verhärtet

Editorial: Der Patent-K(r)ampf

Die juristischen Folgen der Umwälzungen im Handy-Markt
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Ähnlich hart sind die Fronten auch zwischen Oracle und Google. Und das, obwohl es sich bei beiden um IT-Unternehmen handelt, die den größten Teil ihres Geldes mit Datenbanken verdienen. Doch im Detail könnten sich die Geschäftsmodelle kaum stärker unterscheiden: Oracle verkauft Datenbank-Technologie, insbesondere Datenbank-Software und -Hardware, während Google die Suchmaschinen-Datenbank selber betreibt und sogar die Suchergebnisse umsonst bereitstellt. Zahlen muss hingegen der Werbekunde, der an prominenter Stelle zusätzlich eingeblendet werden will.

Der Google-Philosophie, sich nicht von Drittanbietern abhängig zu machen, ist geschuldet, dass sie auch für ihr mobiles Betriebssystem Android kurzerhand eine eigene Version der Programmiersprache Java entwickelten, statt diese damals noch von Sun zu lizensieren.

Nachdem Oracle Sun für viel Geld übernommen hatte, machten diese sich gleich daran, die gekauften Rechte anzumelden und vor Gericht durchzusetzen, wohl in der Hoffnung, damit mehr Geld zu verdienen, als man bezahlt hat. Dort, wo offensichtlich kein Geld zu holen ist, wie bei der Open-Source-Bürosoftware Open Office, wird ein Projekt von Oracle auch kurzerhand eingestellt. Bezüglich Java steht uns hingegen ein jahrelanger Schlagabtausch vor Gericht bevor.

Unmögliche Bewertung

Dabei ist das Hauptproblem solcher Patent-Prozesse vor Gericht, dass es so gut wie unmöglich ist, einen realistischen und angemessenen Wert für ein Patent zu ermitteln. Es wäre beispielsweise hochgradig ungerecht, nur die Entwicklungskosten als Wert eines Patents anzusetzen, denn ein Entwickler ist ja immer dem Risiko ausgesetzt, etwas zu probieren und am Ende ohne Patent dazustehen: Vielleicht klappt es nicht, oder ein Konkurrent war schneller und hat seinen Antrag auf Patentschutz ein paar Tage früher eingereicht. Und selbst, wenn ein Patent erteilt wird, gibt es das wirtschaftliche Risiko, dass man etwas entwickelt hat, was keinen Erfolg am Markt hat.

Folglich sind erfolgreiche Patente mit dem Vielfachen der Entwicklungskosten zu bewerten. Aber welcher Risikofaktor ist angemessen? 5, 50, 500 oder 5000? Und was gilt, wenn die Entwicklungskosten auch deswegen so niedrig waren, weil die Entwickler in der Hoffnung auf spätere Gewinne bzw. Tantieme auf ein üppiges Gehalt verzichtet haben? Oder wenn sich mit geringem Aufwand eine Alternativ-Technologie entwickeln lässt? Sind die Patentzahlungen dann in der Höhe der Alternativkosten gedeckelt?

Die Berechnung der Patient-Tantieme als Umsatzanteil der mit Hilfe des Patents hergestellten Produkte ist ebenso fraglich. Denn wie will man den Anteil eines einzelnen Patents am Gelingen des Gesamtprodukts ermitteln? Zumal in der Elektronik-Industrie, wo ein Produkt oft tausende Patente berührt, von der Hardware (z.B. Halbleiter-, Batterien- und Display-Technologie) über die Betriebssoftware (z.B. Kodierungsverfahren auf den diversen Schnittstellen) bis hin zur Benutzungsoberfläche (z.B. Single- und Multitouch-Gesten)? Alle Patente über einen Kamm zu scheren und pauschal den Handelsabgabepreis minus notwendiger Kosten (Montage, Rohmaterial, Energie etc.) und minus angemessener Handelsspanne einfach durch die Zahl der verwendeten Patente zu teilen, ergibt für wichtige Patente viel zu geringe Tantieme und für vergleichsweise einfache wie das oben beschriebene Notrufaufbauverfahren viel zu hohe.

Risiko-Kosten für die Verbraucher

Am Ende zahlt der Verbraucher für den Irrsinn des Patent-K(r)ampfs: Die Unternehmen müssen in die Preise ihrer Produkte hohe Rückstellungen für mögliche Patentforderungen einkalkulieren, die am Ende der Kunde zahlt. Schlimmstenfalls trauen sich neue Hersteller sogar gar nicht in als besonders patentverseucht geltende Märkte hinein. Weniger Konkurrenz bedeutet oft aber auch höhere Preise.

Die Alternative, Patente radikal abzuschaffen, kann aber zumindest in der IT-Industrie ebenfalls nicht die Lösung sein. Denn oft genug ordnen Patent-Inhaber den Markt, indem sie günstige Lizenzen für die standardkonforme Nutzung eines Patents vergeben, für inkompatible Alternativprodukte aber einen Aufpreis verlangen oder komplett die Lizensierung verweigern. So wird verhindert, dass das Rad tausendfach neu erfunden wird. Zueinander inkompatible Systeme mit gleichem Zweck und (fast) gleichen Parametern, wie man sie anfangs jeweils bei den Heimvideosystemen (VHS, Betamax und Video 2000) oder bei den Speicherkarten (Compact Flash, SD, MMC, Memory Stick, xD) erleben konnte, nutzen nämlich keinem Verbraucher.

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