Literaturpapst

Marcel Reich-Ranicki bestechlich: Ode an das Telefonbuch

Hat der Literaturpapst am Ende gar nur abgeschrieben?
Von Waltraud Ziervogel

Nun ist es also doch an die Öffentlichkeit gedrungen: Der uns allen aus dem Fernsehen seit Jahren hinlänglich für seine Literatur-Verrisse bekannte Kritiker Marcel-Ranicki ist bestechlich! Eine Pressemitteilung nennt sogar die Geldgeber, den Verband der Deutschen Telefonbuchverleger und die Deutsche Telekom. Der dort zuständige Projektleiter über die Aufgaben des einstmals unfehlbaren Kritikers: "Wir freuen uns, dass wir den deutschen Literaturpapst, Marcel Reich-Ranicki, dafür gewinnen konnten, das Telefonbuch der Deutschen Telekom zu rezensieren. Er hat spontan `Ja' gesagt, weil ihm der Humor und die Intelligenz der Idee gefallen haben." Offen wird von hervorragender Zusammenarbeit gesprochen. Ein Skandal, wie ihn die literarische Republik bislang noch nicht erlebt hat!

Bislang führte das Telefonbuch ein Schattendasein unter der Telefonablage. Nun soll es in Anzeigen in allen illustrierten Magazinen der Bundesrepublik mit warmen Worten des Kritikers empfohlen werden. Mit dem bunten Wälzer in der Hand, gewohnt grämlich dreinblickend in mausgrauem Anzug auf mausgrauer Chaiselongue sitzend, verkündet der gestürzte Literturpapst durchweg positiv anmutende Kommentare: "Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen. Da finden Sie auch alte Bekannte", "Hier triumphiert die Sachlichkeit", "Alle Bücher sind zu dick. Nur dieses nicht!" oder auch "Dieses Buch wird niemals redselig oder gar geschwätzig".

Derart konzise Aussagen dürften so manchen Schriftsteller ob ihrer unvergleichlichen Genialität vor Neid erblassen lassen. Doch kommt es für Reich-Ranicki noch weitaus schlimmer. Auf ihm, dem Unfehlbaren, lastet der Ruch des Bestechlichen, doch übler noch, auch der des Plagiates: Die wohlmeinenden Kritiken stammen nicht allein aus seiner Feder, sondern wurden zusammen mit den Kreativen der beauftragten Werbeagentur geschrieben!