Saft abgedreht

First Telecom - die abgeschaltete Rufnummer

Mitte 1998 verlor die Deutsche Telekom die Lust - und zog bei First Telecom den Stecker
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Einer der Höhepunkte im Kampf und Kunden und Marktanteile war 1998 der Streit zwischen der Deutschen Telekom AG und First Telecom. Der Reihe nach die Geschehnisse:

  • Anfang Juni 1998: First Telecom nimmt die neue Einwahlnummer 0800/800 9201 in Betrieb. Zunächst soll diese Nummer nur vom Festnetz aus benutzt werden. Der Vorteil gegenüber der alten Nummer 0130/9201: Die Einwahl ist jetzt bundesweit möglich.

    Tatsächlich konnte die 0800/800 9201 seit Anfang an auch vom Mobilfunktelefon aus benutzt werden. Damit entging man als Kunde dem Mobilfunkzuschlag, wie er für die 0130/7053 galt. Das Problem war wohl, daß man die Mobilfunk-Einwahl für die 0800/800 9201 nicht so ohne weiteres sperren konnte.

  • Anfang Juli 1998: First Telecom gibt bekannt, daß ab sofort auch vom Mobilnetz aus die 0800/800 9201 benutzt werden kann - ohne Zuschlag.
  • 17. Juli 1998, kurz vor 16 Uhr: Die Deutsche Telekom AG schickt ein Telefax an First Telecom. Dort beklagt man nicht vertragsgerechtes Verhalten: In dem Vertrag zwischen Telekom und WorldCom über die 0800-Nummer ist von einem Nutzungsmix 7% Mobil und 93% Festnetz die Rede. Tatsächlich sei aber der Großteil der Gespräche aus dem Mobilnetz gekommen. Wegen dieses eklatanten Mißverhältnisses werde man die Leitungen kurzfristig abstellen.
  • 17. Juli 1998, 16 Uhr: Unter 0800/800 9201 erhält man die Ansage: "Keine Verbindung unter dieser Nummer". Auch die neue Hotline von First Telecom (0800/376 0800) ist tot.
  • Bernhard Pussel, Geschäftsführer von First Telecom, steht auf dem Standpunkt: Der Vertrag zwischen WorldCom und der Telekom zwingt zwar zu Neuverhandlungen bei Bedarf. Eine einfache Abschaltung darf aber nicht erfolgen. Es wird ein Gerichtstermin für eine einstweilige Verfügung anberaumt. Erst heißt es, dieser solle Samstag sein, inzwischen ist von Montag die Rede.
  • 17. Juli 1998, 20 Uhr: First Telecom hat den Handy-Zuschlag für die alte Mobil-Einwahlnummer 0130-7053 vorläufig außer Kraft gesetzt. Für First Telecom ist das zwar ein Verlustgeschäft, aber es ist wenigstens sichergestellt, daß die Kunden zum vertraglich vereinbarten Preis telefonieren können.
  • 21. Juli 1998, 8:30 Uhr: Der Telekom AG wird eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg zugestellt, der zufolge die 0800-Nummer von First Telecom wieder in Betrieb genommen werden muß. Am Nachmittag desselben Tages sind die Einwahlnummer und die Hotline-Nummer wieder in Betrieb.
  • 22. Juli 1998: Die Abrechnung bei der alten Mobil-Einwahlnummer 0130/7053 erfolgt wieder wie gewohnt mit Handy-Zuschlag.
  • 5. August 1998: Das LG Hamburg fällt folgendes Urteil: Die Deutsche Telekom AG muß den 0800-Service für First Telecom noch mindestens vier Wochen weiterbetreiben. In dieser Zeit müssen die Deutsche Telekom, First Telecom und WorldCom zusammen mit der Regulierungsbehörde über ein neues, angemessenes Vergütungskonzept für die Zuführung von Gesprächen aus dem Mobilfunkbereich reden. Bernhard Pussel, Geschäftsführer der First Telecom GmbH, kommentiert die Gerichtsentscheidung folgendermaßen: "Wir freuen uns sehr darüber, daß unser Service auch weiterhin für unsere Kunden aufrecht erhalten bleibt. Heute ist jedoch auch deutlich geworden, und dabei schließen wir uns der Meinung des Landgerichts Hamburg voll an, daß im Mobilfunkbereich nicht nur auf der Seite der Carrier und Reseller neu verhandelt werden muß. Vielmehr betrifft dies auch die Mobilfunknetzbetreiber, deren bisherige Preisstruktur den Realitäten der Liberalisierung angepaßt werden müßte."

    Mit anderen Worten: Die Regulierungsbehörde hat es nicht geschafft, einen Interconnection-Tarif im Mobilfunkbereich festzulegen. Statt der Regulierungsbehörde sind es jetzt die Gerichte, die eine Regulierung erzwingen.

Eine kleine Ergänzung: Die Aktion der Telekom richtet sich wohl nicht direkt gegen First Telecom, sondern in erster Linie gegen den Großkunden-Carrier Worldcom. So ist z.B. auch Alpha Telecom betroffen, die aus anderen Gründen bisher noch nicht auf www.teltarif.de aufgenommen worden sind.

Mittlerweile verkommt die Aktion zur Posse. Alle Beteiligten schicken wütende oder neidische Presseerklärungen durchs Land. Zum Beispiel heißt es in einer Presseerklärung von Alpha Telecom vom Mittwoch:

WorldCom hatte bereits am Dienstag in einem Kompromißangebot an die Telekom darum gebeten, die Zugangsnummern von Alpha Telecom wieder freizuschalten. Im Gegenzug sei man dazu bereit, im Falle einer tatsächlichen Vertragsverletzung alle durch Alpha Telecom entstandenen Kosten zu ersetzen. Die Deutsche Telekom ist jedoch bis jetzt nicht bereit, auf dieses Angebot einzugehen.

"Es ist zwar weniger medienwirksam - wir haben aber zunächst versucht, im Interesse unserer Kunden eine Konfrontation zu vermeiden und uns gütlich mit der Telekom zu einigen", sagte Plessl. "Wir sind nicht der Verursacher des Konflikts und lediglich ein unschuldiges Opfer der Umstände. Offensichtlich sind aber die Fronten wegen des aggressiven Verhaltens unseres Wettbewerbers verhärtet", bedauerte er die Unnachgiebigkeit der Telekom. Der eigentliche Verursacher der Auseinandersetzung, ein anderer WorldCom-Kunde, erzwang die Freischaltung seiner Zugangsnummern am Dienstag per gerichtlicher Verfügung - hier bereitet die Telekom jedoch bereits eine Schadensersatzklage vor.

Der letzte Satz - "Der eigentliche Verursacher der Auseinandersetzung" - klingt schon recht abwertend in Richtung First Telecom. Als ob First Telecom schuld hätte, daß Alpha Telecom noch offline ist. First Telecom hat einfach schneller reagiert. So erhielt ich die erste Presseerklärung von First bereits am Freitag, eine von Alpha erst am Montag. Zu dem Zeitpunkt, als First Telecom bereits die einstweilige Verfügung in den Händen hatte, begannen überhaupt erst die oben zitierten Verhandlungen zwischen Alpha Telecom und Telekom über WorldCom zu laufen.

WorldCom selber gibt sich deutlich zurückhaltender: "WorldCom wird alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um kurzfristig die Wiederherstellung der Verbindungen zu erreichen. Hierzu hat WorldCom Kontakt mit der DTAG aufgenommen. Falls sich auf diesem Wege keine kurzfristige Lösung erzielen läßt, wird WorldCom die Regulierungsbehörde anrufen oder gerichtlich vorgehen."

Nach Auskunft der Telekom-Pressestelle ist nächsten Mittwoch ein Gerichtstermin angesetzt, bei dem bestimmte Punkte neu verhandelt werden. Unabhängig davon spreche man direkt mit WorldCom. Ziel sei ein Vertrag, in dem für Mobilfunk und Festnetz getrennte Preise ausgewiesen werden.

Was war überhaupt passiert? Nun, eine vollständige Rekonstruktion ist leider nicht möglich. Fest steht nur:

  • Zu einem Zeitpunkt X muß WorldCom wohl bei der Telekom für einen Interconnection-Vertrag angefragt haben, der nicht zwischen Festnetz und Mobilfunk unterscheidet. Die Telekom ist wohl darauf eingegangen und hat eine bestimmte Kalkulationsgrundlage (7% Mobil, 93% Fest) verwendet.
  • WorldCom hat die 0800-Nummern daraufhin intensiv vermarketet, unter anderem über die Wiederverkäufer First Telecom und Alpha Telecom.
  • Natürlich haben die Wiederverkäufer in Ihrer Werbung hervorgehoben, daß der Zugang über das Mobilnetz und über das Festnetz gleich teuer (bzw. billig) sind. Nun konkurrieren die Wiederverkäufer im Festnetz aber mit anderen Call-by-Call-Firmen, während sie im Mobilbereich bisher die ersten mit günstigen Preisen sind. Kein Wunder, daß First Telecom und Alpha Telecom gerade im Mobilbereich massenhaft neue Kunden gefunden haben.
  • In der Folge nutzten immer mehr Kunden die Möglichkeit der günstigen Handy-Festnetz-Gespräche. Die Telekom-Kalkulation ging nicht mehr auf. Deswegen kappte man die Leitungen.
  • Der springende Punkt: Ist die obige Mischkalkulation (7% Mobil, 93% Fest) Vertragsbestandteil oder nicht? WorldCom sagt "Nein", Telekom sagt "Ja". Anscheinend werden die Gerichte klären müssen, was denn nun genau in diesem Vertrag steht.