Vodafone will Trennung von Partner-Shop - wegen "Abzocke"?
Wir haben immer wieder über merkwürdige Vorgänge in sogenannten Vodafone-Partnershops berichtet. Diese Partner-Shops sehen aus wie Vodafone-Shops und sind von außen kaum voneinander zu unterscheiden. Die Partneragenturen haben einen Exklusiv-Vertrag mit Vodafone, was bedeutet, sie dürfen nur Verträge und Produkte von Vodafone verkaufen.
Markt gesättigt: Schwierig für den Handel
Ein ausführlicher Bericht der Wirtschaftswoche hat wohl Konsequenzen: Vodafone will sich vom Handelspartner Compramos trennen.
Foto: Vodafone, Logos: Anbieter, Montage: teltarif.de
Da aber in Deutschland laut Statista.de schon über 140 Millionen SIM-Karten geschaltet sind, kann man davon ausgehen, dass jeder Mensch (vom Baby bis zum Greis) bereits über (mindestens) eine SIM-Karte verfügt. Die Partnershops oder Partneragenturen leben nur von Provisionen für vermittelte Verträge oder verkaufte Produkte. Eine freundliche Beratung wird von Vodafone offenbar nicht vergütet. Erst wenn der Kunde etwas unterschreibt oder bestellt, können Provisionen fließen. Der Partner muss damit Strom, Miete, Geräte, Versicherungen und die Gehälter seiner Mitarbeiter finanzieren.
Hinweise auf Betrügereien
Schon seit längerem wurde Vodafone von einem ehemaligen Shop-Betreiber auf merkwürdige Dinge im Vertriebsablauf detailliert hingewiesen. Anfangs hatte Vodafone an der Geschichte wohl auch Interesse, der ehemalige Shop-Mitarbeiter, Inan Koc, traf leitende Mitarbeiter der Vodafone-Konzernsicherheit. Möglicherweise waren die Ausmaße der "Schummeleien" wohl zu massiv oder uninteressant. Vermutlich fürchtete Vodafone schlicht noch stärkere Einbrüche bei Neu- oder Bestandskunden. Diese Zahlen sehen seit längerem nicht gut aus.
Konkrete Hinweise seit Herbst 2020?
Etwa seit Herbst 2020 gab es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten beim Vodafone-Vertragspartner Compramos. Dieses Unternehmen mit Sitz in Bonn betreibt unzählige Shops im Großraum Köln/Bonn (in Nordrhein-Westfalen), und war in den Augen von Vodafone sehr erfolgreich. Compramos beschäftigt mehr als 50 Mitarbeiter und bringt Vodafone nach eigenen Angaben alleine 13.000 Vertragsabschlüsse pro Jahr.
Bundesweit gibt es 800 Vodafone-Partneragenturshops, nur 146 Shops werden von Vodafone in eigener Regie betrieben. Selbst für Experten ist kaum zu unterscheiden, welcher Laden wohin gehört. Das Personal tritt generell in Vodafone-Rot und dem Vodafone-Logo auf.
Magazine wie "Der Spiegel" und kürzlich die Wirtschaftswoche hatten schon über ungeklärte Vorgänge berichtet und erläutert, wie das "System" funktioniert, in der Öffentlichkeit außerhalb der TK-Szene war das offenbar vielen nicht bewusst.
Wussten alle Bescheid?
Bei Vodafone müssten die Vorgänge eigentlich bekannt gewesen sein, denn der Adress-Verteiler dieser Hintergrundinfo-E-Mails enthielt regelmäßig ein Who-is-Who des Managements von Vodafone. Dort wollte man offenbar mit dem Whistleblower Koc auf einmal nichts mehr zu tun haben. Es sei, so Koc, für seine umfangreichen Ermittlungsarbeiten wohl ein sechsstelliges Honorar zugesagt worden, an dass sich inzwischen niemand mehr so richtig erinnern kann oder will. Der Begriff "Erpressung" schwebte im Raum. Ein Verfahren wegen der Prüfung eines "Anfangsverdachts" gegen Koc laufe auf Antrag von Vodafone seit zwei Jahren, sei aber noch nicht abgeschlossen, wurde Koc schriftlich mitgeteilt.
Öffentlichkeit stärkt Bewusstsein?
Nachdem die Wirtschaftswoche in einem aktuellen, umfangreichen Bericht erneut die "mutmaßlichen Maschen" offenlegte, ist bei Vodafone offenbar die Einsicht gewachsen, dass hier ein Problem zu lösen ist. Vodafone will demnach dem Unternehmen Compramos kündigen, berichtet die Wirtschaftswoche aktuell.
Erdrückendes Material
Koc verfügt über umfangreiches erdrückendes Material, wie interne E-Mails von Compramos, die er dem Magazin zur Auswertung zur Verfügung stellte. Daraus ergibt sich ein bizarres Bild:
Einmal wurde „erneut Anzeige gegen Mitarbeiter erstattet, mit der Begründung, ‚Hardware nicht erhalten.‘“ oder: „Wir müssen runter mit den Stornos!!!!!! Aktuell liegt unsere Stornoquote bei 60 Prozent in Brühl und 20 Prozent in Hürth.“ oder „Kündigen und dann neu sollten wir in allen Shops reduzieren. Pulheim ist im extrem roten Bereich aufgefallen.“ oder „Verdammt geile Aktionen!!!! Lasst uns ab morgen Vollgas geben.“
Hoher Provisionsdruck
Um maximale Provisionen zu erzielen, werden die Shopmitarbeiter von den Betreibern stark unter Druck gesetzt. Diese entwickelten dann Taktiken, speziell ahnungslose Kunden (Senioren oder Menschen mit geringen deutsche Sprachkenntnissen) mit allerlei "zusätzlichen" Verträgen und Optionen zu beglücken, um die Provisionsziele zu erreichen.
Wen es Reklamationen von Kunden gab, wurden die Shopmitarbeiter genau befragt und die Weisung gegeben, "alles wieder gerade zu drücken". Kunden, die sich an die Presse (beispielsweise an teltarif.de) wandten, wurden danach von einer Spezialabteilung von Vodafone, die offenbar in Essen sitzt, betreut. Diese Abteilung hat weitreichende Befugnisse und kann telefonisch nur erreicht werden, wenn die Rufnummer des Kunden und sein "Fall" im System hinterlegt sind.
Im Fall von zwei Rentnerinnen etwa, die im Shop "überberaten" wurden, ließ sich das Problem im Nachhinein lösen, nachdem sie sich bei teltarif.de gemeldet hatten.
Keine Einzelfälle
teltarif.de kennt Fälle, bei denen in einem Partnershop mehrere Verträge abgeschlossen wurden, um über die erzielbare Provision den Kaufpreis des Wunschhandys auf "einen Euro" zu "drücken" - ein in der Branche übliches Verfahren, das gerne angewendet, aber selten dem Kunden wirklich erklärt oder nach Zustimmung gefragt wird. Wie viele Kunden gar nicht bemerkt haben, dass sie auf einmal zwei, drei oder mehr Verträge mit völlig unbekannten Rufnummern besaßen? Wir wissen es nicht.
Unbekannter Shop bestellt Handy für ahnungslosen Kunden
In einem anderen Fall wurde auf das Konto eines Kunden X ein Handy bestellt und an "Unbekannt" ausgeliefert. Der betroffene Kunde wusste von nix und erfuhr das erst, als er selbst nach Ablauf der zwei Jahre ein neues Handy haben wollte.
Compramos galt als "zuverlässig"
Bei Vodafone galt Compramos als "zuverlässiger Lieferant für Neuabschlüsse von Handyverträgen", fleißig wurden Verträge für Zusatzkarten für Smartwatches, das Internet-TV-Angebot wie "Giga-TV" oder die mobilen "Heimrouter" mit dem Namen "GigaCube" geschaltet, die dort ein stationäres Internet über das Mobilfunknetz bereitstellen, wo keine Festnetzleitung verfügbar ist.
Verträge an Kunden, die gar nicht zahlen können
Koc hat Belege, dass beispielsweise für Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten oder kurz vor einer Insolvenz noch reihenweise hochwertige Verträge geschaltet wurden. Die waren teilweise im ersten Jahr oft grundgebührenfrei und im zweiten Jahr war die Firma möglicherweise schon gar nicht mehr am Leben.
Beliebt sei auch die Schaltung von Verträgen auf Menschen mit Migrationshintergrund gewesen, die erst kurz in Deutschland leben. Die dazu gehörenden Smartphones, Tablets oder Uhren seien mitunter auch "unter der Ladentheke" oder im Internet separat verkauft worden.
Für solche "hochwertigen Deals" bekamen die Vermittler Provision (bis zu ca. 700 Euro pro Vertrag). Diese Provisionen wurde niemals mehr zurückgefordert, selbst wenn irgendwann diese Verträge wegen "Nichtzahlung" ausgebucht werden mussten.
Vodafone schaut genauer hin: 30 Partner und 85 Standorte gekündigt?
Das alles ging an Vodafone nicht ganz spurlos vorüber, man sah zeitweise schon genauer hin. Bereits 2020 hatte Vodafone-Kritiker Inan Koc die Sicherheitsabteilung des Konzerns zum ersten Mal informiert, dass es nicht mit rechten Dingen zuginge.
In tendenziell schwachen Jahreszeiten habe die Firma Compramos auffällig viele Geschäftskundenverträge aktiviert und daneben habe es auffällig viele Deaktivierungen und Vertragsstornos gegeben. Koc kann das anhand der „Adler-Soho-Rennlisten“ belegen.
In den drei Jahren, seitdem Koc die ersten Warnungen verschickt hatte, soll Vodafone 30 Vertriebspartnern mit insgesamt 85 Standorten wegen "Fehlverhaltens" gekündigt haben.
Reklamationen wurden bearbeitet, aber es steht Aussage gegen Aussage
Da gab es 2022 einen E-Mail-Wechsel zwischen Vodafone und dem Compramos-Vertrieb. Thema „Verdacht auf Betrug“. Eine Vodafone-Kundin reklamierte eine Mahnung von Vodafone über drei Rufnummern und zwei Geräte, die sie weder abgeschlossen noch erhalten habe. Die Geräte seien an einen Vodafone-Shop in Brühl (bei Köln) versandt worden, dort abgeholt und auch gleich bar bezahlt worden – mit der Unterschrift „Telesales“.
Peinlich: Die Kundin wohnt in Koblenz und sei noch nie in Brühl gewesen. Compramos weist alle Schuld von sich: "Die Verträge wurden telefonisch im Shop Brühl abgeschlossen, wegen der Corona-Pandemie war der Abschluss ohne Besuch der Filiale und mit Unterschrift durch einen Mitarbeiter zulässig.“
Offenbar war auch Compramos bewusst, dass es Probleme geben könnte. Intern wurde notiert, dass es „viel zu häufig vorkomme, dass einige Shops immer wieder für den Kunden über 'SignoSign' (elektronische Unterschrift) unterschreiben."
Drei iPhones verschwinden im Nichts
Einer anderen Kundin sollen in Brühl im November 2022 ohne ihr Wissen gleich drei Verträge mit kostspieligen iPhones zugebucht worden sein, die unbekannten Täter dachten an alles und fügten auch die passenden teuren Handyversicherungsverträge zu. Erst als die Versicherung sich direkt bei der Kundin meldete, fiel dieser der Vorgang auf.
Eine Aufklärung war nicht möglich: „Weder die Polizei noch die Kundin oder Vodafone können nachvollziehen, woher die Einzelpersonen, die mit krimineller Energie gehandelt haben, die Daten der Betroffenen erlangt haben“, antwortete Vodafone auf die Anfrage der Wirtschaftswoche. Dass die Handys verschwunden sind, sprich längst "irgendwo verkauft" wurden, ist naheliegend.
Besonders krass: Die betroffene Kundin war vor mehr als zehn Jahren wirklich Vodafone-Kundin gewesen. Nach 10 Jahren müssten alte Kundendaten längst offiziell gelöscht worden sein. Koc hat Belege, dass die Partnershops die Kundendaten in einem Schattensystem parken - unabhängig von der Speicherung bei Vodafone -, um später noch darauf zugreifen zu können.
Compramos: Kundin war mit Begleitung im Laden. Wer hat wen betrogen?
Compramos trat die Flucht nach vorne an: Der ehemalige Filialleiter könne sich daran erinnern, dass die Kundin in männlicher Begleitung im Shop erschienen wäre. Möglicherweise sei die Kundin nun im Besitz von drei Handys, die sie gegenüber Vodafone nicht bezahlt habe, oder „sowohl Kundin, Vodafone und Compramos seien Opfer eines Betrugs durch Dritte geworden".
Nicht genug: Kurz darauf wurden von einem nicht zu Compramos gehörenden Vodafone-Shop aus heiterem Himmel 420 Euro in bar auf das Kundenkonto der Kundin eingezahlt. Damit ließ sich erreichen, dass diese Buchungen nicht auffielen, weil das Konto ja ausgeglichen war. Als "Neverpayer" hätte vielleicht irgendjemand Verdacht geschöpft.
Mehr Provision durch Pooling
Wird ein Vertrag abgeschlossen, gibt es Provision. Bucht man nun den Vertrag über einen Shop, der schon viele Verträge hat, sorgen die Zusatzverträge dafür, dass er in eine höhere Provissionstufe rutscht. Wurde der Vertrag "scheinbar" oder wirklich durch einen Außendienstmitarbeiter vermittelt, gibt es noch mehr Provision. Das konnten 100 bis 150 Euro pro Vertrag mehr sein - wertvolles Geld. Die Shopverwaltung bei Compramos gab den Mitarbeitern wohl regelmäßig Tipps und Hinweise.
Für die Endkunden war kaum nachvollziehbar, wer ihren Vertrag abgeschlossen oder bearbeitet hatte. Reklamationen wurden unmöglich ("Ich habe Ihnen nichts verkauft"). Compramos antwortete auf Anfrage der Wirtschaftwwoche kühl, "den Begriff Pooling kannten wir bis dahin nicht." Irgendwann muss das auch Vodafone gedämmert haben, man habe inzwischen die Agentur-Verträge angepasst.
Compramos erhielt "nur" Abmahnungen
Compramos erhielt hingegen "nur" Abmahnungen. Koc vermutet, dass hochrangige Vertriebsmitarbeiter bei Vodafone gute Kontakte zu Compramos hatten oder "jemand zu viel wusste", womit Compramos unter einem "internen Schutzschirm" blieb.
Aufgeschreckt durch Berichte in der Presse, etwa in der Wirtschaftswoche, will Vodafone nun auch der Partneragentur Compramos kündigen: „Angesichts der ersichtlichen Verfehlungen in mehreren Fällen strebt Vodafone eine Trennung von Compramos an und steht hierfür bereits im schriftlichen Austausch“, so das Statement aus Düsseldorf. Man gehe gegen jede Art von Regelverstoß "rigoros" vor. Vodafone betont, sämtlichen Hinweisen zu Compramos nachgegangen zu sein.
Die Infos von Inan Koc seien aber „stückweise, teilweise fehlerhaft und leider nicht vollumfänglich" übermittelt worden. Der nun vorliegende Informationsstand zeige klar, "dass die Compramos im Umgang mit unseren Kunden nicht immer entsprechend unserer Vorgaben und Richtlinien gehandelt hat.“ Koc hatte drei Jahre lang immer wieder konkrete Fälle genannt, die "auffällige Geschäftspraktiken" bei Compramos aufzeigten.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Viele Vorwürfe sind nicht neu. Teilweise täglich wurden und werden teltarif.de und andere Medien mit detaillierten Hinweise von Inan Koc per E-Mail informiert. Das Problem: In vielen Fällen "betrügt" Vodafone alleine sich selbst. In vielen Fällen waren auch Endkunden die Leidtragenden: Nie ausgelieferte Handys, weitere Verträge ohne SIM-Karte, um Zusatzgeräte wie Uhren, Tablets oder Laptops zu finanzieren. Soweit die Fälle uns von den unmittelbar Betroffenen bekannt gemacht wurden, konnten wir (hoffentlich) im Sinne des Kunden weiterhelfen.
Auch bei Vodafone hinterlassen die Vorgänge gemischte Gefühle. Das Unternehmen braucht dringend Neukunden, denn Neukundenverträge (Kürzel "BNT") sind für das Geschäftsergebnis (Quartalszahlen) und die Bewertung von Mitarbeitern (Boni) überlebenswichtig. Ob ein Neuvertrag für eine SIM-Karte in einer Maschine, eine Zweit-/Dritt-Karte zur Finanzierung eines "günstigen" Handys "geschaltet" wird oder ob die Karte wirklich im Alltag genutzt wird, zählt da leider nicht.
Vodafone und die gesamte Branche wäre gut beraten, endlich das klassische Provisionsmodell komplett auf den Prüfstand zu stellen und etwas Neues zu entwickeln, das von der Kundenzufriedenheit gespeist wird und Schummeleien überflüssig macht. Je länger der Kunde dabei ist, desto wertvoller sollte der Kunde sein. Einfach wird das nicht.
Vodafone will die fehlende Netzabdeckung über Amazon-Satelliten erreichen.