Hollywood setzt voll auf Streaming: Sargnagel für Kinos?
Zweifellos war 2020 kein gutes Jahr für alle Kinos. Die Corona-Pandemie macht weder vor kleinen Lichtspielhäusern noch großen Multiplexketten halt. Selbst die weltweit größte Kinokette AMC Theatres ist in so herber finanzieller Bedrängnis, dass sogar ein Verkauf an Amazon im Raum stand.
Doch die Hiobsbotschaften reißen nicht ab: So hatte Universal Pictures vor einiger Zeit bereits angekündigt, seine Blockbuster zuerst auf dem eigenen Streaming-Dienst "Peacock" zu veröffentlichen, aus Protest verbannte AMC Theatres-CEO Adam Aron kurzerhand alle Universal-Filme aus den eigenen Kinos, zu denen auch die in Deutschland tätige Multiplexkette UCI gehört. Zwar einigte man sich später, womöglich kommt es ab 2021 aber noch dicker: So kündigte Warner Bros. an, alle Blockbuster zuerst im Streaming zu veröffentlichen. Gleichzeitig hatte WarnerMedia auch die Expansion seines Streamers HBO Max nach Europa präsentiert.
Auch Netflix bekommt Probleme
Daffy Duck begrüßt Besucher vor den Warner Bros. Studios im kalifornischen Burbank
Foto: Andrea David
Wenig erfreut dürften auch Manager bei Netflix in Los Gatos auf die Meldung von Warner reagiert haben. Wenn künftig alle Kino-Blockbuster sofort zum Start bei HBO Max laufen, dürfte sich dies sehr negativ auf die Abonnentenzahlen des bisherigen Branchenprimus entwickeln. Bekanntermaßen verfügt Netflix nämlich nicht über ein renommiertes Produktionsstudio, welches Kinofilme ebenfalls sofort nach dem Start per Streaming veröffentlichen kann. Gleiches gilt auch für Amazon, obwohl Letztere mittlerweile zumindest mit Amazon Studios über eine hochkarätige Serienschmiede verfügen.
Umso mehr steht man bei Netflix nun unter Druck, entweder ein eigenes Hollywood-Studio zu gründen oder sich in irgendeiner Form an einem Studio zu beteiligen bzw. ein solches zu übernehmen. Doch welches käme in diesem Zusammenhang überhaupt in Frage? Möglicherweise die ehemalige Produktionsfirma Miramax des gefallenen Filmmoguls Harvey Weinstein, welche heute Teil der beIN Media Group in Katar ist. Sicherlich gäbe es auch noch andere Möglichkeiten, in jedem Falle könnte Netflix sich aber nur bei einem weitgehend unabhängigen Studio beteiligen.
Sky ohne Zukunft mit Warner
Ganz großer Verlierer der neuen Warner-Strategie wird auf jeden Fall auch Sky Deutschland sein. Der Pay TV-Sender aus Unterföhring verliert ebenfalls nicht nur sein exklusives Zugferd (HBO-Serien), sondern wird auch zahlreiche Filme nicht mehr in Erstausstrahlung z.B. im Pay per View anbieten können. Das wirkt umso schwerer, da Sky in der Vergangenheit schon bei Sportrechten erheblich Federn an DAZN lassen musste und auch der Start von Disney+ den Wettbewerb weiter ankurbelte.
Die Situation ab 2021 ist aber nochmal ein ganz anderes Kaliber. Wenn HBO Max in Deutschland startet (und es geht hier nicht mehr um die Frage ob, sondern nur wann), wird der Wettbewerb sich in einer Dimension verschärfen, die vorher kaum vorstellbar war. Der Streaming-Dienst von Warner macht nicht nur Netflix, Amazon und Sky Konkurrenz. Er ist eine Kampfansage an das Geschäftsmodell der Kinos, welches sich über Jahrzehnte mit einer klaren Verwertungskette und Premium-Blockbustern positionierte. Welche Auswirkungen dies konkret haben wird, kann man frühestens im Laufe des Jahres 2021 prognostizieren.
Eine Einschätzung (von Björn König)
Viele Filme werden in Zukunft mindestens zeitgleich im Kino und auf Streaming-Plattformen erscheinen. Bei nicht wenigen Blockbustern großer US-Studios verlieren die Kinos vermutlich ihre lukrativen Erstverwertungsrechte. Was bedeutet dies nun konkret? Nun, definitiv müssen sich die Lichtspielhäuser dem Wettbewerb stellen, wenn sie überleben wollen. Das Kinoerlebnis (Tickets, Popcorn und Cola) dürfte also mindestens günstiger werden. Viele kleinere Kinos können diese Entwicklung schon aus rein strukturellen und ökonomischen Gründen nicht überleben.
Große Multiplexketten wie AMC Theatres haben eine andere Verhandlungsposition gegenüber den US-Studios und werden für sich wohl eine praktikable Lösung finden. Wenn alle Stricke reißen, bleibt wenigstens noch die Option unter das Dach eines großen IT-Konzerns wie Amazon oder Google zu schlüpfen. Man kann sicher davon ausgehen, dass Amazon weiterhin Interesse am Kinogeschäft hat, schließlich ist es eine perfekte Ergänzung zu Amazon Studios und dem eigenen Streaming-Geschäft. Allerdings: Das letzte Wort ist beim Thema Erstverwertung noch nicht gesprochen, zumindest das Produktionsstudio Legendary Pictures hat bereits eine Klage gegen die Streaming-Pläne von Warner angekündigt.
In einem früheren Artikel diskutierten wir, ob Kinofilme bald dauerhaft exklusiv im Streaming erscheinen.