Editorial: Mehr Verbraucherschutz - aber erst ab 2024
Kündigungen sollen einfacher werden - aber erst in einigen Jahren
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Viele Verbraucherschützer kritisieren zu Recht, dass der Bundestag
sich nicht gegen die Lobbyisten der Strom- und Telekommunikationsanbieter
durchsetzen konnte und
Verträge mit zwei Jahren Mindestlaufzeit weiterhin
zulässig bleiben. Trotzdem enthält das letzte Woche verabschiedete
"Gesetz für faire Verbraucherverträge" einige kleine Fortschritte. Die
wichtigsten beiden sind, dass die Kündigungsfrist von bisher drei auf
künftig einen Monat verkürzt wird, und dass die bisher zulässigen
automatischen Vertragsverlängerungen um bis zu ein Jahr ersatzlos
entfallen. Zwar bleibt es zulässig, dass ein Vertrag nach
Ablauf der Mindestvertragslaufzeit weiterläuft, aber aus dem Vertrag
mit einer festen Laufzeit wird dann ein
Vertrag mit einer unbestimmten Laufzeit, der sich jederzeit mit einer
Frist von einem Monat kündigen lässt.
Bisher muss man im schlimmsten Fall einen unerwünschten Vertrag fast 15 weitere Monate bezahlen, wenn die Kündigung beim Anbieter einen Tag zu spät eingeht: Die fast drei Monate der ursprünglichen Kündigungsfrist (von der ja erst ein Tag verstrichen ist) und die 12 Monate der Vertragsverlängerung. Künftig verlängert sich der Vertrag hingegen nur noch um einen Tag, wenn die Kündigung einen Tag zu spät erfolgt. Denn laut Gesetz ist nach der Umwandlung in einen Vertrag mit unbestimmter Laufzeit die Kündigung ausdrücklich jederzeit möglich, mit einer Frist von maximal einem Monat. Läuft der 24-Monats-Vertrag also beispielsweise am 8. August aus, und geht die Kündigung erst am 9. Juli ein, dann ist sie natürlich nicht mehr rechtzeitig für die Kündigung des Originalvertrags zum 8. August, aber sehr wohl rechtzeitig für die Kündigung des verlängerten Vertrags (mit nun unbestimmter Laufzeit) zum 9. August.
Leider werden Verbraucher wohl erst ab 2024 von der neuen Kündigungsregel profitieren. Zwar tritt sie zum 1. Januar 2022 in Kraft, gilt aber nur für ab dann neu geschlossene Verträge. Bei zwei Jahren Laufzeit kann man die neue Regelung dann also erstmalig für Kündigungen 2024 verwenden. Wesentliche, zwischen beiden Seiten abgesprochene Vertragsänderungen inklusive der dann zumeist auch vereinbarten ausdrücklichen Vertragsverlängerung gelten diesbezüglich als neuer Vertrag. Automatische Vertragsverlängerungen oder kleinere AGB-Änderungen bewirken hingegen keinen Neuvertrag.
Warum bleiben Altverträge außen vor?
Kündigungen sollen einfacher werden - aber erst in einigen Jahren
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Grundsätzlich wäre natürlich wünschenswert gewesen, die neuen
Kündigungsregeln ab 2022 für alle Verträge anzuwenden. Allerdings
dürften dem erhebliche Zweifel an der Rechtssicherheit entgegenstehen:
Wie viele Verträge zu welchen Terminen gekündigt werden, ist Teil der
Kalkulation aller Anbieter, und die ändert sich natürlich, wenn die
Kündigung einfacher wird. Im Sinne der wirtschaftlichen Freiheit kann
der Gesetzgeber daher keine Gesetze erlassen, die rückwirkend die
Kalkulationsgrundlage von Verträgen ändern. Probiert er es doch,
besteht die Gefahr, dass er vor Gericht krachend scheitert. Ein
Beispiel hierfür ist der Berliner Mietendeckel, der vom
Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde. Die
Umstellung der Kündigungsfrist von 2020 geschlossenen Verträgen
ab 1. Januar 2022 würde sicher ähnlich deutlich scheitern.
Anders wäre es aber m.E. gewesen, wenn der Gesetzgeber eine deutlich längere Übergangsfrist festgesetzt hätte. Wenn die neuen Kündigungsfristen beispielsweise ab Juli 2025 auch für Altverträge gelten würden, wären das ab jetzt, dem Beschluss des Gesetzes, vier Jahre und damit zwei volle Mindestvertragslaufzeiten. Altverträge von vor der Verkündung des Gesetzes wären damit zweifach durch die volle Vertragsverlängerung gelaufen (bei Vertragsschluss am 20. Juni 2021 beispielsweise am 20. Juni 2023 und am 20. Juni 2024), bevor die Neuregelung greift. Bei Anbietern mit hoher Kündigungsrate wäre eine solche Änderung dann schon deswegen nicht gravierend, weil nach drei regulären Kündigungsterminen (zum 20. Juni 2023, 2024 und 2025) eh kaum noch Altkunden im Bestand sind. Bei Anbietern mit niedriger Kündigungsrate wäre die Änderung hingegen deswegen nicht relevant, weil dort ja generell nur wenige Kündigungen eingehen, die entgangenen Gewinne durch die früheren Kündigungen also ebenfalls gering sind. Und wenn ein Anbieter sein Angebot geschickt so aufstellt, dass die Kündigung immer nur dann möglich ist, wenn diese für die Kunden ungünstig ist, dann bringt die gesetzliche Änderung zwar Nachteile für diesen Anbieter - betrifft dann aber wiederum ein Geschäftsmodell, das nicht schützenswert ist, schon gar nicht auf Dauer.
Um eine solche Umstellung aller Verträge ab Mitte 2025 gerichtsfest zu machen, müsste sie der Gesetzgeber also sauber begründen. Gründe dafür gibt es genug. Denn die aktuelle Regelung birgt die Gefahr, dass viele Bürger sie nicht verstehen, wenn Neuverträge nach Ablauf der Mindestvertragslaufzeit jederzeit, Altverträge hingegen weiterhin nur zu bestimmten Zeitpunkten gekündigt werden können. Wenn Kunden das verwechseln, entstehen im schlimmsten Fall die bereits genannten fast 15 Monate Wartezeit auf das Wirksamwerden der Kündigung. Zudem werden Anbieter kreative Vertragsgestaltungen versu chen, um die Neuregelung zu umgehen. Ein am 04.01.2022 geschlossener Vertrag wird dann auf den 24.12.2021 rückdatiert: "So kommen Sie noch in den Genuss unserer Weihnachtsaktion, und auch der Vertrag endet früher". Oder eine Vertragsverlängerung von Mitte 2022 wird dann mit "Es gelten weiterhin die alten AGB vom ursprünglichen Vertragsschluss vom 01.07.2020" vereinbart. Im Interesse der Rechtssicherheit für die Verbraucher wäre daher eine Umstellung aller Verträge zu einem bestimmten Stichtag nötig gewesen. Dieser Stichtag kann wegen der Rechtssicherheit für die Anbieter nicht vor dem Ablauf der regulären Laufzeit bestehender Verträge liegen. Nach zwei stillschweigenden Vertragsverlängerungen - die auch der Anbieter für eine Änderungskündigung samt Anpassung des Entgelts an die gemäß der neuen Kündigungsregelung nötigen neuen Preise hätte nutzen können - wiegt dann aber m.E. das Interesse der Verbraucher an übersichtlichen und einheitlichen Gesetzen höher als das Interesse der Anbieter an der Dauerverlängerung von uralt-Verträgen.
Elektronische Kündigungen kommen etwas schneller
Nicht ganz so lange - nämlich "nur" ein Jahr bis Juli 2022 - müssen die Verbraucher auf eine weitere positive Änderung des neuen Gesetzes warten: Ab dann müssen Anbieter, die den Vertragsabschluss auf ihrer Website anbieten, dort auch eine Möglichkeit zur Kündigung vorsehen. Positiv ist, dass auch solche Verträge, die auf anderem Weg oder vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes geschlossen wurden, über das Internet gekündigt werden können - es muss sich lediglich um einen Vertrag handeln, der auch online vertrieben wird. Die ewige Suche nach der richtigen Kündigungsadresse und das nervige Ausdrucken und Absenden des Kündigungsschreibens entfallen also künftig.
Halbwegs gerettet
Im Vergleich zu dem Chaos, welches zwischenzeitlich geplant war, und das Zweijahresverträge und Einjahresverlängerungen unter komplizierten Bedingungen durch die Hintertür ermöglicht hätte, ist die nun verabschiedete Fassung des Gesetzes definitiv ein großer Fortschritt. Sogar gegenüber der Originalversion des Gesetzentwurfs, der ein Jahr Laufzeit, drei Monate Vertragsverlängerung und einen Monat Kündigungsfrist vorgesehen hatte, wurde ein Fortschritt erzielt: Die drei Monate Vertragsverlängerung sind ebenfalls gestrichen. Nach Ablauf der Mindestvertragslaufzeit kann man zu jedem Termin kündigen, zu dem man kündigen will. Man muss nur die Kündigungsfrist von einem Monat einhalten.
Geblieben ist leider die Mindestvertragslaufzeit von zwei Jahren. Diese ist in vielen Fällen wenig sachgemäß: Wenn man einen Mobilfunkvertrag ohne Smartphone abschließt, dann benötigt der Anbieter keine zwei Jahre, um die Vertragsabschlusskosten wieder zu erwirtschaften. Wird hingegen tatsächlich ein neuer Festnetzanschluss geschaltet oder mit dem Vertrag ein stark subventioniertes Smartphone geliefert, dann ist es für Verbraucher möglicherweise sogar vorteilhaft, wenn die anfallenden Einmalkosten auf eine zweijährige statt auf eine nur einjährige Mindestvertragslaufzeit verteilt werden, weil dadurch die faktischen monatlichen Rückzahlungen, die in den Grundpreis eingerechnet werden, entsprechend niedriger ausfallen.
Ich war noch nie ein Freund der Handysubventionen und finde die grundsätzliche Trennung von Mobilfunkvertrag und Smartphonekauf besser. Leider ist die Kopplung von Handykauf und Handyvertrag samt Handysubvention aber Realität. Eine einjährige Laufzeit hätte entsprechend ein Ansteigen des Elektroschrott-Volumens zur Folge, weil mehr Handys nach nur einem Jahr getauscht werden würden. Das ist zumindest ein Argument, bei der zweijährigen Laufzeit zu bleiben. Durch die freie Kündigung danach wurde immerhin ein erheblicher Fortschritt für die Verbraucher erzielt.
Durchschnittspreise müssen nicht benannt werden
Ein Vorschlag der FDP-Fraktion, künftig in der Werbung auch die Durchschnittspreise während der Mindestvertragslaufzeit nennen zu müssen, wurde leider abgelehnt: Die Regierungskoalition stimmte geschlossen dagegen, Grüne, AfD und die Linksfraktion enthielten sich der Stimme, sodass nur die FDP für ihren eigenen Vorschlag votierte. Dabei wäre dieser ein probates Mittel gegen die Unsitte gewesen, plakativ mit "9,99 Euro monatlich" zu werben, wenn der Preis wenige Monate später auf 49,99 Euro monatlich steigt.