Wer in der Stadt bauen will, muss auch auf dem Land bauen.
Dann müssten die Aufträge vergeben werden, mit glasklaren Zeitvorgaben. Wer nicht (pünktlich) baut, bekommt den Auftrag entzogen und muss mit drakonischen Strafen rechnen. So würde vermieden, dass Konkurrenten ausgebremst werden, wo findige Unternehmen schon Verteiler gebucht, aber seit langem nichts ausgebaut haben, wie es beispielsweise in Hessen passiert ist.
Stattdessen gibt es immer mehr Orte, wo zwei oder drei Firmen parallel ausbauen (wollen), weil sie sich über Open Access nicht einigen können und andere Orte, wo weiter gar nichts passiert. Das ist frustrierend.
Die kleinen teilweise mittelständischen Unternehmen, welche den Glasfaserausbau für sich entdecken, befürchten, dass ihre Projekte durch Förderungsverfahren blockiert und verzögert werden oder dass sie die Riesennachfrage "Jetzt gleich sofort" nicht bedienen können. Sie wünschen sich mehr Zeit und Ruhe, um ihre Aufträge abarbeiten zu können. Diese Zeit und Ruhe wird ihnen aber keiner geben.
In einer weiteren News geht es um: Ministerium: Holzmasten der Telekom für Glasfaser-Ausbau.